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Ausgabe:

Dezember/2007

Spalte:

1307–1309

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Pruin, Dagmar

Titel/Untertitel:

Geschichten und Geschichte. Isebel als litera­rische und historische Gestalt.

Verlag:

Fribourg: Academic Press Fribourg; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2006. 363 S. gr.8° = Orbis Biblicus et Orientalis, 222. Geb. SFr 120,00. ISBN 978-3-7278-1570-6.

Rezensent:

Martin Beck

Die bei R. Liwak gearbeitete und im Wintersemester 2003/2004 von der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin angenommene Dissertation erarbeitet im Spannungsfeld von Geschichte als in 1/2Kön erzählter Geschichte, als historischer Rekonstruktion des Geschehens im 9. Jh. v. Chr. und als Geschichte der Forschung ein Profil der Isebel als literarischer und historischer Gestalt (vgl. dazu 1 samt Anm. 3, sowie 59 f.).
Nach Vorüberlegungen zum Geschichtsbegriff und zur Anlage der Arbeit (Kapitel I: 1–5) unternimmt P. zunächst zwecks unvoreingenommener Textwahrnehmung eine synchrone Analyse von 1Kön 16,29–33; 17–19; 21; 22,53; 2Kön 3,2; 9–10 in Leserichtung des Textes (Kapitel II: 6–58). Dabei arbeitet sie insbesondere die Funktionen von Weissagung und Erfüllung, der Terminologie der Nahrungsaufnahme, der Verehrung von Baal und Aschera, der diversen Rollen Isebels (phönizische Königstochter, Frau Ahabs, Königsmutter, Herrscherin) und die verschiedenen Personenkonstellationen heraus. So werden interessante Phänomene des Endtextes deutlich. Da jedoch »von einem stimmigen Gesamtbild nicht gesprochen werden kann« (57), ist eine diachrone Analyse erforderlich. Diese erfolgt in dem ausführlichen Kapitel V (132–300).
Zuvor bietet P. jedoch eine informative Forschungsgeschichte (Kapitel III: 59–118), bei der sie 16 verschiedene Isebel-Bilder in Monographien zu den Omriden und in Darstellungen der Ge­schichte Israels vorstellt und abschließend über die jeweiligen Voraussetzungen und Zugangsweisen und Verstehensschlüssel reflektiert.
Es folgen in Kapitel IV (119–131) methodische Überlegungen. Bei der Unterscheidung von Tradition (als mündliche und schriftliche Vorgaben redaktioneller Arbeit) und Redaktion weist sie darauf hin, dass nicht Tradition mit »historisch« und Redaktion mit »unhistorisch« gleichgesetzt werden dürfe. Deshalb geht es auch in der folgenden diachronen Analyse (Kapitel V) um Isebel als literarische Gestalt, ohne dass die Frage nach der Historizität der Ereignisse gestellt werden soll: Es »wird der Text … als Literatur in den Blick genommen« (130).
2Kön 9–10 liegt ein durchgehender Erzählverlauf zu Grunde, der von 9,1 bis 10,17 (!) reicht. Diese Erzählung ist zeitlich nahe bei den Ereignissen in Jehu bzw. seiner Dynastie gegenüber positiv eingestellten Kreisen in Samaria entstanden. Sie möchte Jehu legitimieren. Jehu gegenüber kritisch gestimmte Anfragen werden aufgenommen, aber durch die Struktur der Erzählung und durch den Verweis auf die Mitverantwortung der anderen Aktanten entkräftet. Durch die aufgenommene alte Unheilsweissagung (9,26a) und mittels redaktioneller Erweiterungen, die mit dem Schema Weissagung – Erfüllung operieren (9,7–10a.22b β.29.36 f.; 10,10.11.17), wird Jehu ausdrücklich mit der Rache am Haus Ahab beauftragt. Die Elemente Weissagung und Erfüllung erweisen sich nur teilweise als dtr (9,36; 10,10.17; vgl. 1Kön 21,23.24). Nicht von den Elementen Weissagung und Erfüllung umgriffen werden jedoch die ebenfalls redaktionellen dtr Passagen 10,15 f. und 10,18–27. Sehr spät sind die redaktionellen Stellen 9,7b und 9,22bβ zu verorten, die mit späten Stufen von 1Kön 17–19 korrespondieren.
Den Werdegang von 1Kön 21 stellt sich P. so vor, dass in einem ersten Schritt eine vorliegende Unheilsweissagung (V. 19b) Elia zugeordnet, eine schriftlich vorliegende Erzählung (V. 1aβ–16) aufgegriffen und damit die V. 1aβ–20abα als literarische Einheit ge­staltet wurden. Die komplette Erzählung 21,1aβ–20abα ist ins ausgehende 8. Jh., eher ins 7. Jh. zu datieren. Die Unheilsweissagung 21,19b stammt hingegen noch aus der Zeit Ahabs, ist aber unabhängig von 9,26a tradiert worden. Als zweite Stufe können ebenfalls im 7. Jh. die Unheilsweissagungen V. 23 und V. 24 entstanden sein. In der jetzigen Fassung im Kontext von V. 20bβ–24 − auf der dritten Stufe also − handelt es sich jedoch um eine dtr Konstruktion. Dtr sind ebenfalls die V. 27–29. Viertens stellen die V. 25 f. die späteste Stufe dar.
