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Ausgabe:

Dezember/2007

Spalte:

1311–1313

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Ådna, Jostein [Ed.]

Titel/Untertitel:

The Formation of the Early Church.

Verlag:

Tü­bingen: Mohr Siebeck 2005. XII, 451 S. gr.8° = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 183. Lw. EUR 99,00. ISBN 3-16-148561-0.

Rezensent:

Klaus Fitschen

Dass der neutestamentliche Kanon keine literaturgeschichtliche Grenze markiert, ist unmittelbar einsichtig, sind doch etliche neutestamentliche Schriften in einer Zeit entstanden, in der auch an­dere christliche Texte ihren Ursprung haben, wie etwa manche Vertreter der »Apostolischen Väter«. Dementsprechend markiert der Kanon auch keine historische Grenze in der Geschichte des frühen Christentums. So ist es auch sinnvoll, von einer Formationsphase der frühen Kirche zu sprechen.
Das zu besprechende Buch ist das Ergebnis einer Tagung skandinavischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, vorwiegend aus dem Bereich des Neuen Testaments, im Jahre 2003 in Stavanger. Die Beiträge gruppieren sich um vier Themenkreise: I. Das Verhältnis von Christen und Juden, II. Kontakte zwischen den frühen Gemeinden und Autoritätsstrukturen in ihnen, III. Der Kanon, IV. Nachneutestamentliche Entwicklungen. Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob die Beiträge die Hoffnung des Herausgebers rechtfertigen können, »that this book will stimulate debate and further work among biblical and patristic scholars« (VI).
Die meisten Beiträge bearbeiten Fragen, die sich innerhalb der neutestamentlichen Literatur und der von ihnen gespiegelten Verhältnisse stellen. So befasst sich Mikael Tellbe mit der Tempelsteuer – die im Neuen Testament allenfalls indirekt thematisiert wird– als Identity Marker für das Judentum vor 70 n. Chr. Umgekehrt gilt: »Christians who did not pay the tax were clearly not Jews« (25). Jon Ma. Asgeirsson fragt nach der Trägergruppe von Q: »it is obvious that without a community there would be no text such as Q« (100), und leitet aus den collegia und Schulen der hellenistischen Welt »a pattern for the development of early Christian groups and communities« (117) ab. Hans Kvalbein gibt auf die Frage nach der Stellung des Petrus bei Matthäus die gängige protestantische Antwort: Petrus hatte als Erstberufener eine Sonderstellung, aber keine Sondervollmacht, zumal Matthäus keine elaborierten Führungsstrukturen kennt. Zum Thema der innerneutestamentlichen Pluralität bzw. ja eigentlich der innerneutestamentlichen Kontroversen führt Outi Leppä die Debatten über die Speisevorschriften an.
Andere Beiträge greifen auf die Literatur und die Verhältnisse in nachneutestamentlicher Zeit aus. So diskutiert Anders Klostergaard Petersen die in den Titeln englischsprachiger Literatur häufig verwendete Metapher parting of the ways im Blick auf ihre Eignung für die Beschreibung der Entwicklung des Verhältnisses von Christentum und Judentum. Er bezieht dabei auch die Beobachtung ein, dass die christliche Polemik gegen judaisierende Tendenzen späterer Zeiten auf nach wie vor enge Beziehungen schließen lässt und somit die Wegscheide nicht zu früh angesetzt werden darf. Lone Fatum unterzieht die Pastoralbriefe einer Relecture: So erscheint nicht nur Paulus politically corrected (178), also als Stichwortgeber patriarchaler Strukturen, sondern im gleichen Zuge findet auch eine domestication of Christ (190) statt. Ein interessanter Aspekt ist hier die Annahme, die Pastoralbriefe wollten insbesondere die unverheirateten, unabhängigen Frauen maßregeln und dabei ein Gegenbild zu dem zeichnen, was etwa in der Gestalt der Thekla populär wurde. Reidar Aasgaard geht dem Motiv der Bruderschaft (Geschwisterschaft) in neutestamentlicher