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Ausgabe:

Dezember/2007

Spalte:

1345 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

Stempin, Arkadiusz

Titel/Untertitel:

Das Maximilian-Kolbe-Werk. Wegbereiter der deutsch-polnischen Aussöhnung 1960–1989.

Verlag:

Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 2006. 471 S. m. Tab. gr.8° = Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte. Reihe B: Forschungen, 107. Lw. EUR 68,00. ISBN 978-3-506-72975-0.

Rezensent:

Christian-Erdmann Schott

In dieser Freiburger Diss. phil. aus dem Jahr 2002 wird der Weg nachgezeichnet, den das Maximilian-Kolbe-Werk von seinen Vorstufen in der internationalen katholischen Friedensbewegung Pax Christi über die Gründung im Jahr 1973 bis zum Zusammenbruch des Kommunismus in Mittel- und Osteuropa zurückgelegt hat. Ende der 1950er Jahre, als zwischen dem Westdeutschland Konrad Adenauers und dem kommunistischen Polen noch starre Abgrenzung herrschte, war in der deutschen Sektion von Pax Christi der Wunsch nach Kontakten mit versöhnungsbereiten Kreisen in der katholischen Kirche Polens aufgekommen. Vorangetrieben wurde diese Initiative von den Publizisten Alfons Erb (1907–1983) und Walter Dirks (1901–1991) und der Österreicherin Hildegard Goss-Mayr (geb. 1930), womit auch deutlich ist, dass es sich um eine von Laien getragene Bewegung handelte. Eine erste Kontaktreise 1960 kam nicht zu Stande, weil die Einreisevisa aus Polen nicht erteilt wurden. Ende 1963, unter dem Eindruck des Auschwitz-Prozesses in Frankfurt a. M., beschloss das Präsidium von Pax Christi, eine Delegation in das KZ Auschwitz zu schicken mit dem Ziel, mit der polnischen katholischen Kirche und mit polnischen KZ-Opfern Kontakte aufzunehmen. Pfingsten 1964 hat diese Reise stattgefunden. Es war eine Pionierleistung. Sie be­stärkte »alle Teilnehmer der Kontaktfahrt darin, dass Aussöhnung zwischen beiden Nationen ein Gebot der Stunde sei« (98).
Es war aber auch bald klar, dass Aussöhnung nicht nur in Worten oder Gesten, sondern auch in sichtbaren Entschädigungen stattfinden muss. So kam es zur Gründung der »Solidaritätsspende«– eines Fonds für ehemalige KZ-Häftlinge in Polen –, aus der unabhängig von staatlichen Entschädigungs- und Wiedergutmachungsleistungen an einzelne Opfer oder deren Familien Hilfen zur Linderung der Not und damit auch zur Überwindung der Verbitterung und des Hasses auf »die Deutschen« gegeben werden konnten. 1973 wurde die »Solidaritätsspende« in das Maximilian-Kolbe-Werk umbenannt. Sie erhielt damit den Namen des in Polen besonders verehrten Seligen, am 10. Oktober 1982 schließlich heilig gesprochenen Franziskanerpaters Maksymilian Maria Kolbe, der sich En­de Juli 1941 in Auschwitz beim Appell der SS-Lagerleitung freiwillig gemeldet hatte, um an Stelle eines bereits aufgerufenen polnischen Familienvaters in den Todesbunker zu gehen. Dort ist Kolbe kurz darauf, am 14. August 1941, ermordet worden.
In seiner chronologisch gegliederten, fast ausschließlich auf Originalquellen fußenden und flüssig geschriebenen Darstellung zeigt S., wie sich das Maximilian-Kolbe-Werk mit seiner verpflichtenden Idee von der Versöhnung zwischen Deutschen und Polen mit dem Schwerpunkt der Wiedergutmachung gegenüber polnischen KZ-Opfern gegen Missdeutungen und Widerstände in der deutschen Öffentlichkeit, bei Politikern, auch in der katholischen Kirche allmählich durchsetzt: Im Januar 1976 genehmigt die Ka­tholische Deutsche Bischofskonferenz die erste bundesweite Kollekte für das Werk, die Katholikentage 1978 und 1980 tragen zu seiner verstärkten Wahrnehmung in der kirchlichen Öffentlichkeit bei. Am Weltfriedenstag 1. Januar 1981 wird die zweite bundesweite Kollekte eingesammelt. Eine gezielte Öffentlichkeitsarbeit förderte die Zustimmung, die das Werk jetzt fand, die auch seiner finanziellen Leistungsfähigkeit zu Gute kam.
Diese beruhte auf regelmäßigen Zuschüssen der Deutschen Bi­schofs­konfe­renz, Einnahmen aus Mitgliederbeiträgen, Spenden und Kollekten. Damit hat das Kolbe-Werk in den Jahren 1974–1981 »ungefähr 9.700 ehemalige polnische Häftlinge und Witwen mit neuneinhalb Millionen DM« unterstützt (309). Die Hilfen konnten fast ununterbrochen gesteigert und allmählich auch in ihrer Qualität verbessert werden. Wegen der ablehnenden Haltung der polnischen Kommunisten waren zunächst nur Briefkontakte möglich, Geldzuwendungen liefen über Mittelspersonen. Später hat es gezielte Hilfsmaßnahmen bis hin zur Beschaffung von besonderen Medikamenten oder zu der Vermittlung von Kur­aufenthalten gegeben. Zuletzt sind ganze Gruppen von ehemaligen KZ-Häftlingen in deutsche Kirchengemeinden und zur Wiederbegegnung mit ihren früheren Konzentrationslagern eingeladen worden. Sehr bewegend sind die Dankesbriefe der betroffenen Polen. Eine Teilnehmerin schrieb: »Ich bin zweimal aus dem KZ befreit worden, einmal 1945 und einmal 1978 in Freiburg« (321).
Während die Einordnung der Geschichte des Maximilian-Kolbe-Werkes in die Strukturen der katholischen Kirche einschließlich Pax Christi, Caritas und dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken gut gelungen ist, bleiben parallele Aussöhnungsinitiativen auf evangelischer Seite – zum Beispiel des Johanniterordens oder der Hilfskomitees der Vertriebenen – unerwähnt, so dass der Eindruck entsteht, dass Pax Christi und danach das Maximilian-Kolbe-Werk »die längste in der Nachkriegszeit und bis zum heutigen Tag fortgeführte Aussöhnungsinitiative der Deutschen gegenüber Polen« darstellt (19.438). Ein Seitenblick auf ähnliche, zum Teil schon früher einsetzende und bis heute fortgeführte evangelische Aktivitäten hätte den Beitrag beider Kirchen zur Aussöhnung mit Polen deutlich gemacht, ohne die beeindruckenden Leistungen des Maximilian-Kolbe-Werkes zu schmälern.