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Ausgabe:

Dezember/2007

Spalte:

1313 f

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Öhler, Markus

Titel/Untertitel:

Barnabas. Der Mann in der Mitte.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2005. 205 S. m. 19 Abb. 8° = Biblische Ge­stalten, 12. Kart. EUR 14,80. ISBN 3-374-02308-8.

Rezensent:

Matthias Rein

»Das Christentum am Ende des 1. Jh.s war viel stärker von den Positionen des Barnabas geprägt, als das Neue Testament es erscheinen lässt«, schreibt der Wiener Neutestamentler Markus Öhler in dem anzuzeigenden Buch, das die Ergebnisse seiner Habilitationsarbeit »Barnabas. Die historische Person und ihre Rezeption in der Apos­telgeschichte« (WUNT 156, Tübingen 2003) allgemein verständlich zusammenfasst (143). Ö.s Urteil macht neugierig: Wer war Barnabas? Was vertrat er?
Barnabas war ein hellenistischer Jude, der dem Stamm der Leviten angehörte, in Zypern lebte und dort über Besitz verfügte. Er war in der hebräischen Welt und der des Diasporajudentums zu Hause, wurde Christ, trat in der Jerusalemer Gemeinde als Wohltäter auf und vermittelte dort zwischen den sprachlich, kulturell und theologisch verschieden geprägten Gruppen der Hebräer und Hellenisten. Die lukanische Tradition (Apg 14,4.14) und Paulus (1Kor 9,6) bezeichnen ihn als Apostel. Die Jerusalemer Gemeinde entsandte ihn nach Antiochia, wo er Ansehen genoss und mit anderen die Gemeinde leitete. Diese Gemeinde entwickelte in der Frage des Umgangs mit getauften Heidenchristen das Profil, das sich im ganzen römischen Imperium ausbreitete (60 f.). Barnabas trat auf dem Apostelkonvent als Sprecher der antiochenischen Gemeinde auf und suchte in der Frage der Anerkennung der Unbeschnittenen als vollwertige Gemeindeglieder Übereinkunft mit den Jerusalemern (79 f.). Auf Missionsreise wurden er und Paulus von Heiden in Lystra als Zeus und Hermes wahrgenommen (Apg 14,8–20). Ö. schlussfolgert, dass Barnabas dort als leitender Apostel wirkte und Paulus als sein Juniorpartner agierte (Kollegialmission, 114 f.124). Die Gründung neuer heidenchristlicher Gemeinden nach antiochenischem Vorbild geht auf ihn und Paulus zurück. Hinter dem Streit zwischen Paulus und Barnabas (Apg 15,36–41) stehen Ö. zu­folge verschiedene Missionsstrategien: Paulus will Gemeinden in Griechenland und Europa gründen, die an ihn, nicht an Antiochia gebunden sind. Barnabas bleibt im Einzugsbereich der antiochenischen Gemeinde und will die bestehenden Gemeinden konsolidieren (127 f.). Beim antiochenischen Zwischenfall trennen sich beide. Antiochia war eine mehrheitlich judenchristliche Gemeinde, deshalb sollte die Tora als Ordnung des Lebens (nicht als Grund des Heils) auch für die Heidenchristen gelten (138 f.). Für das Zu­sam­menleben von Heiden und Juden in der christlichen Gemeinde galten die Regeln für den Umgang mit Fremden in Israel (Lev 17 f.). Barnabas ging es um die Bewahrung jüdischer Identität und um die Einheit der Gemeinde, so Ö. Er spielte bei der Entwicklung des Kompromisses wahrscheinlich eine wichtige vermittelnde Rolle. Er verstand toratreue Judenchristen und Heidenchristen gleichermaßen; so war es ihm möglich, die antiochenische Gemeinde zu­sammenzu­halten, vermutet Ö. (142). Paulus trat in Antiochia als erfolgreicher Heidenapostel auf (134), stellte die Positionen des Petrus, Barnabas und der Antiochener in Frage, setzte sich aber nicht durch und wandte sich dann umso stärker der Heidenmission zu.
Wir erfahren aus der lukanischen Tradition und aus den Paulusbriefen von Barnabas. Die Darstellungen differieren zuweilen. Welche den historischen Vorgängen am nächsten kommt, bleibt un­gewiss, wobei die paulinischen Angaben trotz absichtsvoller Darstellung größeres historisches Gewicht haben. Unklar bleibt, wie Barnabas zu dem Titel Apostel kommt. Nach Lukas gehen die Apos­tel aus dem Zwölferkreis hervor, wozu Barnabas nicht gehört. In Apg 14,4.14 werden aber Barnabas und Paulus als Apostel bezeichnet. Nach Paulus ist ein Apostel Auferstehungszeuge und ein von Christus zur Evangeliumsverkündigung Gesandter. Da Paulus in 1Kor 9,4–6 Barnabas als Apostel bezeichnet, betrachtet er ihn wie sich selbst als Auferstehungszeugen und Christus-Gesandten, schlussfolgert Ö. Diesen Schluss halte ich nicht für zwingend. Mir scheint plausibler, dass uns mit Barnabas ein von einer Gemeinde ausgesandter Prediger und Missionar begegnet, der auch als Apos­tel bezeichnet werden kann, ohne Auferstehungszeuge oder Angehöriger des Zwölferkreises zu sein (vgl. 2Kor 12,11 ff., vgl. Roloff, Apostelgeschichte, NTD 5, 36). Ö. fasst seine Darstellung sachlich und sprachlich prägnant auf S. 143–148 zusammen. Ihm ist ein schönes Buch gelungen. Vieles bleibt dennoch über die Zeit der ers­ten Gemeindegründungen im Dunkeln. Man erführe gern mehr über Menschen wie Barnabas, die in sich jüdische und hellenistische Kultur vereinigten und die ersten christlichen Gemeinden wesentlich prägten.