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Ausgabe:

November/2008

Spalte:

1220–1221

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Chapman, Mark D.

Titel/Untertitel:

Bishops, Saints and Politics. Anglican Stud­ies.

Verlag:

London-New York: T & T Clark 2007. VIII, 243 S. gr.8°. Geb. £ 65,00. ISBN 978-0-567-03179-2.

Rezensent:

Wolfgang Klausnitzer

Der Oxforder Theologe (und Vice Principal des Ripon College Cuddesden) Mark D. Chapman fasst in dem Buch mit dem etwas reißerischen Titel zehn (davon zwei bisher unveröffentlichte) Artikel zusammen, in denen er sich mit bekannten und einigen (seiner Ansicht nach zu Unrecht) in Vergessenheit geratenen Vertretern der Theologiegeschichte der Church of England vor allem (aber nicht ausschließlich) des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jh.s beschäftigt.
Das Ziel der Veröffentlichung ist dezidiert nicht eine nüchtern-objektive Beschreibung der historischen Faktizität, sondern – wie es die Einführung mit den vielleicht nicht sehr glücklichen Differenzierungen von »history of theology«, »historical theology« und »theological (?) theology« (gemeint ist die »dogmatische« Methode im Sinne von Ernst Troeltsch) (1–6) und besonders der Epilog (223–225) betonen – eher eine »histoire à thèse«, d. h. ein selbstkritischer anglikanischer Blick (aus der Perspektive der Church of England) in die eigene Theologiegeschichte, um aus ihr eine gewisse Methodik und unter Umständen sogar eine Zielvorgabe angesichts der aktuellen Probleme innerhalb der Anglican Communion zu gewinnen. Be­standteile dieser Selbstvergewisserung sind eine Reflexion auf die Bedeutung des Bischofsamtes in den theologischen Auseinandersetzungen der Reformationszeit und besonders des 19. Jh.s für das anglikanische Selbstverständnis, eine Bestandsaufnahme verschiedener Reaktionen innerhalb der Church of England auf das Aus­einanderdriften von Kirche (als »established«) und Staat im vikto­rianischen Zeitalter und das Erscheinen des »Pluralismus« als ge­sellschaftliches Phänomen (John Neville Figgis, John Keble und Mandell Creighton) und schließlich eine exemplarische Durchsicht von nach der Auffassung des Vf.s zukunftsweisenden theologischen Überlegungen zur Rolle des (nizaeno-konstantinopolitanischen) Glaubenssymbols in der Liturgie (F. D. Maurice), zur theologischen Methode (William Sanday) und zur Vision der Kirche als einer radikalen Jüngergemeinschaft (Charles Gore und Frank Weston). Übrigens hat etwa zeitgleich zu Gore und Weston und im Gefolge des ekklesiologischen Aufbruches nach dem Ersten Weltkrieg Dietrich Bonhoeffer (ebenfalls unter Berufung auf die Bergpredigt) in Finkenwalde theoretisch und praktisch ein Modell der Kirche als Nachfolgegemeinschaft in radikaler Verbindlichkeit entworfen.
Die Studien geben insgesamt einen interessanten Einblick in ein bestimmtes aktuelles anglikanisch-theologisches Denken. Sie setzen allerdings für den kontinental-europäischen Leser Grundkenntnisse über die Geschichte und die Theologie der Church of England und des Anglikanismus voraus. Völlig zu Recht weist der Vf. programmatisch in den resümierenden Reflexionspartien und praktisch in der Durchführung der einzelnen Studien auf die jeweilige biographische, gesellschaftlich-soziale und kirchenpolitische Verortung der von ihm behandelten Denker hin. Es handelt sich um eine Auswahl – und jede Auswahl ist notwendig subjektiv. Manche erwähnten Theologen gehören sicherlich in einem großen Konsens zu den Klassikern anglikanischer Theologie (wie etwa Hooker oder Temple, die allerdings nur en passant erwähnt werden, oder Maurice, auch wenn er in manchen anglikanischen Kreisen umstritten ist). Andere (wie Keble, Gore oder Weston) sind wichtige Bezugspersonen des anglo-katholischen Flügels.
Es ist ein großes Verdienst der Sammlung, dass auch Denker wie Creighton, Figgis oder Sanday vorgestellt werden, die in der heutigen theologischen Diskussion gewöhnlich wenig in den Blick geraten. Das Problem des Rezensenten ist daher nicht die konkrete Liste der vorgestellten Theologen, sondern die Kriteriologie des Vf.s in der Auswahl der präferierten Thematik eines bestimmten Theo­logen.
Der Vf. nennt als eines der Hauptthemen (und vielleicht sogar Fixierungen) der anglikanischen Theologie seit der Reformation die Frage der Autorität in der Kirche (vgl. 72; auch 9–31). Das Insis­tieren der Traktarianer bzw. des Anglo-Katholizismus des 19. Jh.s auf der Notwendigkeit des Bischofsamtes für die Kirche (wie es bei Keble und massiv bei Weston begegnet) sei allerdings eine »novelty« (22). Diese Auskunft löst vielleicht manche Schwierigkeiten evangelischer Theologen des deutschen Sprachraumes mit der Meissen-Erklärung, stellt aber sofort die Frage nach der theologischen Relevanz des Chicago-Lambeth-Quadrilateral von 1888, der Porvoo-Erklärung oder überhaupt des offiziellen anglikanisch/ römisch-katholischen Dialogs auf Weltebene (ARCIC I und II). Die anglikanische Theologie versuche, so wird seit Hooker immer wieder beteuert, eine delikate Balance zwischen Schrift, Tradition und Vernunft zu halten. In den hier zu besprechenden Studien ist dieses Gleichgewicht wenig erkennbar. Der Schwerpunkt scheint auf der zeitgenössischen Vernunft zu liegen, wenn als die für den aktuellen innerenglischen (wie ökumenischen) Dialog relevanten Beiträge der besprochenen Theologen die Einsicht in die unbedingte Vorläufigkeit aller Kirchenmodelle (im Sinne einer platonischen Idee von Kirche?), die Ablehnung eines verbindlichen Lehramtes, die Betonung einer Konsenstheorie der Wahrheit (auch im Blick auf die Aussagen der Glaubenssymbole) und die Hervorhebung der praktisch gelebten Nachfolge aufgelistet werden (vgl. 223–225). Eine Wurzel der ökumenischen Bewegung der Neuzeit liegt in der Initiative »Faith and Order« des anglikanischen Bischofs Charles Brent. In dieser Veröffentlichung wird er nicht einmal im Register erwähnt.