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Ausgabe:

November/2008

Spalte:

1237–1240

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Sanders, Andy F. [Ed.]

Titel/Untertitel:

D. Z. Phillips’ Contemplative Philosophy of Religion. Questions and Responses.

Verlag:

Aldershot-Burlington: Ashgate 2007. 242 S. gr.8°. Geb. US$ 99,95. ISBN 978-0-7546-6285-3.

Rezensent:

Hartmut von Sass

Es gibt tatsächlich noch Bücher, in denen der Gegenstand der Untersuchung und der Modus des Untersuchens einander entsprechen und gerade dadurch eine befruchtende Allianz eingehen. Dieser seltenen Spezies gehört der kürzlich von Andy F. Sanders (Groningen/NL) edierte Band über Dewi Z. Phillips’ kontemplative Religionsphilosophie an. Zu deren hervorstechenden Merkmalen zählt – neben philosophischer Neutralität, rein deskriptiver Hinwendung zum Einzelfall und einer ausgeprägten Reserve gegen­ über jedweder Metaphysik als theoriegeladene Verallgemeinerung– der Dialog zwischen konfligierenden Parteien und inkompatiblen Perspektiven. Dem damit verbundenen Anliegen, die Dif­ferenzen nicht einfach aufzulösen, sondern ihnen zuallererst begriffliche Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, um verstehen zu können, worin das Divergierende genau zu finden ist, kommen die hier versammelten kritischen Anfragen an Phillips je auf ihre Weise nach. Mit Stephen Mulhall, Mario von der Ruhr, Tage Kurtén, Walter van Herck, Ingolf U. Dalferth sowie Henk Vroom konnten namhafte Kenner der Materie gewonnen werden, um den führenden ›Wittgensteinianer‹ der Religionsphilosophie nun seinerseits in Phillipsscher Manier herauszufordern – und dies weniger in un­freiwilligen Wiederholungen als vielmehr einander freiwillig er­gänzend. Erwartungsgemäß hatte sich der Waliser auf den – unabgeschlossenen – Dialog eingelassen und antwortete jedem Einzelnen im Bemühen, die Stimme des anderen sorgfältig zu prüfen, die Differenzen deutlich herauszuarbeiten sowie die eigene Sicht aufzuhellen. Kurz: Wir haben es hier selbst mit einem exemplarischen Zeugnis kontemplativer Philosophie zu tun, was grundlegende Kritik an ihr gerade nicht ausschließt, sondern impliziert.
Da jede der sechs Kritiken ihrerseits unterschiedliche Aspekte des Werkes von Phillips berührt, diese sich mit Anfragen anderer Autoren verbinden lassen und Analoges für die entsprechenden Antworten Phillips’ gilt, werde ich den Band nicht chronologisch, sondern thematisch geordnet besprechen. So verfährt der Herausgeber in seiner problemorientierten Einleitung ebenfalls, wenngleich er die Schwerpunkte etwas anders setzt (1–11).
Ganz treffend beginnt Mulhalls Beitrag mit der Beobachtung, dass Phillips seinen methodischen Zugang mittels einer contemplative philosophy neu justiert und dies unter dem sich verstärkenden Einfluss seines Lehrers Rush Rhees tut, dessen Nachlass er sukzessive herausgegeben hatte (14). Korreliert mit dieser Fortführung von Wittgensteins Diktum einer rein beschreibenden Philosophie (vgl. PU 124.132 f.) sind entscheidende Weichenstellungen auf an­deren philosophischen Baustellen verbunden. Hatte Phillips zu­nächst die Vielfalt der Sprachspiele derart emphatisch betont, dass ihm dies – nur teilweise zu Recht – den notorischen Fi­deismus-Vorwurf einbrachte, so ist Rhees’ Eintreten für die im Wesentlichen dialogische Einheit der Sprache seit Philosophy’s Cool Place (1999) auch in Phillips’ Werk als ein nun vorherrschendes Thema eingegangen (204). Seltsamerweise spielt Phillips diesen unübersehbaren Wandel (wenn auch nicht Bruch) doch allzu sehr herunter: Mit der von Rhees angeregten contemplatio habe nichts Neues in seiner Philosophie stattgefunden; vielmehr seien die Kontinuitäten in seinem Werk wahrzunehmen (54). Entgegen dieser Selbstauskunft genügt ein Blick auf die folgenreichen Verschiebungen hin zum Verbindenden der Sprache, um hier gerade keine ›pure description‹ am Werk zu sehen.
