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Ausgabe:

November/2008

Spalte:

1258–1259

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Bittner, Wolfgang J.

Titel/Untertitel:

Heilung. Zeichen der Herrschaft Gottes. 4., veränd. Aufl.

Verlag:

Schwarzenfeld: Neufeld 2007. 253 S. 8° = Paráklesis – Schriften zum geistlichen Leben in der Kirche, 18. Kart. EUR 14,90. ISBN 978-3-937896-50-2.

Rezensent:

Karin Grau

Die 1984 erstmals erschienene Arbeit hat sich in der vorliegenden, durch eine Thesenreihe der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen ergänzten vierten Auflage zum Handbuch für Gemeinden entwickelt, die sich produktiv mit charismatischer und esoterischer Heilungsbegeisterung auseinandersetzen wollen. Zugleich dokumentiert diese Neuauflage einen großen Entwick­lungsbogen, der sich in einer fast 30-jährigen theologischen Auseinandersetzung mit Krankheit und Heilung abzeichnet.
Bittner, inzwischen u. a. Lehrbeauftragter für christliche Spiritualität an der FU Berlin, konstatiert im Vorwort zur aktuellen Ausgabe eine eigenartige Spannung. Einer kulturellen Landschaft, die den Phänomenen Gesundheit, Krankheit und Heilung größte Aufmerksamkeit schenkt, steht »das weit verbreitete Schweigen der Kirchen zu diesem Thema« (15) gegenüber. Dieses nach Ansicht der Rezensentin zutreffend beschriebene Spannungsverhältnis verleiht dem nur geringfügig abgeänderten Text der Erstauflage nach wie vor Aktualität, zumal sich die theologischen Beiträge zum Thema Heilung immer noch auf Aufsätze und Einzeluntersuchungen beschränken. Die Titel-These, Heilung sei Zeichen der Herrschaft Gottes, die »aus persönlicher Konfrontation mit Krankheit« (16) erwachsen und von johanneischer Theologie inspiriert ist, wird in vier Teilen entfaltet: Sowohl in der Bibel als auch in ihrer Geschichte bewahrt die christliche Kirche eindrückliche Erfahrungen mit Krankheit und Heilung, die eine Erneuerung des von Jesus gegebenen Heilungsauftrags nahelegen. Aus »Grundfragen der Krankenheilung« versucht B., eine theologische Grundlegung zu entwickeln, die den Heilungsauftrag christologisch rückbindet und eschatologisch einbettet. Abschließende Leitgedanken zur Praxis und die Be­antwortung seelsorgerlicher Einzelfragen lassen deutlich den »Sitz im Leben« dieser Arbeit erkennen: die innergemeindliche Auseinandersetzung mit Heilungsbegeisterung und Heilungsskepsis.
Eine grundlegende Schwierigkeit in B.s frühen Ausführungen liegt im durchgängigen Rekurs auf das biblische Welt- und Menschenbild, das nur selten ausdifferenziert, aber als solches dem »modernen Weltbild« entgegengesetzt wird. Entsprechend wird zwar betont, dass der hebräische bzw. der biblische (!) Ausdruck für Krankheit nicht nur körperliche Krankheit meine (21.168), gleichzeitig wird aber im weiteren Diskurs die Heilung gerade körperlicher Erkrankungen fokussiert. Außerdem ist zu fragen, ob in B.s früher Arbeit nicht eine Haltung zum Ausdruck kommt, die bereits einer dualistischen Weltdeutung zuzuordnen ist. Wenn B. vom Sieg Jesu über das Böse oder den Bösen spricht (37.86), dann ge­schieht dies nicht mit der Spannkraft, die seinen Vorbildern Vater und Sohn Blumhardt zu eigen war (vgl. 69–71). Die Grundbotschaft des Buches ist jedoch eindeutig und für jede Form kirchlicher Seelsorge von fundamentaler Wichtigkeit: Heilung gehört »neben Verkündigung, Diakonie sowie sozialem und ethischem Engagement zum grundlegenden Aufgabenfeld der Kirche« (168).
Dies wird unterstrichen von B.s Nachwort aus dem Jahre 2007, in dem nun aber zugleich ein neuer Tonfall hörbar wird. B. ruft hier auf, das längst notwendige Gespräch mit Alternativmedizin und Esoterik zu führen, in dem u. a. »Offenheit gegenüber Schöpfungserkenntnissen anderer Kulturen«, »Abwehr vorschneller Dämo­nisierungen« und »Aufarbeitung und Kritik der eigenen weltanschaulich verkürzten Wirklichkeitsbilder« (179) gefragt seien. Damit ist die Brücke geschlagen zur Thesenreihe »Christliche Identität, alternative Heilungsansätze und moderne Esoterik – Grundsätze zur Orientierung für Kirche und Gemeinde« (180–207), die die Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen 2007 vor­gelegt hat. Dieses ausgezeichnete Grundsatzpapier systematisiert eine Vielzahl der komplexen Diskurse, die in den letzten 20 Jahren zum Thema »Heilung« geführt worden sind. Es räumt durch hohes Differenzierungsvermögen mit vielen Klischees auf und stärkt die Bereitschaft zum interdisziplinären Gespräch mit den angrenzenden therapeutischen Disziplinen. Es ebnet den Weg für eine kirchlich-theologische Integration des Heilungsanliegens mit protestantischem Profil. Abgerundet wird die Publikation durch ein anregendes, kommentiertes Literaturverzeichnis von Mi­chael Utsch. Bleibt zu wünschen, dass die Leserinnen und Leser den Entwicklungsbogen dieses Buches nachvollziehen und dass die Begegnung christlicher Theologie und Kirche mit den Heilungssehnsüchten ihrer Zeit nicht vor allem von Abwehr bestimmt sei, sondern von Öffnung: Öffnung gegenüber der heilenden Kraft Gottes, die zugleich unverfügbar bleibt und einer tiefen personalen Liebe entspringt, die wir noch nicht fassen können. Möge es Theologie und Kirche da und dort geschenkt werden, »Gnade« im Kontext von Krankheit und Heilung neu nachzubuchstabieren.