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Ausgabe:

Oktober/1996

Spalte:

934–936

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Weigl, Michael

Titel/Untertitel:

Zefanja und das "Israel der Armen". Eine Untersuchung zur Theologie des Buches Zefanja

Verlag:

Klosterneuburg: Österr. Kath. Bibelwerk 1994. XII, 329 S. 8o = Österreichische Biblische Studien, 13. Kart. öS 330,­. ISBN 3-85396-085-5

Rezensent:

Eckart Otto

Die Zefanjaforschung spiegelt die Grunddissense gegenwärtiger Prophetenforschung wider. Auf der einen Seite sieht der Vf., Assistent am Institut für Alttestamentliche Bibelwissenschaft an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien, Positionen, die durch eine minutiös zergliedernde Lite-rarkritik die ipsissima vox des Propheten rekonstruieren wollen und damit den Zugang zum Gesamttext und dessen "Botschaft" eher blockieren als fördern. Auf der anderen Seite stehen Arbeiten, die an der kanonischen Endgestalt des Textes orientiert die diachrone Fragestellung nach der Entstehung des Textes ausblenden und damit die Botschaft des Propheten aus dem Blick verlieren. Eine Vermittlungsposition werde von N. Lohfink exemplarisch vertreten und ihr schließt sich der Vf. in seiner bei Georg Braulik verfaßten Dissertation an. Diese Position geht davon aus, daß der Großteil des Zefanjabuches vom Propheten stamme, der bereits mit der Redaktion seiner Sprüche nochmals theologische Akzente gesetzt habe. Der Vf. stellt in das Zentrum seiner Arbeit einen bislang wenig beachteten theologischen Aspekt: Gibt es in der Sicht des Propheten angesichts des Versagens der Gesellschaft und der Ankündigung ihrer Vernichtung noch Hoffnung auf eine Kontinuität der Heilsgeschichte, und wer sind diejenigen, an denen sich die Hoffnung als "Rest Israels" (Zef 3,13) festmacht? Die Antwort lautet: In den Armen und Niedrigen, bei denen Gott allein noch Hoffnung auf Treue haben kann.

Wesentliches Argument für die Rückführung der Einheiten Zef 1,4-6.8b-9.12b-13 auf den Propheten Zefanja ist die enge Beziehung zwischen Zef 1,4-6 und 2Kön 22 f. Im Zentrum der Kritik an religiöser Assimilation und wirtschaftlichem Machtmißbrauch stehen Hof-und Oberschicht Jerusalems. Die Einheiten Zef 1,7.10*-11.14-16 konfrontieren mit dem unmittelbar bevorstehenden "Tag JHWHs", der im Prophetenwort schon anbricht. Nicht um ein endzeitliches Geschehen geht es dabei, sondern um eine Unheilsankündigung für Jerusalemer Bürger, die erst durch Zef 1,2-3.17-18a universalisiert wird.

Während der reichen Stadtbevölkerung kein Entrinnen bleibt, hat die arme Landbevölkerung die Chance, ihre Zukunft durch gerechtes Tun zum Guten zu wenden (Zef 2,1-3). Auch die in Zef 2,4-15 folgenden Fremdvölkersprüche werden bis auf eine Erweiterung in V.7* für authentisch gehalten ­ eine insbesondere für Zef 2,11, die Erwartung, die Völker werden JHWH verehren, angesichts der Nähe zu Mal 1,11; Ps 22,28-30 die literarische Nachgeschichte der Prophetie Zefanjas zu gering veranschlagende These. Der in Zef 1,4-13* angekündigte Prozeß der Entfremdung zwischen JHWH und Jerusalem wird in Zef 3,1-5* als vollzogen konstatiert. Die Drohungen gegen die Nachbarvölker, die die Unheilsankündigungen in Zef 1 unterstreichen, erweisen sich als fruchtlos, so daß nun Jerusalem unter dem Thema der Fremdvölker abgehandelt wird. Die Vorkommnisse in der Völkerwelt hatten die Funktion, als warnendes Beispiel zu dienen, das Jerusalem aber nicht beachtet (Zef 3,6-8). Mit V. 8 aber kündigt sich ein Umschlag an: JHWH werde einen radikalen Umsturz herbeiführen. Aus den fernsten Völkern werden im Gegensatz zum verstockten Jerusalem Verbündete JHWHs, der Tag des Gerichts zu einem Heilstag für die Völker (Zef 3,9-10), die zu JHWH-Verehrern werden.

Aus Jerusalem werden die entfernt, die über Jerusalems Hoheit jubeln (Zef 3,11): Jerusalem wird nicht mehr hochfahrend sein, denn der "Rest" werden die Armen sein. Die prekäre soziale Situation ­ und darin sieht der Vf. das wahrhaft Revolutionäre ­ wird die Voraussetzung für eine heilvolle Zukunft (Zef 3,12 f.). Die Umgestaltung Jerusalems zur Gesellschaft der Armen läßt schließlich den Jubel aufbrausen (Zef 3,14 f.).

