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Ausgabe:

November/2008

Spalte:

1214–1215

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Hartmann, Peter Claus, u. Florian Schuller [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Das Heilige Römische Reich und sein Ende 1806. Zäsur in der deutschen und europäischen Geschichte.

Verlag:

Regensburg: Pustet 2006. 160 S. 8°. Geb. EUR 19,90. ISBN 978-3-7917-2015-9.

Rezensent:

Harm Klueting

Das Jahr 2006 brachte mit der 200. Wiederkehr des Erlöschens des Alten Reiches – ähnlich wie das Jahr 2003 mit der Erinnerung an den Reichsdeputationshauptschluss und die Säkularisation von 1803 (dazu H. Klueting: 200 Jahre Reichsdeputationshauptschluss, Säkularisation und Mediatisierung 1802/03 in der Literatur um das Gedenkjahr 2003, in: Historische Zeitschrift 286 [2008], H. 2) – eine Fülle von historischen Ausstellungskatalogen, Monographien und Tagungsbänden hervor, die teilweise noch der Veröffentlichung harren (so z. B. der wichtige Tagungsband der Tagung des Italienisch-Deutschen Historischen Instituts in Trient vom September 2005, der dem Vernehmen nach auch die deutschen Beiträge lei-der nur auf Italienisch bringen wird: »Gli imperi dopo l’Impero nell’Europa del XIX secolo«). In diesen Zusammenhang fügt sich der anzuzeigende Band ein, der eine Tagung »für einen weiten Hö­rerkreis« (10) der Katholischen Akademie in Bayern dokumentiert. Von den zwölf Beiträgen, von denen neun von den Historikern Peter Claus Hartmann, Johannes Burkhardt, Gerhard Müller, Jacques Le Rider, Gottfried Mraz, Milan Hlava čka, Gabriele Haug-Moritz und Peter Rauscher sowie einer von dem Rechtshistoriker Wolfgang Sellert stammen, dürften für den Leserkreis dieser Zeitschrift vor allem die Arbeiten der beiden katholischen Kirchen­historiker Manfred Heim und Dominik Burkard von Interesse sein.
Manfred Heim (München) behandelt das Thema »Kirche im Um­bruch. Das Ende der Reichskirche« und durchmustert zunächst die enge Verzahnung der Verfassungsstrukturen des Reiches mit der katholischen Reichskirche, die u. a. in der Stellung der Erzbischöfe von Köln, Mainz und Trier als Kurfürsten des Reiches und in dem auch nach dem Augsburger Religionsfrieden und bis zum Ende des Reiches noch immer halb sakralen Charakter der Kaiserwürde ihren Ausdruck fand. Er fragt sodann nach den Auswirkungen des durch die Säkularisation von 1803 bewirkten Zusammenbruchs dieser für damalige wie heutige protestantische Wahrnehmungen so fremden Welt der »Germania Sacra« und kommt im Einklang mit der Forschung für die gesamte römisch-katholische Kirche zu dem Ergebnis, die wahrscheinlich wichtigste Folge des Untergangs der Reichskirche sei in der »Papstkirche« (118) zu sehen, deren Konzentration auf »Rom« ihren Höhepunkt mit dem I. Va­tikanum 1870 erfuhr. Für Deutschland gelangt er – ebenfalls im Einklang mit der jüngsten Forschung gerade auch katholischer Kirchenhistoriker – zu einer insgesamt positiven Sicht der Säkularisation von 1803: »So zeigt sich, dass sie [die Bewertung der Vorgänge von 1803] von der älteren (katholischen) Geschichtsschreibung fast ausschließlich unter den Aspekten der Plünderung, der materiellen Verluste und der Zertrümmerung bestimmt war. Erst in neuerer Zeit wird dieses Ende auch als Option für einen Neuanfang gewertet. Insbesondere die mit der Aufhebung der geistlichen Staaten einhergehende Entflechtung von Herrscher- und Bischofsamt wird heute als positive Folge des Zusammenbruchs der ›Welt von gestern‹ gewürdigt« (119 f.) – als »Rückführung der Kirche zu ihren genuinen Aufgaben« (120).
Dominik Burkard (Würzburg) fragt unter dem Titel »Katholisch– protestantisch: Mentalitätsgeschichtliche Ausprägungen in Deutschland nach 1806« und vor dem Hintergrund der Arbeiten zum 19. Jahrhundert als »zweites konfessionelles Zeitalter« (Olaf Blaschke) nach dem, was man mit Thomas Kaufmann vielleicht besser noch als katholische und protestantische Konfessionskulturen im Jahrhundert nach Revolution und Säkularisation benennen könnte. Er lehnt sich mit seinem Verständnis von Mentalität u.a. an Historiker wie František Graus, Gerd Tellenbach und Peter Dinzelbacher an und hebt hervor, dass es konfessionelle Mentalität nur im Plural gebe – auch im 19. Jh. und auch im katholischen Bereich, wo statt vom Katholizismus von »Katholizismen« (137) zu sprechen sei. Burkard geht ebenfalls auf die evangelische Seite ein – die Rede ist u. a. vom Reformationsfest von 1817 und von der Erweckungsbewegung –, lenkt den Blick aber vor allem auf Katholisches.
Schwer wiegt ein kleiner Satz: »Die Abwesenheit der Klöster ließ jedoch schon bald die Sehnsucht nach ihnen groß werden« (133; dazu H. Klueting: »Gedanken über die Aufhebung der Klöster und geistlichen Stifter im Herzogtum Westphalen«, in: Theologisches. Katholische Monatsschrift 33 [2003], 595–600). Tatsächlich war das 19. Jh. seit den Jahren nach 1815 und bis zum Kulturkampf und erneut nach dessen Ende eine Zeit der Gründung zahlreicher kontemplativer wie apostolischer Klöster – die noch nicht geleistete vergleichende Untersuchung zur katholischen Restauration in Deutschland und Frankreich könnte hier vieles deutlich machen. So kann Burkard abschließend urteilen: »Die Ereignisse zu Beginn des 19. Jahrhunderts führten in ihrer Langzeitwirkung nicht zur Dechristianisierung und Entkirchlichung, sondern zu Ultramontanismus, Verkirchlichung und Milieubildung« (135).