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Ausgabe:

Dezember/2007

Spalte:

1356–1358

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Gojny, Tanja

Titel/Untertitel:

Biblische Spuren in der Lyrik Erich Frieds. Zum intertextuellen Wechselspiel von Bibel und Literatur.

Verlag:

Mainz: Matthias-Grünewald-Verlag 2004. 556 S. 8° = Theologie und Literatur, 17. Kart. EUR 39,80. ISBN 3-7867-2520-9.

Rezensent:

Hans Hübner

Erich Fried ist als Dichter bekannt, aber auch als politisch engagierter Autor. Die Aufgabe eines Theologen als Rezensent in der ThLZ kann es aber nicht sein, seine spezifisch politische Einstellung zu beurteilen. Theologisch relevant ist jedoch die politische Dimension seiner energisch kritischen Stellungnahme zur diktatorischen Praxis jeglicher couleur. Die von Tanja Gojny verfasste Dissertation lässt von ihrem Titel »Biblische Spuren in der Lyrik Erich Frieds« her erwarten, dass G. aus theologischer und sprachwissenschaftlicher Kompetenz den Brückenschlag Frieds zwischen Theologie und Germanistik zu interpretieren versteht. Auch der Untertitel »Zum intertextuellen Wechselspiel von Bibel und Literatur« verstärkt diese Erwartung. Die Methodik der Intertextualität ist im Laufe der letzten Jahre im Bereich der Theologie immer mehr als unverzichtbare Aufgabe erkannt worden (dazu ThLZ 116 [1991], 881–898). Schon zu Beginn sei gesagt: G.s Dissertation ist nicht nur ein hervorragendes, sondern auch ein für den Theologen wichtiges Buch, vielleicht selbst für diejenigen, die nicht primär an Fried in­teressiert sind.
Die Inhaltsübersicht: Hinführung I. Zwischen Theologie und Literatur- und Sprachwissenschaft – zur Erforschung biblischer Spuren in der Literatur (hier auch Bezug zur Intertextualität) II. Bibel und Literatur – das Buch der Bücher III. Zur Person Erich Frieds (Biographie und Einstellung zur Religion); A Spielarten des Wechselspiels I. Quantität der biblischen Spuren im Gedicht II. Ausdehnung der einzelnen biblischen Spur im Gedicht III. Intellektuelles Verfahren der einzelnen biblischen Spur IV. Vermittlung der einzelnen biblischen Spur V. Quantität der durch die einzelne biblische Spur aufgerufenen biblischen Prätexte VI. Kategorien der biblischen Bezugselemente VII. Durchspielen eines Beispiels; B Gedichte mit biblischen Spuren in der Lyrik Erich Frieds I. Rezeption der Sintflutgeschichte II. Rezeption der Mosefigur III. Rezeption von Jesusworten IV. Bibelrezeption in den Gedichten aus dem Lyrikband »Höre, Israel!«; C Funktionen der Bibelbezüge I. Steuerung des Rezeptionsprozesses II. Gedächtnisfunktion III. Intertextuelles Spiel IV. Kritik – Affirmation/Legitimation V. Bedeutungskonstitution; D I. Grundsätzliche Überlegungen zu einer Schriftauslegung durch Gedichte mit biblischen Spuren II. Korrespondenzen zu neueren Ansätzen der (exegetischen und homiletischen) Schriftauslegung III. Gedichte mit biblischen Spuren als »Midrasch«? IV. ... »eine andere art der Auslegung« ... Das Buch schließt mit einem Literaturverzeichnis und einem Gedichtverzeichnis.
Diese Übersicht zeigt, dass nur eine Auswahl der Themen hier an­gesprochen werden kann. Erforderlich dürfte ein kurzer Überblick über Frieds Vita sein. Er war als jüdisches Kind 1921 in Wien geboren, der Vater, ein Spediteur, starb 1938 an den Folgen seiner Misshandlungen in der Nazihaft. Wie Heinrich Heine erfuhr er von seinem Jude-Sein erst durch Hänseleien seiner Schulkameraden. Er war ein überaus begabtes Kind, das bereits in den ersten Jahren seiner Schulzeit Gedichte schrieb und schon nach Österreichs Annektion durch Hitler eine Widerstandsgruppe gründete. 1939 gelang die Emigration nach England. Dort arbeitete er beim »Jewish Re­­fugee Committee«, war auch einige Jahre im »Kommunistischen Jugendverband der Exilösterreicher« politisch tätig, trat aber – typisch für ihn! – 1943 wegen dessen Dogmatismus aus ihm aus. Die Nachkriegszeit wurde die Zeit seiner schriftstellerischen Tätigkeit. Vor der Gruppe 47 las Fried zum ersten Mal 1963. Bekannt wurde er mit dem politischen Gedichtband »Und Vietnam und«, später durch »Liebesgedichte«. Mehrfach geehrt, z. B. durch den Georg-Büchner-Preis 1987, starb er 1988 nach langem Krebsleiden.
