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Ausgabe:

Dezember/2007

Spalte:

1305–1307

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Firth, David G.

Titel/Untertitel:

Surrendering Retribution in the Psalms. Responses to Violence in Inidividual Complaints. Foreword by D. L. Morcom.

Verlag:

Carlisle: Paternoster 2005. XVI, 154 S. gr.8° = Paternoster Biblical Monographs. Kart. £ 19,99. ISBN 1-84227-337-X.

Rezensent:

Beat Weber-Lehnherr

David Firth ist Australier, wirkte mit der Baptist Missionary Society in Südafrika und ist derzeit Old Testament Tutor am Cliff’s College in Großbritannien. Seine hier vorzustellende Dissertation entstand unter W. S. Prinsloo, wurde 1996 an der University of Pretoria eingereicht und mit geringfügigen Änderungen als Buch veröffentlicht.
Herausfordernde Fragen angesichts der Gewalt in Südafrika im Kontext des zu Ende gehenden Apartheid-Regimes bilden die Ausgangslage und Motivation dieser Studie. Sie konzentriert sich auf individuelle Klagepsalmen bzw. Bittgebete, in denen Äußerungen zu Formen der Gewalt auftauchen. Das Untersuchungsergebnis stellt F. thesenartig an den Anfang: Diesen (untersuchten) Psalmen liegt durchgehend eine Theologie zu Grunde, die jegliche Form menschlicher Gewaltvergeltung als angemessene Antwort auf erlittene Gewaltanwendung ablehnt. Vergeltung wird im Gebet und Gottesdienst Gott anheimgestellt, dem allein das Recht zur Ausübung von Gewalt zusteht.
Im Eingangskapitel wird der Begriff »Gewalt« definiert (»un­necessary use of force«), kategorisiert (physische, psychische und strukturelle Gewalt), und es werden die Methodologie und das ge­wählte Vorgehen dargelegt. F. geht zwar von formgeschichtlichen Überlegungen aus, ist aber weniger am (ursprünglichen) Sitz im Leben bzw. Kult der einzelnen Psalmen interessiert. Vielmehr liegt der Fokus auf der Kontextuierung der Psalmen im Psalter als Buch (kanonischer Ansatz), womit eine Bedeutungsverschiebung in Richtung Unterweisung einhergeht. Zum Schluss werden die Parameter zur Herausschälung der für die Thematik relevanten Psalmen aufgeführt und die exegetische Vorgehensweise dargestellt. Jeder Psalm wird gemäß den folgenden vier Stichworten erarbeitet: 1. Formkritische Diskussion; 2. Struktur; 3. Art der Gewalt; 4. Antwort auf die Gewalt.
Kapitel 2 ist den Psalmen mit Falschanklage gewidmet. Unter dieser Rubrik werden die Psalmen 7; 17; 109 und 139 behandelt. Es folgt die Erarbeitung von Individualgebeten um Gewährung von Schutz. In diesem längsten Kapitel werden die Psalmen 3; 27; 35; 55; 56; 64 und 143 analysiert. Den Schluss der exegetischen Untersuchungen bilden die beiden Krankheitspsalmen 38 und 69. Bei aller Unterschiedlichkeit der Psalmen im Einzelnen sieht F. doch ge­meinsame Charakteristika. Obwohl die Psalmbeter sich zum Teil auch physischer Gewalt ausgesetzt sehen, reflektieren die untersuchten Psalmen überwiegend Sachverhalte, die F. unter die Be­zeich­nung »psychological violence« fasst. Dazu gehört auch die An­drohung (aber noch nicht Durchführung) physischer Gewalt. Das Maß der erfahrenen bzw. angedrohten Gewalt wird dabei in den Gesuchen der Betenden um Ahndung an den Feinden nicht überschritten. Nach F. liegt solchem Maßhalten in Gerichtswünschen an Gott die lex talionis als anerkannte (aber meist ungenannte) Richtschnur zu Grunde. Darüber hinaus zeigt sich bei all diesen Psalmen, dass die einzige angemessene Reaktion auf erlittene oder angedrohte Gewalt eines Einzelnen das Übergeben der Situation im Gebet an Gott ist – mit dem Anliegen, dass er in Gerechtigkeit richte.