Das Entstehen des Elia-Zyklus rekonstruiert P. folgendermaßen: Den Ausgangspunkt bildet ein altes Fragment von Elia als Regenzauberer (18,19*. 20*.41–46); hier erscheint Elia als Hofprophet Ahabs. Die Erzählung von der Feuerprobe 18,21–40 ist erst in nachexilischer Zeit entstanden und mit der alten Tradition zusammengearbeitet worden. Die Dürreerzählung 17,1–18,18 wurde dann als Vorgeschichte konzipiert; sie setzt das dtr Rahmenschema voraus; auch die Elisaüberlieferung ist bekannt. Hierbei hat man den Verweis auf Isebel als Ernährerin von Baal- und Ascherapropheten (18,19*) eingetragen, wodurch Isebel zur Gegenfigur der Witwe von Zarpat geworden ist. In weiteren Schritten wurden die Passagen 18,3b–4 und 18,12–14 hinzugefügt, durch die Isebel als Verfolgerin der YHWH-Propheten erscheint. Schließlich wurde durch 19,1–3a α die einheitliche Erzählung 19,3aβ–18 mit der Dürreerzählung zusammengebunden. Isebel wird so zur Verfolgerin Elias. »Die Hinweise auf Isebel binden die einzelnen Texte enger zu dem heute vorliegenden Elia-Zyklus zusammen und schaffen dabei das Bild von einer machtvollen Gegenspielerin Elias auf der strukturellen Ebene« (299).
In Kapitel VI bündelt P. ihre Ergebnisse und spitzt diese auf die Frage nach Isebel als historischer Gestalt zu. Da synchron der Name Isebels (»Baal trägt«) von den Erzählungen konterkarriert wird, ist es zwar denkbar, dass Isebel eine bloß literarische Gestalt darstellt. Doch spricht die diachrone Differenzierung dagegen. Der Name ist außerdem epigraphisch gesichert und kann kein reiner Kunstname sein. »Gerade weil der Grundtext der Erzählung vom Putsch des Jehu (II Reg 9.10), das alte Fragment in I Reg 18,41–46 und die Erzählung von Nabots Weinberg (I Reg 21,1–20ab α) keine Korrespondenz zwischen den geschilderten Ereignissen und Bedeutungen der Na­men aufweisen, sondern erst auf der letzten Stufe der Überlieferung Isebel und Elia als Gegenspieler auf der strukturellen Ebene gezeichnet werden, ist es weitaus wahrscheinlicher, daß in den Na­men der beiden Aktanten Isebel und Elia ein Ansatzpunkt für das Wachstum der Überlieferung zu finden ist« (312).
Ein religiöser Konflikt im 9. Jh. ist jedoch unwahrscheinlich, der Putsch des Jehu (2Kön 9–10) rein profan (soziale Ungerechtigkeit der Omriden?) motiviert. In 1Kön 21 spiegeln sich allenfalls Erinnerungen an die tatkräftige Isebel, eine Auseinandersetzung zwischen Israel und Kanaan ist nicht zu begründen. Isebel war »eine phönizische Kö­nigs­tochter, die aus einem Land stammte, das sich möglicherweise in religiöser und kultureller Hinsicht viel weniger von Israel unterschied, als man es zu früheren Zeiten vermutete. Als Garantin für gute nachbarliche Beziehungen wurde sie mit einem König aus einer aufstrebenden israelitischen Dynastie verheiratet und selber Mutter zweier Könige. Sie war ein so wichtiges Mitglied der omridischen Dynastie, daß ihrem Tod eine breite Schilderung gewidmet wurde.« (330) Erst im Lauf der Überlieferung »entsteht das Bild der schlimmsten – aber auch mächtigsten ­– Frauengestalt im Alten Testament« (331).
Kapitel VII (332–363) stellt als Rezeption des biblischen Isebelbildes die rabbinische Auslegung dar. Ihre Schwerpunkte liegen im religiösen Bereich: Isebel wird verstanden »als Verfolgerin der wahren Propheten und als Verführerin zu fremden Göttern« (362). Ein Abkürzungs- und Literaturverzeichnis (364–395) sowie ein Register ausgewählter Bibelstellen und Stellen rabbinischer Schriften (396–398) runden das Buch ab.
Das Werk ist ausführlich methodisch reflektiert, solide gearbeitet und argumentiert differenziert. Daher verdient es eine eingehende kritische Auseinandersetzung und wird sicher eine wichtige Rolle spielen. Als mühevoll wird es der sich schnell informieren wollende Leser empfinden, dass P. vorschnelle Urteile vermeiden möchte und daher stets längere Sondierungen unternimmt.
Die im Spannungsfeld des Geschichtsbegriffs situierte Arbeit steht selbst freilich auch in einer Geschichte. Denn eine weitere Abkoppelung der Isebelgestalt von religionspolitischen Vorgängen war angesichts des derzeitigen Forschungstrends durchaus zu er­warten. P. gelingt es dabei jedoch, ein insgesamt plausibles Ge­samt­bild zu zeichnen. Freilich wird man nicht in allen Punkten ihrer Meinung folgen. Ganz grundsätzlich stellt sich allerdings die Frage, ob P. ihre methodische Vorbemerkung, dass auch in späten redaktionell konzipierten Texten historische Erinnerungen durchschimmern könnten, nicht doch ernster hätte verfolgen können. Hat die Redaktion die Idee eines religionspolitischen Konflikts allein aus den Namen der Hauptpersonen herausgesponnen? Gab es für die Überlieferungsentwicklung keine geschichtlichen Wurzeln?