Den im Band am kontroversesten behandelten Aspekt bringt von der Ruhr pointiert zum Ausdruck: »Fortunately for Phillips, the contemplative philosopher lives in a grammatical Switzerland where the charge of heresy has no application …« (67). Angespielt wird hier auf die für eine kontemplative Philosophie wesentliche Neutralität des Philosophen (198); er darf nichts entscheiden, nicht einmal begründen, sondern muss sich beschreibend den konzeptuellen Möglichkeiten zuwenden und darin desinteressiert (nicht uninteressiert, 204) vorgehen. Diese Skizze bietet reichlich Anlass, nötige Klärungen einzufordern. Es ist aber insbesondere Phillips’ strikte Grenzziehung zwischen ›Persönlichem‹ und ›Philosophischem‹, welche für Unbehagen sorgt. Vroom und Mulhall machen daher wiederholt auf die Kulturgebundenheit unserer Überzeugungen aufmerksam (195 f.21 ff.): Philosophische Probleme sind Probleme des Lebens und auch der Philosoph kann sein Menschsein nicht abstreifen. Eben dies haben besonders St. Cavell und J. Conant verdeutlicht und damit sogar das Konzept einer kontemplativen Philosophie weitergetrieben (26).
Phillips kann daraufhin zumindest erhellen, dass natürlich nicht jedes philosophische ein Lebensproblem darstellt und daher eine Differenzierung vonnöten ist (48). Diese Möglichkeit der Unterscheidung gibt jedoch nicht Phillips’ ambitioniertere These von der Autonomie der Philosophie her (197). Immerhin gesteht er zu, dass sein Philosophieverständnis in einem wichtigen Sinn in der Tat ›persönlich‹ ist, nämlich darin, dass diese Art der Untersuchung dem Philosophen in der Distanzierung vom Gegenstand und der damit verknüpften »purity of attention« einen moralischen Anspruch auferlegt (38.208). Die Frage bleibt, inwiefern der ›cool place‹ des Philosophen diesem nicht notwendigerweise etwas mehr Nestwärme spendet.
Wiederum Mulhall ist es, der einige Zweifel anmeldet, ob Phillips’ Kontemplationsprogramm sich wirklich vom von ihm favo­risierten Therapieansatz abhebt. Seine These: Phillips habe nicht gezeigt, dass sein philosophischer Zugang über die angeblich defizitäre Auffassung von Philosophie bei Wittgenstein hinausgeht. Womit Rhees und Phillips beschäftigt seien, passe ganz in das »perspicuously representing the grammar of everyday words« (20). Phillips wehrt sich jedoch dagegen, Philosophie auf die alleinige Auf­gabe der nur wiederherstellenden Therapie zu beschränken. Sie hat verändernde Wirkung.
Dann aber entsteht das Problem, ob letztere Behauptung nicht mit dem bekannten Motto in Konflikt gerät, wonach Philosophie alles so lässt, wie es ist (seinerseits ja eine subtile Anweisung, die offensichtlich nicht alles so lassen möchte). Dalferth deutet zu­nächst ganz im Sinne von Phillips den Sachverhalt so, dass es sich – hier im Anschluss an M. J. Ferreira – um eine »self-transformation« (160) handelt: Nicht das Kontemplierte, sondern der Kontemplierende verändert sich. Dann stellen sich aber nur zwei weitere Probleme. Das erste nennt Dalferth selbst: Die kontemplative, Möglichkeiten durchdenkende Philosophie müsste selbst einer Kontemplation unterzogen werden. Die Beschränkung auf Be­schreibung »cannot be the whole story«, zumal sich Denken auch im Modus der Polemik, des Imaginierens, gar der Apologetik bewegen kann (159 f.). Wenn es sich tatsächlich um eine »self-transformation« handeln soll – so das zweite Problem –, sind wir dann nicht wieder zurückgekehrt zur unklar verlaufenden Demarkationslinie zwischen ›Persönlichem‹ und ›Philosophischem‹?
