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Ausgabe:

Dezember/2007

Spalte:

1374–1376

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Fresacher, Bernhard

Titel/Untertitel:

Kommunikation. Verheißungen und Grenzen eines theologischen Leitbegriffs.

Verlag:

Freiburg-Basel-Wien: Herder 2006. 413 S. 8°. Kart. EUR 35,00. ISBN 978-3-451-29143-2.

Rezensent:

Friedrich Heckmann

Kommunikation als fundamentaltheologische Leitkategorie zu problematisieren – nicht weniger hat sich der katholische Theologe Bernhard Fresacher vorgenommenen. Die interdisziplinäre Ha­bilitation wurde unter dem Titel »Kommunikation in Soziologie und Theologie. Problematisierung eines Leitbegriffs theologischer Theoriebildung im Ausgang vom zweiten Vatikanischen Konzil« an der Universität Luzern angenommen. In Luzern lehrt Edmund Arens, der als ausgewiesener Kenner der Habermasschen Theorie kommunikativen Handelns gelten kann, Fundamentaltheologie; er hat das Vorwort zum Buch geschrieben.
F. selber entwickelt seine Problematisierung des Leitbegriffs (Leitkategorie) der Kommunikation im Horizont der Luhmannschen Konzeption, dabei analysiert er ausgehend vom 2. Vatikanischen Konzil und von der theologischen Diskussion um Kommunikation deren Begriff in Philosophie, Naturwissenschaft, Soziologie und Ethnologie. Das Ziel der Arbeit benennt F. in seiner Einleitung: Ihm liegt an einer Problematisierung des Begriffs der Kommunikation, der in Theologie und Kirche seiner Ansicht nach allzu sorglos verwendet wird, und er will über die Problematisierung zur theologischen Theoriebildung beitragen (Kapitel 1, Einleitung).
F. findet den Zugang für seine Problematisierung im 2. Vatikanum (Kapitel 2). In der katholischen Theologie hat sich seitdem die Rede von der dort vollzogenen kommunikationstheoretischen Wende eingebürgert, die F. vor allem in einer bestimmten Semantik der Konzilsdokumente sieht: Glaube verstanden als Aktivität, Kirche als sozialer und gemeinschaftlicher Vollzug des Glaubens in seiner jeweiligen Zeit. F. beschreibt die kommunikationstheoretische Wende durch die Entfaltung des Problems des Verstehens und die Herausarbeitung des Unterschieds dieses Konzils zu anderen Konzilien vor allem auf der Basis der relevanten politischen und sozi­alen globalen Entwicklungen zur Zeit des Konzils. Es geht bei diesem Konzil seiner Meinung nach um eine neue Ortsbestimmung von Theologie und Kirche, von der anti-modernistischen Paccelli-Kirche … der Kirche der Restauration … hin zu einer Kirche, welche die Freundin aller Menschen ist, auch wenn diese Kinder der modernen Gesellschaft … sind (80). Die neue Ortsbestimmung stand vor der Aufgabe, die theologischen Aussagen des Konzils an die Welt und an die Gesellschaft in ihren semantischen und sozialen Strukturen zu binden. F. beschreibt diese Bindung in den nächsten drei Kapiteln als Glaube in Interaktion (die gewagte Behauptung universaler Hoffnung), als Glaube in Freiheit (der begründete Sinn universaler Hoffnung) und als Glaube in Kultur (die soziale Verkörperung universaler Hoffnung) (Kapitel 3–5).
In diesen drei Kapiteln spannt F. den Bogen der Wende der Kommunikation als wissenschaftstheoretische Herausforderung: Er geht dabei aus von den Arbeiten Helmut Peukerts und Edmund Arens über die theologische Traditionstheorie Hansjürgen Verweyens bis hin zu der Wissenschaftstheorie George A. Lind­becks. Die Spannbreite dieser Diskussion hinterlässt den Eindruck großer Disparität, wie F. selbst schreibt. Diese Disparatheit aber ist zu­gleich Signum der kommunikationstheoretischen Wende des 2.Vatikanums: Es geht nach Lindbeck nicht mehr um Konsens, nicht um Einheit, sondern es geht für Glaube, Kirche und Theologie darum, ohne den Konsens auszukommen. Die Sprengkraft der Problematisierung F.s wird deutlich: Wie erreicht Theologie ihren Gegenstand, wenn sie von Einheit auf Differenz umgestellt hat? Der Theologie bleibt nichts anderes übrig, als sich dem Risiko auszusetzen, auch wenn ihre Sinnformen sich verändern oder gar zerbrechen. Um dieses zu verifizieren schließt F. zwei kommunikationstheoretische Kapitel