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Ausgabe:

November/2008

Spalte:

1266–1267

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Hastings, Thomas John

Titel/Untertitel:

Practical Theology and the One Body of Christ. Toward a Missional-Ecumenical Model.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2007. XII, 233 S. gr.8° = Studies in Practical Theology. Kart. US$ 30,00. ISBN 978-0-8028-1760-0.

Rezensent:

Eberhard Hauschildt

Ein US-amerikanischer Praktischer Theologe und Missionar, der seit Jahrzehnten in Japan lebt, schreibt hier über einen japanischen Theologen der ersten Generation einheimischer japanischer Pfarrer und ersten japanischen Absolventen des Princeton Theological Seminary. Tamura Naomis Werk ist für H. Vorbild für ein sendungs- und ökumenebewusstes Modell Praktischer Theologie – »missional« in der Adaption des Evangeliums auf die lokalen Verhältnisse vor Ort und »ecumenical« im weltweiten Dialog der Christen miteinander.
Praktische Theologie im globalisierten 21. Jh., so die These des Buches, hat die Aufgabe, die jeweilige kulturell bedingte Besonderheit lokaler christlicher Praxis wahrzunehmen und zu schätzen und zugleich im ökumenischen globalen Dialog voneinander zu lernen. Die These ist inzwischen nicht mehr so überraschend. Ebenso wenig die Typisierung im abschließenden Kapitel, nach der in Japan die Relation zu anderen, im Westen die Relation zu sich selbst und in traditionalen Gesellschaften die Relation zum Unbedingten über die jeweils anderen Relationen dominiert und je nachdem die Gruppenloyalität, die individuelle Freiheit oder die religiöse Observanz die entsprechende Kultur bestimmen. Man beachte: Hier finden Missionswissenschaft und Praktische Theologie wieder zueinander.
Startpunkt der Argumentation ist die Relativierung der westlichen theologischen Tradition – nach innerwestlich vertrautem Muster: Die »kulturelle Gefangenschaft« ihrer Praktischen Theologie, bedingt durch Subjekt-Objekt-Spaltung, zeige sich in Entfremdung von genuin theologischem Denken und Abstraktion von christlicher Praxis. H.’ eigene Gewährsleute sind besonders der schottische Barthianer Thomas F. Torrance und sein eigener Lehrer in Princeton, James E. Loder. Plädiert wird für eine dem Vorbild der Christologie folgende bipolare asymmetrische Einheit von Theo­logie und (Human-)wissenschaften. Gegenstand der Praktischen Theologie sei der Leib Christi. Dementsprechend wird Röm 12,1–8 zum Modelltext. Mit dem Missionswissenschaftler George R. Hunsberger ist zwischen dem Verhältnis von Evangelium und Kultur (Konversion), Evangelium und Kirche (hermeneutischer Zirkel) sowie Kirche und Kultur (Dialog) zu differenzieren.
H.’ Fokus in der Darstellung von Biographie und Werk des wirklich beeindruckenden Tamura Naomi (1858–1934) liegt nicht auf dem Wandel vom konservativen Missionstheologen zum liberalen christlichen Pädagogen, auch nicht auf der Emanzipation von ausländischen Missionaren (Naomi wollte im Vorstand seines japanischen Religious Education Movement keinen westlichen Missionar und trat zurück, als die Missionsgesellschaften dies durchsetzten). Er präsentiert ihn auch nicht vornehmlich als Vorreiter individueller Freiheit, der 1893 ein Buch zur Emanzipation der Frau (»The Japanese Bride«) veröffentlichte und 1926 eines über »The Child the Center of Christianity«, das ein Programm einer kindorientierten Theologie vertrat. Ihm geht es vielmehr um die Lernprozesse Naomis darin, wie Kultur, Kirche und Evangelium aufeinander bezogen werden: The Japanese Bride präsentierte ein christliches Individua­lisie­rungsprogramm in strikter Antithese zur japanischen Kultur, was dazu führte, dass die eigene Denomination (in der Minderheitenposition bei nationalistischer politischer Lage) Naomi fallen ließ. 1900 erkennt er, weiterhin Pastor seiner Gemeinde, dass die Missionsstrategie der Bekehrung erwachsener Individuen wenig erfolgreich ist, weil sie sich gegenüber den auf Einheit zielenden konfuzianisch geprägten Sozialnormen nicht durchsetzen kann. So propagiert er nun mit dem nordamerikanischen »Religious Education Movement« christliche Sozialisation durch religiösen Unterricht und verfasst ein umfassendes erstes japanisches Sunday-School-Un­terrichtswerk. Er bietet so angesichts der offensichtlichen Erziehungsschwierigkeiten im modernisierten Ja­pan und des totalitären Ideo­lo­gie-Unterrichts in der Schule eine positive Alternative. Naomi entwickelt auch, an­ders als die Missionsbewegung, ein Verständnis der relativen Bedeutung anderer Religionen und präsentiert – unter Bezug auf amerikanische Religionspsychologie – Jesus als den, der dem japanisch-konfuzianischen Familialismus einen Weg zu vertiefter Kinderliebe und Mutterliebe zeigt.
Schlüsselerlebnis dafür, die Bezogenheit des Christlichen auf die lokale Kultur wertzuschätzen, war für H. die Lektüre einer japanischen Predigt über »Warum Judas gerettet wurde«: Ihm geht auf, wie der kulturelle japanische Hintergrund das Ende des Judas legitim ganz anders verstehen lässt. Für die Unterschiede in der Gottesdienstatmosphäre zwischen den USA und Japan liefert H. eine Erklärung: Das Evangelium führt in den USA zu intensiviertem Gemeinschaftserleben in Korrektur der Kultur des Individualismus, in Japans sehr liturgisch traditional-formalen Gottesdiens­ten hingegen wird gegenüber den Kollektiv-Gruppen im sonstigen Leben die individualisierte Freiheit nach innen erfahren.
H. vertritt eine empirisch naheliegende und m. E. angemessene mittlere Linie zwischen Universalismus und regionalistischem Relativismus, die freilich weiterer Theoriearbeit bedürfte. Ihm ge­lingt der Nachweis, wie berechtigt und ertragreich das Wechseln zwischen globalen Überlegungen und lokaler Fallstudie ist. Dass Letztere mehr als Illustration der vorab entwickelten These ist, müsste zukünftig noch deutlicher hervortreten, und der generalisierbare Ertrag könnte konsequenter aus dem Fall selbst herausgearbeitet werden. Dennoch: H. zeigt den Weg, wie Praktische Theologie »glokal« werden kann. Und: Hier finden Praktische Theologie und Missionswissenschaft neu zueinander.