und nachneutestamentlicher Literatur nach und arbeitet verschiedene Traditionslinien heraus. In deren Hauptstrom zeigt sich die Ideali­sierung einer christlichen Geschwisterschaft, die die weltlichen Fa­milienbezie­hungen übertreffen soll. Mikael Isacson analysiert die Ignatiusbriefe im Blick auf den jeweils in ihnen vorausgesetzten Stellenwert des Bischofsamts. Isacson kommt zu dem Ergebnis, dass der Monepiskopat in den Ignatianen nicht nur Programm sein kann, da es Ignatius sonst an einer Anknüpfungsmöglichkeit gefehlt hätte. Ebenfalls mit den Ignatiusbriefen befasst sich Matti Myllykoski, der sich unter Diskussion der bisherigen Forschungsgeschichte um eine genauere Identifizierung der von Ignatius bekämpften Häretiker bemüht. Das Ergebnis ist dann aber: »The riddle of the ›wild beasts‹ and ›rabid dogs‹ in the letters of Ignatius remains unsolved« (374). Odd Magne Bakke wiederum setzt beim Bischofsverständnis des Ignatius an, um von hier aus Vergleiche mit Irenäus und Cyprian anzustellen, wobei die Unterschiede zwischen beiden ebenso deutlich sichtbar werden, da bei Irenäus das Traditionsprinzip, nicht aber hierarchische Strukturen im Vordergrund stehen.
Ein eigener, das Neue Testament und das antike Christentum übergreifender Aspekt ist die Formierung des Kanons. Antti Marjanen diskutiert, ob montanistische Sympathien für bestimmte Schriften etwas mit der Abgrenzung des Kanons zu tun hatten, und kommt zu einem im Wesentlichen negativen Ergebnis. Hier geht es speziell um das Johannesevangelium, ferner um die Johannes­apokalypse und den Hebräerbrief, aber auch um den Hirten des Hermas und die Petrusapokalypse. Petri Luomanen befasst sich mit der Frage, inwieweit Euseb das Hebräerevangelium kannte und ob die von ihm gezogene Verbindung zwischen Hebräerevangelium und Ebioniten tragfähig ist.
Methodische Fragen, aber wiederum nur auf das Neue Testament bezogen, spricht Hanna Stenström an: »›feminist exegesis‹ is not a method, it is a perspective« (78), und sie fragt dabei nicht weiter, wie das Verhältnis zwischen der construction of women (80) und real women (83) in Texten der christlichen Antike ist. Eine ähnliche Problemanzeige gilt für Reidar Hvalviks Beitrag zur Einheit der paulinischen Gemeinden. Ist unter Neutestamentlern die Rede von Early Christianities gängig (123), so ließe sich diese Pluralisierung ja einfach auf spätere Zeiten übertragen. Der ecumenical horizon eines Paulus (126) fände sich ja womöglich auch bei einem Ignatius, und die Frage, wie das kirchliche Intranet (143) wuchs, müsste gerade in das 2. Jh. hinein weiterverfolgt werden.
Wo die Beiträge also interessante Ansätze bieten, werden sie oft nicht konsequent genug verfolgt. So gibt das Buch wohl einen Einblick in aktuelle Diskurse, doch hätte der Brückenschlag in die Patristik hinein noch konsequenter erfolgen können. Es zeigt sich aber auch, dass vieles in der Forschungsgeschichte doch schon einmal gesagt worden ist und andererseits die frühen Quellen des Christentums oft nur sehr ungefähre Antworten auf heutige Fragen geben können. Die Ignatiusbriefe etwa sind eine wichtige, aber durch die ihnen anhängenden Interpretationsprobleme auch eine überaus sperrige Quelle.
Das Gesamtbild eines sich durch unterschiedliche religions­geschichtliche, kulturelle und soziale Hintergründe von vornhe­rein innerhalb gewisser Grenzen pluralisierenden Christentums scheint jedenfalls stabil zu sein. Schwieriger zu klären ist weiterhin die Frage, wie der Prozess innerer Kohärenzbildung und gleichzeitiger Ausgrenzung von als häretisch erachteten Positionen verlief. Die Beiträge bieten hierzu etliche wichtige Aspekte, deren Vertiefung im Sinne der Hoffnung des Herausgebers die Debatten über die Grenzen zwischen Neuem Testament und Patristik anregen kann.