Die Verbindung eines modernen Situationshintergrunds (Ge­walt in Südafrika) mit einer Monographie zum Umgang mit Ge­walt in der Bibel – hier sektoriell beschränkt auf individuelle Bittgebete – erscheint vielversprechend, weil gegenwartsrelevant. Leider weist die Studie methodische wie inhaltliche Mängel auf. Zu­nächst sind Limitierungen zu nennen. So ist zu bedauern, dass F. die Gelegenheit nicht wahrgenommen hat, die Untersuchung bibliographisch aufzudatieren. Gerade im Blick auf die von ihm aufgegriffene kanonische Sichtweise auf den Psalter sind in den letzten Jahren viele Studien entstanden, deren Einsichten gewinnbringend aufzunehmen gewesen wären. In der knappen Bibliographie fehlen außerdem wichtige Werke zum Umkreis des Themas selbst. Ich denke an Klaus Seybolds Monographie zu den Krank­heitspsalmen, Othmar Keels Studie »Feinde und Gottesleugner« und vor allem an das Buch von Erich Zenger »Ein Gott der Rache? Feindpsalmen verstehen«. Der (zu) kurzen Studie fehlt zudem eine Einbettung der Texte in sozialgeschichtliche und juristische Parameter des Alten Orients und des Alten Testaments. Dies und die vorgenommene Beschränkung auf die Gruppe der Individualpsalmen erschweren theologische Implikationen und Schlussfolge­rungen. F. deutet selbst an, dass bereits das Einbeziehen der Kö­nigs­psalmen das Bild des Umgangs mit Gewalt verändern würde. Abgesehen davon, dass die Kategorisierung von physischer und psychischer Gewalt an die Psalmgebete herangetragen wirkt, sowie von methodisch nicht recht geklärten Wechseln zwischen formgeschichtlicher Untersuchung von Einzelpsalmen und deren Interpretation als Teil der kanonisch gewordenen Buchkomposition, richtet sich mein Einwand gegen die Hauptthese selbst. Dass Individuen in durch Gewalt hervorgerufener Not im Gebet bei JHWH Zuflucht suchen und von diesem einerseits Hilfe, andererseits Gericht und Vergeltung der Bedränger erwarten, ist unbestritten. Ob dabei in jedem Fall die lex talionis die Grundlage bildet, ist zumindest dis­kussionswürdig. Insbesondere aber ist die Verschiebung von einer deskriptiven auf eine präskriptive bzw. ethische Ebene problematisch: Aus dem Verhalten der Betenden in und mit diesen Psalmen (allein) ist keine juridisch-theologische Verhaltensnorm »Ablehnung von (vergeltender) Gewalt« direkt abzuleiten, wie dies zu kurzschlüssig geschieht – weder im Blick auf den damaligen noch auf den heutigen Horizont. Neben Detailfragen zu Textpassagen im Einzelnen (es fällt z. B. auf, dass manche »gewalttätigen« Aussagen, u. a. solche mit militärischen Konnotationen, metaphorisch interpretiert werden), ist nicht ausgemacht, dass die sich äußernden Notleidenden aus einer (starken!) Position des theologisch begründeten Gewaltverzichts heraus beten. Es ist nicht auszuschließen, dass sie diesen Weg beschreiten, weil sie sich nicht an­ders wehren können (nicht: wollen!) und/oder Rechtsmittel ausgeschöpft sind.
Zudem stellt sich die Frage, ob die Verschiebung der Ausübung von Gewalt auf Gott mit teils drastischen Bitten und Verwünschungen in Richtung der Feinde die Sache in theologischer Hinsicht einfacher macht. Hört Gott etwa diese Gebete nicht und handelt nicht den Bitten entsprechend? Hier werden Problemstellungen ausgeblendet oder aber abgemildert durch den Hinweis, dass durch die Einbindung der Psalmen in das Buch eine Bedeutungsverschiebung in Richtung Instruktion zu Stande komme (hinter der Psalterredaktion vermutet F. entsprechend »quietistische Kreise«). Provokativ gefragt: Löst die Verschiebung vom »gewalttätigen Menschen« zum »gewalttätigen Gott« das Problem oder verschärft sie dieses sogar?
Das Buch stellt wichtige Fragen vor aktuellem Horizont, bleibt aber (zu) viele Antworten schuldig. Für schlüssige Antworten wä­ren einerseits die Grenzen zu weiten in Richtung weiterer Texte, an­dererseits zu verengen, indem zunächst im damaligen ge­schichtlichen Kontext verblieben würde und in einem zweiten Teil hermeneutische sowie theologisch-ethische Transfer-Überlegungen zur Adaption der Ergebnisse in moderne Kontexte der Gewalt angestellt würden.