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Ausgabe:

Dezember/2007

Spalte:

1310 f

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Shields, Martin A.

Titel/Untertitel:

The End of Wisdom. A Reappraisal of the Historical and Canonical Function of Ecclesiastes.

Verlag:

Winona Lake: Eisenbrauns 2006. XII, 250 S. gr.8°. Geb. US$ 37,50. ISBN 978-1-57506-102-3.

Rezensent:

Ludger Schwienhorst-Schönberger

Die These des Buches ist einfach und klar, aber, um es gleich vorweg zu sagen, sie überzeugt mich nicht. Der Vf. versucht die Frage zu beantworten, warum das Buch Kohelet überhaupt in den Kanon gelangen konnte. Dabei geht er wie selbstverständlich davon aus, dass das Buch inhaltlich unvereinbar mit den übrigen Schriften der Hebräischen Bibel sei. Sah die bisherige Forschung im Epilog des Bu­ches (12,9–14) vor allem den Versuch, die Lehre Kohelets zu entschärfen und sie mit der tora-orientierten (weisheitlichen) Tradition des Alten Testaments zu vermitteln (12,13: »Fürchte Gott und achte auf seine Gebote!«), so versteht der Vf. den Epilog als den Versuch, nicht nur das Buch Kohelet, sondern mit ihm die gesamte weisheitliche Tradition zu diskreditieren (6). So ist auch der Titel des Buches: »The End of Wisdom« zu verstehen – nicht im Sinne von Abschluss und Vollendung der Weisheit, sondern im Sinne der Beendigung eines von Anfang an fragwürdigen und in seiner Fragwürdigkeit im Koheletbuch offenkundig gewordenen Unternehmens. Das ist eine kühne These. Versuchen wir, den Argumentationsgang des Vf.s nachzuvollziehen.
Im ersten Kapitel (7–20) seiner Dissertation gibt der Vf. einen Überblick über »Weisheit in der Hebräischen Bibel«. Tenor seiner Ausführungen: Im Grunde wird die Weisheit in allen Büchern und Traditionen der Hebräischen Bibel mehr oder weniger abgelehnt, angefangen von der klugen Schlange in Gen 3 bis zu Ben Sira. Allerdings sieht sich der Vf. genötigt, bei den klassisch weisheitlichen Werken eine Unterscheidung einzuführen zwischen einer »wahren« Weisheit, die von Gott stammt, und einer Weisheit, die nichts als Menschenwerk ist (20). Mit Kohelet komme, so der Vf., die menschliche Weisheit an ihr Ende (20: »It will become apparent that Qoheleth is a prime example … of the failure of human wisdom.«). Gegen diese These ist zunächst einmal nichts einzuwenden, wenn sie richtig interpretiert wird. Problematisch aber wird es, wenn der Vf. die zuvor vorgenommene Differenzierung im folgenden Satz wieder fallen lässt: »Then, declaring the bankruptcy of the wisdom movement in light of Qoheleth’s admissions, the epilogist points to an alternative wisdom and claims access to the answers for which Qoheleth searched in vain – answers revealed by God« (20).
Überzeugend ist die im zweiten Kapitel (21–46) vorgenommene (relative) zeitliche Situierung des Buches zwischen Proverbien und Ijob auf der einen, Weisheit Salomos und Ben Sira auf der anderen Seite. Überrascht ist man dann aber doch, wenn das Koheletbuch in die vorexilische Zeit datiert wird; dabei beruft sich der Vf. u. a. auf Beobachtungen zur Sprache des Buches. Die in diesem Zusammenhang angeführte Untersuchung von A. Schoors, The Preacher Sought to Find Pleasing Words, Leuven 1992, bestätigt allerdings genau das Gegenteil von dem, was der Vf. behauptet (22, Anm. 2).
