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Ausgabe:

November/2008

Spalte:

1240–1242

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Wussow, Philipp von

Titel/Untertitel:

Logik der Deutung. Adorno und die Phi­losophie.

Verlag:

Würzburg: Königshausen & Neumann 2007. 320 S. gr.8° = Epistemata – Würzburger Wissenschaftliche Schriften. Reihe Philosophie, 434. Kart. EUR 48,00. ISBN 978-3-8260-3547-0.

Rezensent:

Markus Buntfuß

Da Philosophieren nach Adorno jahrzehntelang auf die kongeniale Imitation einer bestimmten Denkgesinnung und eines entsprechenden Jargons bis in sprachliche Eigentümlichkeiten wie die viel verspottete Stellung des Reflexivpronomens hinein sich be­schränkt hatte, ist es erfreulich, dass Adornos Werk inzwischen aus dem Abstand einer gesellschaftlich, kulturell und theoretisch veränderten Lage in den Blick genommen und kritisch gewürdigt wird. Einen ambitionierten Versuch in diese Richtung hat auch Philipp von Wussow mit seiner im Jahr 2006 von der Philosophischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf angenommenen Dissertation unternommen, in der er sich zur Aufgabe macht, »Adornos Konzeption von Philosophie als Deutung zu er­läutern« (9).
Im Mittelpunkt von W.s Studien steht dabei weniger die Konzentration auf bestimmte Themen oder Inhalte, sondern die Art und Weise des interpretierenden Zugriffs, die Adornos Philosophie als eine spezifische Denkform erkennbar werden lässt. Gegenüber dem positivistischen Programm einer Logik der Forschung (Popper) ziele Adorno von Anfang an auf das hermeneutisch-kritische Programm einer Logik der Deutung. Das komme bereits in der zu Lebzeiten unveröffentlichten Antrittsvorlesung ›Die Aktualität der Philosophie‹ (1931) zum Ausdruck, der zufolge »das Glück des Gedankens heute in der Deutung« (9) besteht.
Das Verdienst der Arbeit besteht deshalb vor allem darin, dass hier im Unterschied zu der lange Zeit vorherrschenden ideologiekritischen Vereinnahmung Adornos eine kulturphilosophische Perspektive auf sein Werk eröffnet wird. Indem der Deutungsbegriff als heuristischer Schlüssel zur Anwendung gelangt, können somit auch aufschlussreiche Bezüge zu prominenten kulturphilosophischen Ansätzen des 19. und 20. Jh.s namhaft und für Adornos Werk fruchtbar gemacht werden. Außerdem kann mit dem Abklingen des antibürgerlichen Affekts im Kontext der ideologiekritischen Reduktion Adornos auch dessen bürgerlicher Referenzrahmen wieder Berück­sichtigung finden. Das ist umso entscheidender, als die kulturellen Verstehensvoraussetzungen seiner philo­sophischen Wirklichkeitsdeutung Adornos eigener Einschätzung zufolge nur solange gegeben sind, »wie die Grunderfahrungen des bürgerlichen Zeitalters von Menschen werden vollzogen werden können« (286).
Die mehr implizit vorausgesetzte als im Vollzug der philosophischen Deutung explizit gemachte Kontinuität des Adornoschen Denkens und Schreibens zu bürgerlichen Lebens- und Denkformen schließt jedoch ein kritisches Verhältnis zur kulturellen Wirklichkeit gerade nicht aus. Denn in Adornos Philosophie der Deutung geht es W. zufolge weder um eine Begründung der Eigenständigkeit der Geisteswissenschaften noch um einen interpretationsfreudigen Kulturpositivismus, sondern um eine kritische Deutung der kulturellen Wirklichkeit, die sowohl um wissenschaftlich-ar­gumentative Nachvollziehbarkeit als auch um politisch-gesellschaftliche Ausweisbarkeit bemüht ist. Eine die Wirklichkeit verändernde Kraft könne die Philosophie deshalb nicht auf dem Weg der Revolution, sondern nur im Medium der Interpretation entfalten. Philosophie werde praktisch, wo sie auf dem Weg der Gegeninterpretation zeigen kann, dass das, was ist, auch anders sein könnte. In diesem Sinne bezeichnet W. das Werk Adornos pointiert als »Kulturphilosophie mit gesellschaftstheoretischem Vorbehalt« (284).
Die damit gestellte Frage nach den Kriterien dieser gesellschaftskritischen Kulturphilosophie lässt sich nur mit einer »Theorie des Gelingens« (285) beantworten. Entgegen einer in der bisherigen Adorno-Forschung viel geäußerten Auffassung, wonach Adornos negative Philosophie gerade keine Vorstellung vom wahren Leben im falschen und somit auch keine Theorie des gelingenden Lebens kenne, sieht W. in Adornos Bemühungen um ›rettende Konstellationen‹, in denen Subjekt und Objekt, Kultur und Gesellschaft in endlicher Weise versöhnt sind, durchaus einen Ansatzpunkt für eine implizite Theorie des Gelingens. An diesem Punkt wurde und wird Adorno von jeher auch für die Theologie interessant, weil darin so etwas wie eine entpositivierte Soteriologie zum Ausdruck kommt. Die völlige Ausblendung der damit zusammenhängenden theologischen Adorno-Rezeption und Interpretation muss deshalb zumindest für Leserinnen und Leser einer theologischen Literaturzeitung als Manko der Studie von W. notiert werden.