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Ausgabe:

November/2008

Spalte:

1276–1278

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Rivinius, Karl Josef

Titel/Untertitel:

Im Dienst der Mission und der Wissenschaft. Zur Entstehungsgeschichte der Zeitschrift Anthropos.

Verlag:

Fribourg: Academic Press Fribourg 2005. 352 S. m. Abb. gr.8° = Studia Instituti Anthropos, 51. Kart. EUR 50,00. ISBN 3-7278-1528-0.

Rezensent:

Heinrich Balz

In zwei Hinsichten bringt das Buch dem Leser mehr, als der Titel verspricht. Zum einen geben die ersten 100 Seiten, bevor überhaupt von der Zeitschrift die Rede ist, einen weiten Überblick über die frühe europäische Expansion, den Imperialismus und das ge­spannte Verhältnis des Katholizismus am Anfang des 20. Jh.s zur Herausforderung durch die Moderne. Zum anderen führt das Buch über das Werden der Zeitschrift ein in die spannende Geschichte der Societas Verbi Divini, des 1875 vom 2003 heilig gesprochenen Arnold Janssen gegründeten ersten katholischen deutschen Missionsordens, und in das nicht immer harmonische, manchmal dramatische Verhältnis zwischen Janssen und dem ihm untergeordneten Pater Wilhelm Schmidt, von dem sowohl die Idee wie auch die Verwirklichung der »Internationalen Zeitschrift Anthropos für Völker- und Sprachenkunde« ausging, einer wissenschaftlichen Zeitschrift, die nicht nur Sache der SVD sein sollte, aber ohne diese nicht lebensfähig gewesen wäre.
Kapitel 1 beginnt mit Kolumbus, der hispanischen Entdeckung und Eroberung der Neuen Welt und der engen Abhängigkeit der Mission von der Kolonisation, die gleichwohl echte ethnologische Forschung wie die von B. de Sahagun nicht verhinderte. Im Zeitalter des Imperialismus wurde die ganze überseeische Welt europäisch in Besitz genommen, auch Deutschland stieg verspätet in den Wettbewerb ein. Der ethnographisch-ethnologische Diskurs be­gründete mit Darwin die Herrschaft der Zivilisierten über die noch Wilden (Kapitel 2). Im Katholizismus wurde mit dem Kolonienerwerb das Interesse an der Mission wieder wach; A. Janssen machte sich außer durch die Gründung der SVD um die allgemeine Konferenz der Missionsoberen verdient. Zur gleichen Zeit war in Deutschland der innerkirchliche Streit um den Modernismus bzw. Reformkatholizismus eine »enorme Belastung«: R. schildert ihn unerwartet ausführlich und beteiligt, weil nur von ihm aus das Projekt des Anthropos als ein Unternehmen zur Verteidigung des Katholizismus gegen den Verdacht der Wissenschaftsfeindlichkeit verständlich wird (Kapitel 3, 66–83). Die SVD legte von Anfang an großen Wert auf die wissenschaftliche Bildung ihrer Missionare; es gab verschiedentlich Ansätze, um die völkerkundlichen Erkenntnisse der Missionare an die Wissenschaft zu übermitteln (Kapitel 4–5), die dann von P. W. Schmidt eigenwillig, energisch und unermüdlich ab 1906 in die Zeitschrift übersetzt wurden. Um allgemeines wissenschaftliches Ansehen zu gewinnen, wurde sie – entgegen dem Vorschlag der Jesuiten – nicht an eine katholisch theologische Fakultät angebunden, Kapitel 6.
Durch großangelegte Werbung gewann die Zeitschrift die fi­nanzielle Unterstützung der Görres-Gesellschaft und anderer Stifterorganisationen, hatte aber trotz positiver Resonanz noch lange mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Dem Generalsuperior Janssen gingen Schmidts Pläne und Anforderung von Mitarbeitern zu weit, man einigte sich aber und der Anthropos – das griechische Wort sollte an »Anthropologie« anknüpfen, aber doch noch etwas anderes sein – erfüllte durch die Jahre und Jahrzehnte sein gesetztes Ziel, von der Mission her die Wissenschaft vom Menschen zu fördern und zugleich allgemein das Bild des Katholizismus in wissenschaftlichen Kreisen zu verbessern. Schmidts eigene Gedanken zum »Ursprung der Gottesidee« in den Anfängen der Menschheit, später in vielen Bänden von ihm ausgeführt, waren anfänglich der kirchlichen Zensur nicht ganz geheuer, sie erlangten aber dennoch, auch in der verschärften Phase des ab 1910 von allen Priestern geforderten Antimodernisten­eids, das kirchliche Imprimatur (Kapitel 7).
»Im Dienste der Mission und der Wissenschaft« hat die Zeitschrift Anthropos innerhalb des damaligen engen Katholizismus dank des Einsatzes von Wilhelm Schmidt zweifellos Großes geleis­tet. Nicht erwähnt wird freilich bei R., wie Schmidt durch seine zu konsequente, von seinen frühen Mitarbeitern voll übernommene Ur­monotheismus-These den wissenschaftlichen Landgewinn selbst wieder aufs Spiel setzte: Dass überall, wo ein Hochgott sich erweisen oder erahnen lässt, älteste menschliche Kultur sei, überall dort jedoch, wo er fehlt, schon Degeneration und Verfall, ist ein methodischer Zirkelschluss, nicht besser als der entgegengesetzte der von ihm bekämpften Evolutionisten in der Religionsgeschichte. Zu er­innern ist freilich auch, dass die protestantische Mission in aller ihrer Freiheit und trotz vereinzelter großer früher Leistungen wie bei R. H. Codrington, E. W. Smith und M. Leenhardt, viel länger brauchte, bis sie mit der Wissenschaft der Anthropologie ins Reine kam: Erst 1953 kam in den USA die Missionszeitschrift »Practical Anthropology« ins Leben, und schon 1972 verlor sie ihr spezifisches Profil wieder an unverfänglich allgemeine »Missiology«.