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Ausgabe:

Dezember/2007

Spalte:

1384–1386

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Rahner, Johanna

Titel/Untertitel:

Creatura Evangelii. Zum Verhältnis von Rechtfertigung und Kirche.

Verlag:

Freiburg-Basel-Wien: Herder 2005. 608 S. 8°. Kart. EUR 40,00. ISBN 978-3-451-28499-1.

Rezensent:

Christine Axt-Piscalar

Die Vfn. hat ein für das jeweilige Selbstverständnis der evange­lischen und katholischen Konfession und mithin für die ökume­nische Debatte zentrales Thema gewählt, das an die Wurzel des Ursprungs ihrer Trennung reicht: das Verständnis der Kirche. Gleich im ersten Satz ihrer Einführung zitiert sie Cajetans Entgegnung auf Luthers theologischen Aufbruch aus dem Jahr 1518: »Das hieße eine andere Kirche bauen«. Aus evangelischer Sicht bedeutet dies, dass die Kirche sich als durch das Evangelium konstituiert zu verstehen hat. Die Vfn. greift dieses Verständnis lutherischer Ek­klesiologie nicht umsonst im Titel ihres Buches auf. Sie hält die darin betonte Unterscheidung der Kirche von ihrem Grund – dem Evangelium von der Rechtfertigung – für ein wegweisendes ekklesiologisches Kriterium, das sie kritisch gegenüber der römisch-katholischen Ekklesiologie bzw. als ein grundlegendes Movens zu deren weiterer Selbstverständigung einzubringen sucht.
Die Arbeit ist eine von der Katholisch-Theologischen Fakultät in Münster angenommene Habilitationsschrift (Erstgutachter Jürgen Werbick/Zweitgutachterin Dorothea Sattler). Das Buch ist weitgehend gut lesbar geschrieben, reich – manchmal etwas zu stark – mit Zitaten versehen und insgesamt klar aufgebaut. Nach einem einführenden Kapitel, das die Valenz des Themas unterstreicht (I), werden zunächst die »ekklesiologischen Impulse der Reformation« anhand von Luthers, Melanchthons und Calvins Kirchenverständnis herausgearbeitet (II), was freilich nur überblicks artig und auf die Kernaussagen konzentriert geschehen kann. Sodann wird die ka­tholische ekklesiologische Tradition vor dem II. Vatikanischen Konzil nachgezeichnet (III). Hier behandelt die Vfn. den Catechismus Romanus, Bellarmin und Johann Adam Möhler. In einem nächsten Schritt wird die Ekklesiologie des II. Vatikanischen Konzils ausführlich dargetan (IV) und anschließend die nachkonziliare Debatte (V) kurz vorgestellt. Jedes Kapitel endet mit einer knappen Zusammenfassung. Abschließend summiert die Vfn. den Ertrag ihrer Darstellung und wagt einen Ausblick (VII). Ein um­fangreiches Literaturverzeichnis (569–608) rundet die Arbeit ab.
In der Einführung beklagt die Vfn. insbesondere mit Blick etwa auf Dominus Jesus und die Enzyklika de Eucharistia das jeden ökumenisch Engagierten ernüchternde Phänomen, dass die Ergebnisse der Dialoge der Kirchen ebenso wie die Resultate der wissenschaftlichen Theologie zu den in der Ökumene relevanten Sachfragen in den lehramtlichen Verlautbarungen der katholischen Kir­che kaum bis gar nicht rezipiert werden. Sie sichtet den in den Dialogpapieren in der Frage der Verhältnisbestimmung von Rechtfertigung und Kirchenverständnis bislang erreichten Stand (15–85), mit besonderem Verweis auf Nr. 18 der Gemeinsamen Erklärung, in der die Rechtfertigungslehre als »ein unverzichtbares Kriterium« (kursiv C. A.-P.) behauptet wird, »das die gesamte Lehre und Praxis der Kirche unablässig auf Christus hin orientieren will« und auf evangelischer Seite teilweise heftige Kritik nach sich zog, die darin deren exklusive Funktion als »rector et iudex super omnia genera doctrinarum« unterlaufen sieht. Aus der ökumenischen Debattenlage greift sie zudem die Frage nach der Sündigkeit der Kirche, dem Verhältnis ihrer Sichtbarkeit und Verborgenheit sowie die nach der Bedeutung des hierarchisch-gegliederten Amtes für das Wesen der Kirche auf – Aspekte, die im Mittelpunkt der weiteren Darlegung im Durchgang durch die von ihr behandelten Konzeptionen stehen.