Der Durchgang durch diese "kleinen Einheiten" zeigt nach Meinung des Vf.s nicht wahllos zusammengestellte Einzelsprüche, sondern deutlich entwickelte Spannungsbögen, was nach der Komposition von Zef 1,2-3,15 fragen läßt. Da Zef 1,2-3,15 bis auf kleinere Ergänzungen in Zef 1,3*.4*.9*.17*.18*; 2,7*.9*.10*; 3,5*.8*.10* auf den Propheten Zefanja zurückgeführt wird, entfällt die Hypothese der Redaktion des Buches im klassischen Dreierschema von Unheil für Israel/Unheil für die Völker/Heilsworte. Vielmehr ist eine auf den Propheten zurückzuführende Kompositionsstruktur zu suchen, die der Vf. im Anschluß an N. Lohfink findet. Lohfink sieht eine erste Ringkomposition um das Thema des JHWH-Tages in Zef 1,10 f. als Zentrum gelegt. Eine zweite Ringkomposition zwischen Zef 2,1 und 3,5 sei um Zef 2,11, das "Ende der Götter", gruppiert. Die dritte Komposition umfasse, weniger strikt strukturiert, Zef 3,6-15. Abweichend von N. Lohfink wird die erste Komposition in Zef 1,2-18 nicht palindromisch strukturiert, sondern zwei Einheitenstränge in Zef 1,4-6.8*-9.12*-13 und Zef 1,7.10*.11.14-16 seien alternierend ineinander geschoben und durch Zef 1,2 f.*.16-18* universalisierend gerahmt. Die zweite Komposition in Zef 2,1-3,5 wird palindromisch um Zef 2,11 angeordnet, die dritte Komposition in Zef 3,6-15 um Zef 3,11*.

Sind Einzeleinheiten und Komposition auf den Propheten zurückgeführt, so wird auf dieser Basis seine Botschaft erhoben. Weit mehr sei über sie zu sagen, als "daß der Prophet als Satiriker dann und wann in kurzen und kürzesten Sprüchen die Verhältnisse seiner Zeit ­ wenn auch mit durchaus originellen ,Methoden´, so von seiner Theologie her durchaus konventionell ­ angeprangert hätte" (K. Seybold). Vielmehr gehe es dem Propheten um eine Revolution mit unübersehbarer Tragweite: Die bisherigen Opfer der Geschichte, die Armen und Kleingehaltenen, werden zu Trägern des Heils. Sie werden zur einzigen Hoffnung auf eine Kontinuität der Heilsgeschichte. Parallel werden die fernsten Völker durch Gott zu Gläubigen gewandelt werden und nach Jerusalem wallfahrten, um ihren Tribut zu entrichten. Ist jede Hoffnung auf ein Heil "von oben" und "von innen" durch die geschichtliche Erfahrung erschöpft, so kann Gott Zukunft nur "von unten" und "von außen" wachsen lassen. Die Härte dieser Option Gottes für die Armen kann nicht dadurch gemildert werden, daß man die Armen zu Demütigen macht ­ allenfalls ist in der Optik des Propheten die Demut an die tatsächliche ökonomische Armut gebunden. Andererseits werde Armut nicht idealisiert. Nicht das Postulat, nur Armut könne retten, ist das Proprium der Theologie des Propheten, sondern die leidvolle Erfahrung, daß JHWH nur bei den Armen eine Chance darauf hat, ans Ziel zu kommen.

Die Prophetenforschung arbeitet in immer schneller sich drehenden Kreisläufen. Sie nimmt jeweils ihren Ausgangspunkt bei der geschlossenen Rückführung des Buches auf den prophetischen Urheber, um dann zunehmend kritisch zwischen prophetischer ipsissima vox und nachträglichen Bearbeitungen zu differenzieren. Hier wären für das Zefanjabuch R. Eder (FThSt 126, 1984) und K. Seybold (SBS 120, 1985; ZBK, 1991) zu nennen, der mit einer exilischen und nachexilisch-protoapokalyptischen Redaktion rechnet, der die Armentheologie als Ausdruck eines nachexilischen Frömmigkeitsideals zugeschrieben wird. Schließlich wird das Buch insgesamt dem Propheten als Pseudepigraph abgesprochen ­ so E. Ben Zvi (BZAW 198, 1991) ­ um am Ende wieder das Buch weitgehend geschlossen einer Komposition durch den Propheten zuzuschreiben ­ so 1994 der Vf.

Man wird ihm unbedingt darin Recht geben, daß sein Vorgehen einer nur synchronen Analyse wie einer extremen Literarkritik, die Splitter der ipsissima vox erfassen will, überlegen ist. Die Alternative des "dritten Weges" wird aber vorschnell auf die Rückführung des Buches auf den Propheten festgelegt und damit die kritische Prüfung derjenigen Positionen, die sowohl mit vorexilischen wie mit exilischen und nachexilischen Anteilen in dem Buch rechnen, zu sehr ausgeblendet.

Der enge Anschluß an N. Lohfink in der Sache unter Aufnahme von methodischen Elementen der Arbeit von H. Irsigler zu Zefanja (ATSAT 3, 1977) läßt die Auseinandersetzung mit den abweichenden Thesen zu kurz kommen. Es wäre zu erwarten, daß sich das recht schnell zwischen prophetischer Autorenschaft und Pseudepigraphie von Prophetenbüchern als Extrempositionen drehende Hypothesenkarusell aufgrund der explosionsartig mit der Literatur zunehmenden Datenfülle, die jeweils zu beherrschen ist, verlangsamt und so ein solider Forschungsfortschritt möglich wird. Das aber setzt voraus, daß der Dialog mit den abweichenden Positionen der Interpretation von Textbeobachtungen aufgenommen wird und nicht Traditionsstränge der Hypothesen entstehen, die sich gegenseitig abschotten.

Hat die hier anzuzeigende Arbeit auch Anteil an dieser Grundproblematik gegenwärtiger Prophetenforschung, so soll das aber nicht verdunkeln, daß der Vf. seine Voraussetzungen klar benannt und auf dieser Basis eine schlüssige Analyse vorgelegt hat, die ihren Platz in der Zefanjaforschung finden wird. Sie wird darüber hinaus Bedeutung für die Rekonstruktion der Religionsgeschichte der Josia-Zeit und damit für die Analyse des Deuteronomiums in Relation zu 2Kön 22 f. haben.