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Ausgabe:

Dezember/2007

Spalte:

1372–1374

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Beuttler, Ulrich

Titel/Untertitel:

Gottesgewissheit in der relativen Welt. Karl Heims naturphilosophische und erkenntnistheoretische Reflexion des Glaubens.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2006. 438 S. m. Abb. gr.8° = Forum Systematik, 27. Kart. EUR 39,00. ISBN 978-3-17-019549-3.

Rezensent:

Hans Schwarz

Die für den Druck überarbeitete Erlanger Dissertation des Theologen und Diplom-Physikers ist sehr zu begrüßen, denn der Dialog mit den Naturwissenschaften erfährt heute eine erneute Blüte und Karl Heim war einer der wenigen, der in Deutschland in der 1. Hälfte des 20. Jh.s diesen Dialog mit großer Sachkenntnis und Engagement führte. Wie B. aufzeigt, ist »Heims Modell des aktiven, teilnehmenden Dialogs dem heute meist geforderten ›freundschaftlichen‹ Dialog nicht unter-, sondern überlegen« (387). Somit ist Karl Heim auch gegenwärtig noch für die theologische Arbeit anregend, wie aus den zusammenfassenden Thesen B.s deutlich wird. Heim bietet »eine der wenigen ernsthaften Bemühungen um einen auch naturphilosophisch akzeptablen theologischen Weltbegriff, an dem sich heute theologische Reflexion messen lassen muss, auf dem sie aber auch mit Gewinn aufbauen kann« (397). Mit diesem positiven Resümee beschließt B. seine Untersuchung. Besonders anerkennenswert ist bei dieser Arbeit, dass sie eine Gesamtdarstellung der Hauptwerke Heims bietet, »die gleichermaßen die Entwicklung Heims wie seinen geistigen und geistesgeschichtlichen Kontext berücksichtigt« (32).
B. betont, Heims Interesse an den modernen Naturwissenschaften »ist also zunächst ein apologetisches, verstanden nicht in einem abgrenzenden, sondern einem seelsorgerlich-gewinnenden Sinn« (16). Obwohl Heims Arbeiten meist für den akademisch Gebildeten geschrieben sind und nicht für den Spezialisten, bietet er »eine denkerische Durchdringung und Grundlegung des Glaubens in Auseinandersetzung mit dem naturwissenschaftlichen und philosophischen Denken zum Zweck der Vergewisserung des Glaubens durch das Denken« (16). Heim möchte den Glauben, speziell die Gewissheit des Glaubens für den denkenden Menschen als an­nehmbar aufweisen. Dabei versucht Heim, in immer neuen Bearbeitungen seiner Untersuchungen philosophisch-erkenntnistheoretisches, naturwissenschaftlich-naturphilosophisches und theologisch-religionsphilosophisches Denken zu einem einheitlichen Bild von der Welt zusammenzufügen. Die Forschung hat zwar immer bestimmte Aspekte der Arbeit Karl Heims herausgestellt, aber bislang fehlt »eine Gesamtdarstellung der Hauptwerke, die gleichermaßen die Entwicklung Heims wie seinen geistigen und geistesgeschichtlichen Kontext berücksichtigt« (32). B. möchte dieses Desiderat schließen, wobei er sich auf die wichtigsten Werke von Heim konzentriert, nämlich auf Das Weltbild der Zukunft, Glaubensgewißheit, und das sechsbändige Hauptwerk Glaube und Denken. Solch ein Unterfangen ist verdienstvoll, da Heim be­son­ders in letzterem Werk die Leser nicht mit Hinweisen verwöhnt, woraus er seine Anregungen bezieht, sondern zumeist ohne großen Anmerkungsapparat seine Argumente vorbringt.
Zunächst skizziert B. kurz den »Weltanschauungskampf« an der Wende vom 19. zum 20. Jh., bevor er sich ausführlich mit Heims Jugendwerk, dem Weltbild der Zukunft beschäftigt. Dieses Werk, das Heim beinahe seine wissenschaftliche Karriere gekostet hätte, nicht zuletzt deswegen, weil er dadurch für die Studierenden attraktiver wurde als viele seiner Lehrer, erwies sich für die Studierenden als ungemein anregend. B. analysiert nun die Quellen und die Hauptgedanken dieses Werks und zeigt, wie es in den späteren Arbeiten weiterwirkt. Interessant ist in diesem wie in allen übrigen Kapiteln nicht nur das Aufzeigen der Gewährsleute Heims, wobei B. in differenzierender Weise zwischen der eigenen Position Heims und der seiner Gewährsleute unterscheidet, sondern beeindru­ckend ist auch, wie er uns an jeder Stelle mit der Rezeptionsgeschichte des Werks vertraut macht. Dabei bietet er die positive oder negative Kritik nicht neutral dar, sondern weist sachkundig darauf hin, ob die Stellungnahmen berechtigt oder unberechtigt waren. B. bemüht sich also um keine Laudatio für Heim, sondern zeigt auch immer wieder Schwachpunkte in der Argumentation Heims auf und versucht, die Ansätze Heims weiterzuführen, wo er sie als angemessen erachtet.