Theologisch interessant ist Fried vor allem, weil er als gebürtiger Jude kein gläubiger Jude war und sich zunächst nicht dem jüdischen Volk zugehörig fühlte – dann zuweilen aber doch, weil »Hitler ihn als Juden aufgehängt hätte«. Mit dieser jüdischen Identität begründete er sein spätes antizionistisches Engagement. In ihr empfinde er »auch etwas wie Mitverantwortlichkeit für das, was Juden in Israel den Palästinensern und anderen Arabern antun« (57). Trotz seiner kritischen Einstellung nicht nur gegenüber der jüdischen Religion, sondern jeglichem Gottglauben, schreibt er im Gedicht »Die Bücher« (60): »Die Bibel möchte ich immer wieder lesen, / nicht Gotteswort. Doch Menschenwort ist viel. / Chronik, Ge­setz und Propheten sind gewesen, / in Psalmen klingt mir Da­vids Saitenspiel.« In seinem literarischen Werk nimmt er immer wieder auf biblische Texte Bezug. Wo ein Text auf biblische Texte verweist, da »ist die Bezugnahme nie ein Dialog zwischen diesen beiden Texten«, sondern gemäß seiner methodischen Überzeugung ein sich Einschreiben »in das dichte, weitverzweigte Netz von intertextuellen Bezügen, die bereits geknüpft wurden« (170).
Im Kapitel über Mose thematisiert er diesen als »Führer seines Volkes«, »Überbringer der Tora« und, besonders wichtig, als »exis­tentielle Deutungsfigur«. Unter Verweis auf Sigmund Freud sind nach G. in dem Gedicht »Almoses [sic!] vor dem großen Haus« Bilder und Symbole mit sexueller Bedeutung aufgeladen. Der Beginn des Gedichts sei deutlich von weiblicher Metaphorik geprägt (z. B. Milch), ab Ende der ersten Strophe überwögen aber Bilder des Männlich-Phallischen (z. B. Stab) sowie der sexuellen Vereinigung (199 f.). In anderen Mose-Gedichten bringe Fried in dieser Deutungsfigur eigene Erfahrungen und Überzeugungen zur Sprache.
Natürlich ist für den Christen der Abschnitt über die Rezeption von Jesusworten von besonderem Interesse. Fried sieht in Jesus die Verkörperung des Judentums bzw. der Juden. G. hebt bei ihm die Betonung der Lehre Jesu hervor. Vor allem sei für ihn das Gebot der Feindesliebe von zentraler Bedeutung. Fried macht das (gesellschafts)kritische Potential der radikalen ethischen Weisungen für seine Lyrik fruchtbar: Jesus kämpft aktiv gegen bestehendes Unrecht und gerät dadurch in Konflikt mit der herrschenden Ordnung. Für Frieds religionskritische Intention wählt G. sein be­zeichnendes Gedicht »Eli« aus, dessen Anfangszeilen ich doch zitieren sollte, um sein Dichten konkret werden zu lassen (239):
»Eli! / Mein Gott? / Sein Gott? / Kein Gott? // Der du Eva und Adam / belogen hast / (Nur die Schlange / hat die Wahrheit gesagt / und du hast sie / dafür bestraft / Und du selbst / hattest beide verführt / durch dein Verbot / dieses Baumes)«
Bezeichnend für Fried ist auch sein Gedicht »Kreuztragung 1972« in seinem Lyrikband »Höre, Israel!« (338): »Eine Palästinenserin / mittleren Alters / nicht kenntlich an ihrem Gesicht / das ihr schwarzer Schleier verhüllt // aber kenntlich von weitem / an den entwurzelten Baum / auf ihrer Schulter / geht langsam die Straße entlang // ... // Sie trägt ihren Baum / den ihr die Israelis / entwurzelt haben / als sie selbst entwurzelt wurde // aus ihrem zerstörten Dorf / irgendwohin / wo sie hofft ihn pflanzen zu können / bevor er stirbt //« In einer Fußnote verweist er auf ein Geschehen in einer Siedlung rechtsstehender Zionis­ten (s. auch Anm. 736).
Im Schlussteil ihres Buches (D) bedenkt G. Frieds »Gedichte mit biblischen Spuren« unter dem Gesichtspunkt »eine andere art der Auslegung«, wobei sie das kursiv geschriebene englische art als Kunst versteht. G.s zentrale Aussage lautet (433, der ganze Satz kursiv): »In dem Sinne, dass die Aufnahme eines biblischen Prätextes in ein Gedicht nicht nur etwas zur Sinnkonstitution des manifesten Textes beiträgt, sondern dass durch diese intertextuelle Relation auch das Bedeutungspotential des Prätextes angereichert bzw. modifiziert wird, kann m. E. von ›Schriftauslegung‹ durch Gedichte mit biblischen Spuren gesprochen werden.« Hinsichtlich der Intertextualität unterscheidet G. hilfreich den »Aspekt der innerbiblischen Intertextualität«, den »Aspekt der intertextuellen Verknüpfung von Bibeltexten mit außerbiblischen Texten« und den »Aspekt der intertextuellen Verknüpfung mit außersprachlichen Texten« (Le­benserfahrung, Lebenskontext) (451 ff.). Ihr maßgebendes Urteil (467): »Die ›produktive Rezeption‹ der Bibel in der Lyrik E. Frieds zeugt von einer hohen Kreativität im Umgang mit diesem Prätext.« Unerwähnt bleiben darf auf keinen Fall ihr Hinweis auf den Midrasch (484 ff.).
Es ist zu wünschen, dass die methodologischen Darlegungen G.s zur Kenntnis genommen werden, aber vor allem ihre Vermittlung von Frieds existentiellem Denken, die Bereicherung unseres exegetisch-theologischen Tuns durch das, was dieser – bei aller erforderlichen Kritik – dem Christen zu sagen hat. G.s Dissertation ist ein gutes, ein zu denken gebendes, zuweilen auch ein erschütterndes Buch.