Der sich daran anschließende Vorwurf, Phillips habe unzutreffende Beschreibungen religiöser Phänomene vorgelegt, begleitet seine ganze Laufbahn. Während von der Ruhr Zweifel anmeldet, ob ein orthodoxer Katholik in den entscheidenden Elementen des Auferstehungsglaubens Phillips’ Darlegung folgen würde (60 ff.), zeigt sich van Herck unzufrieden mit dessen Grenzziehung zwischen Bittgebet und Aberglauben (129 ff.). In beiden Fällen folgen im Ganzen bereits bekannte Verteidigungen, denen nun noch stärker anzumerken ist, wie wichtig es Phillips bleibt, einem pauschalen Reduktionismus-Vorwurf begründet zu entgehen (79). Aber auch hier fragt sich, ob sich besagter Katholik überzeugen lässt, wenn Aussagen über das ewige Leben nicht als prädikativ, sondern als ein »admonitory picture« (ebd.) oder das Gebet »as ›The Practice of the Presence of God‹« eingeordnet werden (147). Folglich besteht dann, so Vroom ganz richtig (182 f.), die Herausforderung darzulegen, mit welcher ›Vollmacht‹ Phillips hier beschreibt. Dieser antwortet lakonisch: »I do not speak with authority« (201), weil sich die Verbindlichkeit seiner Ergebnisse aus der Grammatik religiösen Glaubens selbst bezieht (79), wohingegen den Berichten von Teilnehmern einer Praxis »no automatic philosophical warrent« zukommt (78).
Eine gewisse Sonderrolle nimmt Dalferths Beitrag ein, weil er die Frage, inwieweit eine kontemplative Philosophie etwas Relevantes zum Konflikt und Dialog zwischen verschiedenen Religionen im pluralen Zeitalter zu sagen hat (154), in der Weise nachgeht, dass er Phillips’ Programm selbst auf das gestellte Problem anwendet. Mit seiner Verhältnisbestimmung zwischen Religion und Kultur oder – in Anlehnung an R. Audi – der Ablehnung der Idee des umfassenden Ganzen als Voraussetzung für Konfliktlösungen, läuft er bei Phillips offene Türen ein. Dieser kritisiert Dalferth schließlich nur dort, wo er sich nach Phillips’ Ansicht wiederum auf die Suche nach notwendigen Bedingungen zur Initiierung des Dialogs macht (177).
Bedenkt man die bisher erwähnten Probleme, verwundert es nicht, dass es Vroom im abschließenden Beitrag überaus schwer fällt, Phillips’ philosophischen Zugang »in the House of Intellect« (197) genau zu verorten: Wie verhält sich eine kontemplative Philosophie zu einer konfessionellen Theologie, zur Religionssoziologie oder – besonders – zur Religionsphänomenologie? Vroom vermag einsichtig zu machen, wie ausgeprägt die Überschneidungen etwa zum Ansatz G. van der Leeuws sind (bes. 190–192). Mit dieser Ähnlichkeit zeigt sich Phillips ebenso unzufrieden wie mit Vrooms These, ein wie auch immer gearteter Pluralismus – und einem »ra­dikalen« hat sich Phillips ja verschrieben – sei seinerseits nur wieder ein nichtneutraler Standpunkt (203).
Trotz der zahlreichen erhellenden Überlegungen, welche sich gerade aus der Anfrage-Replik-Situation ergeben konnten, bleibt einiges unberührt. So hat sich keiner der Autoren eingehender der eigentlich zentralen Frage gewidmet, in welchem Sinn Phillips’ reifes Programm einer contemplatio auf Probleme des frühen Ansatzes einer descriptio reagiert: Handelt es sich um eine Erweiterung, eine Fokussierung oder eine Präzisierung? Phillips’ Reserve gegenüber immunisierten Antworten auf derartige Fragen mag anzeigen, dass sich der im Sommer 2006 Verstorbene nicht nur gefreut hätte, wenn der Dialog weiterginge – er hätte es sich gar nicht anders vorstellen können.