Kernstück der Arbeit bildet die Analyse des Epiloges (12,9–14) im dritten Kapitel (47–109). Der Vf. geht davon aus, dass der Epilog von einem einzigen Autor stammt, der nicht identisch war mit Kohelet. Wort für Wort behandelt der Vf. im Gespräch mit der Forschung viele Fragen und Probleme, die der Epilog aufwirft. Kohelet, so schreibt der Vf. zu Recht bei der Auslegung von 12,9–10, war ein Weisheitslehrer, der sich allerdings in zweierlei Hinsicht von einem gewöhnlichen Weisheitslehrer unterschied: Zum einen richtete er seine Lehre nicht ausschließlich an den kleinen Kreis einer intellektuellen Elite, sondern an »das Volk«, und zum anderen korrigierte er die Worte anderer Weisheitslehrer. Einzelheiten der Auslegung können hier nicht diskutiert werden. Es sei aber doch der Hinweis erlaubt, dass 12,12 keine Warnungen vor den Tätigkeiten der Weisen ausspricht, wie der Vf. behauptet (91), sondern eine Warnung vor der Anfertigung weiterer, zahlreicher Bücher und eine Warnung vor dem damit einhergehenden anstrengenden, textgestützten Lernen (des Inhaltes dieser Bücher). Angesprochen ist der Schüler (»mein Sohn«), nicht der Weisheitslehrer! Dass damit möglicherweise das Koheletbuch nicht kritisiert, sondern gegen die Einführung weiterer Bücher, eventuell des Sirachbuches, (in den Schulunterricht) verteidigt werden soll, wird vom Vf. nicht in Erwägung gezogen.
Im vierten und letzten Kapitel (110–235) präsentiert der Vf. eine durchgehende Interpretation des Buches. Gleichsam zur Bestätigung seiner These möchte er hier zeigen, dass das Koheletbuch in jeder Hinsicht inkompatibel mit den übrigen biblischen Schriften ist. So bleibt dem Epilogisten nur noch die Aufgabe, zu sagen, dass Kohelet als typischer Vertreter der Weisheit mit der offenkundigen Häresie seiner Lehre zugleich seine gesamte Kollegenschaft der Irrlehre überführt: »With the epilogist’s insistence that Qoheleth is preeminent among the sages and speaks honestly, together with the epilogist’s more general warnings against the sages, the reader is brought to the conclusion that the way of the sages is not compatible with the way of God revealed through Moses and the prophets« (235).
Die formal logisch aufgebaute Arbeit bietet Gelegenheit, sich mit notorisch schwierigen Versen des Koheletbuches intensiv zu befassen. Trotz einzelner interessanter Beobachtungen scheint mir die These des Buches, alles in allem gesehen, falsch zu sein. Die Bibel wie das Koheletbuch enthalten eine differenzierte Sicht der Weisheit, keine pauschale Ablehnung. In diesen Prozess der Differenzierung ist auf seine Weise auch der Epilog des Koheletbuches eingebunden. Mit der Verbindung von Weisheit, Gottesfurcht und Halten der Gebote dürfte er, wie von vielen Forschern angenommen, vom Vf. jedoch abgelehnt wird, sehr wohl in irgendeiner Verbindung zum Sirachbuch stehen. Es fällt auf, dass der Vf. bei­nahe ausschließlich die englischsprachige Forschung (Crenshaw, Fox, Gordis, Longman, Murphy, Seow, Whybray) berücksichtigt; die deutschsprachige (z. B. Backhaus, Krüger, Lohfink, Michel, Schwien­horst-Schönberger, Zimmerli) und die romanischsprachige Forschung (Bonora, Pahk, Vílchez Líndez, Maussion) werden kaum oder gar nicht herangezogen. Auch der bedeutende Kommentar des jüdischen Gelehrten Ludwig Levy scheint dem Vf. nicht bekannt zu sein. Eine sorgfältige, argumentative Auseinandersetzung mit alternativen Interpretationen hätte der Arbeit gutgetan.