an. Als Erstes wendet er sich den Theorien der Kommunikation zu. Er geht auf das Verstehen aus der Unterscheidung von Formen ein: Es kommt auf die Form an, um den Sinn zu verstehen. Kommunikation bietet die Möglichkeit auf Formen zu achten, Aussagen zu unterscheiden. Kommunikation steht für Transformierbarkeit, wie das 2. Vatikanum für die Kirche, ihre Theo­logie und den Glauben erlebbar gemacht hat. Und so behauptet F. bei aller Disparatheit des bislang Entwickelten einen gemeinsamen Punkt: Die besprochenen Ansätze konzentrieren sich auf Interaktionen zwischen Menschen, die real physisch präsent sind, sich also wechselseitig wahrnehmen. Und interaktionsförmig wird auch die Heilige Schrift als die maßgebliche Referenz für den Glauben aufgefasst (216).
Das Problem der Kommunikation selbst bei physischer Präsenz liegt darin, dass man eben nicht sicher sein kann, was jemand dabei tatsächlich denkt, empfindet oder intendiert … man erfährt nur, was geäußert wird, aber nicht, was nicht geäußert wird (217). Die Äußerungen aber lassen sich auf ihre Intentionen – mit Hilfe der soziologischen Theorie – überprüfen. Mit diesem Punkt (Kapitel 6, 7) ist F. endgültig bei seinem Anliegen. Über die Metaphorik, die Informationstheorie und Parsons Systemtheorie kommt er bei den beiden Gesellschaftstheorien an, die den deutschsprachigen Raum dominieren: die Handlungstheorie von Habermas und die Kommunikationstheorie von Luhmann.
Luhmanns Gesellschaftstheorie – auch die soziologische Religionstheorie fasst F. als eine Form von Gesellschaftstheorie auf – soll helfen, der Ausgangsfrage aus dem einleitenden Kapitel näher zu kommen, nämlich welche Probleme sich der Theologie stellen, wenn sie bei der wissenschaftlichen Behandlung ihres Gegenstandes von Kommunikation im sich andeutenden modernen Sinn ausgeht (304). Soll Gott thematisiert werden, so erscheint auch dabei die Kommunikation als die soziale Bedingung der Thematisierbarkeit. Dazu entwickelt F. die Form der Theorie – der Luhmannschen Erkenntnistheorie – u. a. in Abgrenzung gegen Dalferth und Welker und präsentiert sie als Sinntheorie, die die Gesellschaft als differenzierte, polykontexturale soziale Praxis des Verstehens in­terpretiert. Dabei wird nicht nur die Gesellschaft problematisiert – und Glaube und Theologie, sondern vor allem die Kommunikation und ihre Theorie selbst! (Kapitel 7)
Das abschließende achte Kapitel, es folgt noch ein kurzer Schluss, macht die Lücke im System zum Thema, die in der Auslegung der Luhmannschen Theorie bereits benannt wurde. Die Lücke liegt zwischen der Sicht der Dinge und den davon unterschiedenen Sichten. Für F. ist das der Standort der Erkenntnis, der wissenschaftlichen Erkenntnis genauso wie der Erkenntnis des Glaubens. Die Lücke ermöglicht die Auseinandersetzung, sie schließt die Thematisierung des Nichtthematisierbaren ein. Von der Thematisierbarkeit der Nichtthematisierbarkeit kommt F. zurück zu Glaube und Theologie und zum 2. Vatikanum. Ausdrücklich hat er zu Be­ginn des Abschlusskapitels darauf hingewiesen, dass man keine Quintessenz ziehen könne, da man dann ja einen weiteren, anderen Text hinzufügen würde, zumal dieser denselben Beschränkungen unterliegt, wie der Text, auf den sich die Summe beziehen würde.
Das stellt den Rezensenten natürlich vor die Schwierigkeit, das zu besprechende Buch niemals adäquat besprechen zu können, da der Rezensent das Buch schon immer auf seinen eigenen Fokus hin gelesen hat. So sei abschließend nur noch darauf verwiesen, dass F. seinem Abschlusskapitel noch sieben Thesen hinzufügt, die allerdings auch nicht abschließen, sondern Perspektiven für weitere Analysen aufzeigen wollen (Kapitel 9).
Dem Buch beigefügt sind eine ausgezeichnete Bibliographie und zwei für die Lektüre hilfreiche Register. Das Werk besticht durch seine hohe Reflexivität, lässt den Leser aber auch auf Grund der immer weiter getriebenen Problematisierung etwas ratlos zurück; deswegen will ich meine Besprechung mit einem Zitat F.s schließen: Eine Kommunikationstheorie in dieser Form mutet sich Probleme zu, die sie nicht mehr lösen kann (301).