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Ausgabe:

November/2008

Spalte:

1234–1235

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Huyssteen, J. Wentzel van

Titel/Untertitel:

Alone in the World? Human Uniqueness in Science and Theology. The Gifford Lectures, the University of Edinburgh, Spring 2004.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht; Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2006. XIII, 347 S. u. 8 Tfn. m. 15 Abb. gr.8° = Religion, Theologie und Naturwissenschaft. Religion, Theology, and Natural Science, 6 (V & R). Geb. EUR 49,90. ISBN 978-3-525-56977-1 (Vandenhoeck & Ruprecht); 978-0-8028-3246-7 (Eerdmans).

Rezensent:

Hans-Dieter Mutschler

Dieses Buch versteht sich als interdisziplinärer Beitrag zum Dialog Naturwissenschaft – Theologie betreffs der Sonderstellung des Menschen in der Natur, die besonders in der Imago-Dei-Lehre der Theologie zum Ausdruck kommt. Der Vf. stellt ihre Entwicklung in der Theologiegeschichte dar, verweist auf die Tatsache, dass diese Lehre immer schon innerhalb der wechselnden Geschichte neu interpretiert werden musste, und bezieht eine neue, nicht logoszentrierte Position im Anschluss an Pannenberg in Bezug auf die Naturwissenschaft, repräsentiert insbesondere durch Evolutionäre Erkenntnistheorie und Palöoanthropologie.
Zunächst einmal klärt der Vf. den Vernunftbegriff, den wir in beiden Bereichen als gültig unterstellen müssen, um eine solche Brücke zu schlagen. Dabei stützt er sich auf Wolfgang Welschs »transversale Vernunft«, die die Mitte halte zwischen einer post­modernen Auflösung von Prinzipienvernunft à la Rorty und einer ›fundamentalistischen‹ Prinzipienvernunft à la Habermas und Apel. Die transversale Vernunft sei konkret, geschichtlich, ja leibhaft situiert und praxisbezogen. Man solle auch nicht von einem ungeschichtlichen Begriff von ›Theologie‹ oder ›Naturwissenschaft‹ ausgehen, sondern deren augenblickliche Vielfalt als Ausgangspunkt nehmen, wobei Überschneidungen und Ähnlichkeiten deutlich würden.
Darwin habe den Rahmen für ein Verständnis des Menschen in der Natur geliefert und aus Poppers Extrapolation der Evolutionären Erkenntnistheorie könne man lernen, das Biologische auf das Menschliche zu beziehen. Auf diese Weise könne man die Engführungen der Soziobiologie überwinden (Wuketits). Sie biete immer nur notwendige, keine hinreichenden Bedingungen für Kultur, erkläre z. B. auch keine Erlebnisqualitäten und sei im Irrtum, wenn sie Religion für ein überwundenes Stadium halte. Vielmehr sei Religion die Grundlage eines erkenntnisgenerierenden Prozesses, auf dem die Vernunft aufruhe. Näher dargestellt werden 40.000 Jahre alte Höhlenmalereien in Südwestfrankreich und Nordspanien. Hier sei Religion der Mutterboden des reflexiven Bewusstseins, der Riten, Künste, der Sprache, des Sozialverhaltens usw. Bestätigt würde diese Deutung durch die Neurotheologie. Auf Grund all dessen sei über die Wahrheit der Religion noch nichts ausgemacht. Nur der Religiöse selbst könne die Wahrheit seiner Erfahrung be­urteilen.
Der Geltungsanspruch dieser Schrift ist also gegenüber der ur­sprünglichen Idee von Lord Gifford stark zurückgenommen. Gifford schwebte eine Natürliche Theologie vor, d. h. der Versuch, aus den unmittelbaren Gegebenheiten der Erfahrung die Existenz Gottes plausibel zu machen. Diesen Anspruch fährt der Vf. fast vollständig auf den einer Theologie der Natur zurück, d. h. er argumentiert unter der Voraussetzung der Wahrheit der Theologie und interpretiert von dorther naturwissenschaftliche Theorien. Das Ganze versteht sich, wie bereits gesagt, gleichwohl als ein Beitrag zum Dialog ›Naturwissenschaft – Theologie‹.
Niemand wird sich über die Schwierigkeiten Illusionen ma­chen, die heute einem Unternehmen wie der ›Natürlichen Theologie‹ im Wege stehen. Strenge metaphysische Gottesbeweise, wie jüngst von Robert Spaemann, scheinen allgemein nicht zu überzeugen. Auch schwächere Versuche, wie der von Richard Swin­burne, ziehen gravierende Einwände auf sich, obwohl Swinburne rein empirisch vorgeht.
Es fragt sich allerdings, was die Konsequenz sein wird, wenn man sich, wie der Vf., auf eine bloße Theologie der Natur zurück­zieht und die Naturalismusdiskussion weitgehend ausspart. Das Überraschende an diesem Buch ist nämlich, dass es nur vereinzelte Hinweise auf diese Diskussion enthält.
Das Buch würde daher einem Naturalisten als überschwängliche Evolutionsdeutung erscheinen müssen. Der Naturalist, insbesondere wenn man ihn nicht mit rein philosophischen Argumenten davon überzeugt, dass sein Naturalismus den Phänomenen nicht gerecht wird, hat zunächst einmal keine Gründe, an seiner rein kausalen oder funktionalen Interpretation der Evolution zu zweifeln. So würde z. B. Wuketits einwenden, dass eine funktionale Religionsdeutung, auch wenn sie bis in die Gegenwart ausgezogen werden kann, immer noch mit der These verträglich bleibt, dass Gott eine Illusion ist. Der Hinweis, dass dem Religiösen die Wahrheit seiner Erfahrung gegenwärtig sei, helfe nicht weiter. Das Occamsche Rasiermesser gebiete ihm, eine theologische Deutung für überflüssig zu halten. Wuketits hätte also rationale Gründe, sich auf den Dialog erst gar nicht einzulassen.
Das wäre anders, wenn man ihm gezeigt hätte, dass sein Naturalismus prinzipiell zu kurz greift. Dann hätte er Veranlassung, nach Alternativen Ausschau zu halten, von denen eine theologische Deutung in Frage käme. Theologisch wäre es dann noch wünschenswert, wenn man zeigen könnte, dass eine theologische Deutung sich gegenüber anderen, pantheistischen, panpsychistischen usw. empfiehlt. Aber immerhin, dann wäre der Naturalist nach den allgemein anerkannten Prinzipien der Beweislastverteilung aufgefordert, eine solche theologische Interpretation zu berück­sichtigen.
Fällt aber diese Auseinandersetzung mit dem Naturalismus aus, dann kann ein solches Buch nur eine glaubensimmanente Funktion haben. Ist mein Glaube angesichts der Entdeckungen der Naturwissenschaft über das Entstehen des Menschen vernünftig in dem Sinn, dass ich diese Entdeckungen in meinen theologischen Referenzrahmen integrieren kann? Eine solche immanente Prüfung ist aller Ehren wert und wird von diesem Buch überzeugend geleistet. Es fragt sich aber, ob von den Gifford Lectures nicht mehr zu fordern wäre. Wenn schon kein Gottesbeweis, dann doch wenigstens ein Stachel für die, die eine naturalistische Position einnehmen.