Der zweite große Untersuchungsgegenstand ist Heims Projekt der Glaubensgewißheit, wobei B. streng zwischen der ersten, der zweiten und der dritten Auflage unterscheidet. Zunächst wird die erste Auflage von 1916 dargestellt, wobei er sachgerecht erkennt, dass das Problem der Glaubensgewissheit, das im Weltbild der Zukunft Zielpunkt war, jetzt zum Ausgangspunkt wird. Ziel ist jedoch wieder, »zu einer Einheit von Glaube und Denken zu gelangen, zu einer ›Zu­sam­menschau des Weltganzen‹« (107). B. bemerkt zu Recht, dass Heims Erkenntnistheorie »nirgends präzise ausgeführt oder explizit auf die Tradition bezogen« ist (126). Trotzdem gelingt es B., implizit »Bezug und Auseinandersetzung mit Kants Erkenntnistheorie, mit Bergsons Begriff der Intuition sowie mit Diltheys Erlebnisbegriff« aufzuzeigen und ausführlich zu analysieren (126).
Wenn B. auf das Hauptwerk von Heim eingeht, bezieht er sich zumeist auf den ersten Band von Glaube und Denken, wobei er allerdings die erste Auflage von 1931 von der dritten, völlig umgearbeiteten von 1934 und der fünften von 1957 unterscheidet und jeweils separat analysiert. Wichtig ist für Heim die Auseinandersetzung in der ersten Auflage mit der radikalen Diesseitsgesinnung, wie sie nach dem Zusammenbruch von 1918 auf allen Ebenen zu spüren war. »Das Problem, von dem ›Glaube und Denken‹ ausgeht, ist nicht mehr die Glaubensgewissheit, sondern die Gewissheit des Lebens, das ›Problem der Existenz‹: ›Gibt es etwas, das uns die Gewissheit verleiht, dass unser Leben kein Sturz ins Leere ist?‹« (174 f.) Wie bei Tillich steht jetzt bei Heim die Sinnfrage im Vordergrund, die identisch ist mit der Gottesfrage.
In der fünften Auflage von Glaube und Denken wurde die an Heidegger und Buber angelehnte Sprache »durch eine straffere, klarere und gegenständlichere Begriffssprache ersetzt«, wobei dann aus der »exis­tentialen Ontologie des Daseins« die »relationale Logik der Verhältnisse« wird und aus der »Philosophie der Zeit« die »Philosophie der Räume« (214). Alle Weltverhältnisse werden als Verhältnisse von Räumen beschrieben, und der Gottesbegriff wird als überpolarer Raum entfaltet. Jetzt steht nicht mehr die Sinnfrage des Daseins im Mittelpunkt, sondern die Frage nach der Transzendenz Gottes. Dabei mo­niert B., dass Heim »mit dem Ausdruck ›überpolarer Raum‹ die Differenz Gottes von der Welt über- und seine Immanenz unterbetont hat, als es dem Primärbekenntnis des Glaubens entspricht, was unglücklich und für die Suggestionskraft des Terminus und die Wirkungsgeschichte der Sache überaus bedauerlich« ist (269). Zugleich versucht B., eine Korrektur von Heims Terminologie mit dem Begriff des »alldimensionalen Raumes« anzubringen. Dieses Verfahren ist typisch für diese Untersuchung, denn B. versucht immer im Sinne Heims weiterzudenken, selbst an den Stellen, an denen nach seiner Meinung Heim nicht sachgerecht argumentiert.
In einem letzten (neunten) Kapitel zeigt B. Analogien und Differenzen zu ähnlichen gegenwärtigen Positionen in der Naturphilosophie und Erkenntnistheorie auf, wie etwa zu Whitehead, Gott­hard Günther und Karl Barth. Die Arbeit ist eine theologie- und apologiegeschichtliche Fundgrube zu Karl Heim und zu dessen zeitgenössischem Kontext. Sie bleibt jedoch nicht bei der damaligen Zeit stehen, sondern gibt auch vielfache Anregung für gegenwärtige Problemstellungen. Ein Namensregister erschließt die Ar­beit, und das differenzierte Inhaltsverzeichnis gibt Zugang zu inhaltlichen Themen, auch wenn ein Begriffsregister sicher sehr sinnvoll gewesen wäre. Die Arbeit zeigt, dass Karl Heim zu Unrecht heute nur wenig beachtet wird. Seine Aktualisierung, die in der vorliegenden Arbeit versucht wird, kann uns für die heutige theologische Arbeit viele Denkanstöße geben.