Eine Schlüsselstellung für katholisches Kirchenverständnis kommt der nachtridentinischen Ekklesiologie zu (185–263), die in Gestalt von Bellarmin in dezidiert gegenreformatorischer Frontstellung die Notwendigkeit der Sichtbarkeit der Kirche für die Gewissheit des Glaubens betont und damit verbunden die unabdingbare Bedeutung des unter der Leitung des römischen Bischofs stehenden bischöflichen Amtes in apostolischer Sukzession als dem zuverlässigen Bürgen der Wahrheit herausarbeitet, die Kirche Jesu Christi mit der römisch-katholischen Kirche identifiziert und die Heilsteilhabe abhängig erklärt von der Zugehörigkeit zu ihr. »Kirche ist eine Gemeinschaft von Menschen, über deren Zugehörigkeit allein äußere, juridisch exakt festgelegte Kriterien entscheiden« (222). Deshalb bezeichnet die Vfn. Bellarmins Ekklesiologie als den Prototyp des »unreflektierten ekklesiologischen Positivismus« (ebd.), mit dem eine »Veräußerlichung« und »Verrechtlichung« des Kirchenverständnisses einhergehe. An der strikten Identifikation der katholischen mit der wahren Kirche Jesu Christi sowie den entsprechenden Folgerungen für die Nichtkatholiken hält auch Johann Adam Möhler im Kontext der sog. zweiten Konfessionalisierung entschieden fest. Er argumentiert allerdings nicht mehr primär institutionell-hierarchisch, sondern bemüht vor allem die Inkarnationstheologie, um das Verhältnis zwischen der Kirche Jesu Christi und der römisch-katholischen Kirche näher zu bestimmen, und gelangt auf dieser Basis zur Vorstellung von dieser als dem Christus prolongatus (225–274). In der Enzyklica Mystici Corporis (dazu 343 ff.) erhält dieser Anspruch seinen gesteigerten Ausdruck.
Die »Spurensuche« in der nachtridentinischen Ekklesiologie bildet für die Vfn. die Folie, vor der sie die neuen Impulse in dem durch das II. Vatikanische Konzil formulierten Kirchenverständnis ausführlich herausarbeitet (275–525). In diesem Bemühen liegt das be­sondere, auf ökumenische Verständigung bedachte Interesse der Vfn., die daher entschieden jene Konzilsaussagen beanstandet, in de­nen weiterhin das vorkonziliare Selbstverständnis kolportiert wird – wobei man fragen muss, ob dies unter katholischen dogmenhermeneutischen Grundsätzen überhaupt anders möglich ist.
Was nun die neuen Impulse des II. Vatikanums angeht, so führt die Vfn. das Verständnis der Kirche als Mysterium, ihre Bestimmung als Zeichen und Werkzeug zur Sammlung der Menschheit, die Christologie als ekklesiologischen Bezugspunkt, das Eingeständnis, Kirche der Sünder zu sein sowie die Einsicht in ihre stete Erneuerungsbedürftigkeit an und unterstreicht die insgesamt stärker biblische Begründung des Kirchenbegriffs. Das darin steckende Potenzial wird freilich, wie die Vfn. beharrlich aufdeckt, durch ge­genläufige Aussagen vorkonziliarer Provenienz schon innerhalb der Kirchenkonstitution des Konzils gleichsam gebremst, ein Sachverhalt, der dann die nachkonziliare Debatte um die Rezeption des Konzils entsprechend bestimmt. Dies gilt im Blick auf das Verständnis des berüchtigten »subsistit in« zur Bestimmung des Verhältnisses zwischen der Kirche Jesu Christi und der römisch-katholischen Kirche, das die vormalige »est-Aussage« in der Formulierung so nicht mehr aufgreift. Und es gilt vor allem für die Aussagen des Konzils zur Kirche als Volk Gottes im Verhältnis zum amtshierarchisch orientierten Kirchenbegriff sowie für die damit zu­sam­menhängenden Fragen der communio-Ekklesiologie, der Aufwertung der Ortsgemeinde und der Betonung der Kollegialität der Bischöfe mit dem Bischof von Rom. In den Darlegungen zur Sache wiederholt die Vfn. freilich vieles, was in der Diskussion um das II. Vatikanum bereits nachhaltig traktiert wurde und wird. Indes, die Vfn. sucht es spezifisch zu fokussieren und »unter der Perspektive rechtfertigungstheologischer Relevanz und Tauglichkeit neu zur Sprache zu bringen« (52).
Wer an einem kritischen Umgang mit der römisch-katholischen Ekklesiologie unter Berücksichtigung zentraler reformatorischer Anliegen aus der Feder einer katholischen Theologin Interesse hat, der nimmt dieses Buch durchaus mit Gewinn zur Hand.