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Ausgabe:

November/2008

Spalte:

1209–1210

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Speer, Andreas, u. Lydia Wegener [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Wissen über Grenzen. Arabisches Wissen und lateinisches Mittelalter.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 2006. XXIV, 838 S. m. 60 Abb. gr.8° = Miscellanea Mediaevalia. Veröffentlichungen des Thomas-Instituts der Uni­versi- tät zu Köln, 33. Lw. EUR 148,00. ISBN 978-3-11-018998-8.

Rezensent:

Volker Leppin

Dass die Vermittlung der arabischen Philosophie an das lateinische Christentum von ganz zentraler Bedeutung für Philosophie- und Theologiegeschichte ist, ist eine weithin bekannte Tatsache. Dennoch ist der geistesgeschichtlich fundamentale Transfervorgang bislang immer noch nur sehr wenig untersucht – nicht zuletzt, weil die sprachlichen Barrieren sowohl der unterschiedlichen Quel­len als auch zwischen den international beteiligten Forschungszusammenhängen ganz erheblich sind.
Der nun vorliegende Band, der auf die 34. Kölner Mediävistentagung im Jahr 2004 zurückgeht, stellt daher einen wichtigen Schritt für die Sichtung des Forschungsgeländes und die internationale Diskussion – mit Beiträgen in fünf Sprachen – dar. Die zehn Sektionen, in die er eingeteilt ist, sind dabei nicht unbedingt ganz klar abgegrenzt. Im Wesentlichen werden die äußeren Bedingungen des Transfers (Sektionen I und II), Fragen der gegenseitigen kulturellen Abgrenzung (IV) und Fachdisziplinen, insbesondere die Medizin (V) und die Philosophie einschließlich der Wissenschaftstheorie (VI–IX) sowie der Kunst (X) behandelt. Bedauerlich ist das Schattendasein religiöser Themen, für die – mit drei Beiträgen – die kleinste Sektion (III) steht. Diese weist zudem durch die dort vertretenen Autoren wie durch die Überschrift »Philosophie und Religion« darauf hin, dass auch sie letztlich den dominierenden philosophischen Fragen zuzuordnen ist. Dieses Missverhältnis wird man kaum den Organisatoren der Mediävistentagung zuzurechnen haben. Es spiegelt vielmehr die prekäre Situation der theologischen Mediävistik wi­der, die auf evangelischer Seite nie stark ausgebaut war, nun aber auch von katholischer Seite nicht mehr die notwendige Förderung erhält. Das Bild wird nur begrenzt dadurch aufgehellt, dass sich ein sehr instruktiver Beitrag der Feder eines Theologen verdankt. Allerdigs ist die Studie von Görge Hasselhoff zu Übersetzungen medizinischer Werke des Maimonides in der Sektion »Arabische Medizin« zu finden. Umso mehr sollte man sich auf theologischer Seite der Lektüre dieses Bandes zuwenden, dessen Beiträge sich durchweg auf ho­hem Niveau bewegen und die hier allein schon auf Grund ihrer schieren Zahl – 45 Aufsätze – nicht alle einzeln gewürdigt werden können. Wichtige und erhellende Tendenzen aber sollten wenigs­tens benannt werden.
So fällt auf, dass kulturwissenschaftliche Fragestellungen sich bei diesem Thema stärker aufgedrängt haben, als dies sonst oft in philosophiegeschichtlichen Zusammenhängen der Fall ist. In­struk­tiv sind die Beiträge zum »translation movement« im spätmittelalterlichen Spanien, das Dimitri Gutas einleuchtend er­klärt– weniger aus kognitiven Interessen denn als Vorgang der Anpassung an die Kultur in Al-Andalus (11). Dag Nikolaus Hasse betont demgegenüber zwar stärker das Bemühen, Wissenslücken zu füllen (79 f.), bettet dies aber sozialhistorisch in das Netz von Patronage ein: Übersetzer mussten finanziert werden und der Kollegialität innerhalb der Domkapitel, denen zahlreiche Übersetzer angehörten, musste Rechnung getragen werden. Im Zusammenhang dieser sozialen Kontextualisierung geistesgeschichtlicher Prozesse sind auch die Überlegungen von Mauro Zonta von großer Bedeutung, der die allgemeinen Aussagen über jüdische Vermittlung bei der Übersetzungstätigkeit durch eine detaillierte Studie auf ihren Kern zurückführt. Diese Vermittlungstätigkeit bezog sich ganz überwiegend auf Schriften aus den Bereichen, in denen Juden eine gewisse Anerkennung entgegengebracht wurde: Medizin und Astronomie (100).
Diese kulturwissenschaftlichen Ansätze prägen freilich die stärker fachlich orientierten Beiträge nur zum Teil, was deren geistesgeschichtlichen Wert nicht mindert. Vielmehr ist hier eine hohe Differenzierungsleistung erbracht worden. So wird die Frage nach der Averroesrezeption von dem sehr weitgehend ausdiskutierten Thema der konsequenten Aristoteliker um Siger von Brabant gelöst und die Feinteiligkeit dieses Prozesses nachgezeichnet. Die Beiträge von Mischa von Perger und Marek Gensler zeigen dabei, dass es sich wirklich lohnt, noch einmal die Frage nach der Rolle zu stellen, die Averroes bei Walter Burleigh spielte. Dabei zeichnet von Perger zugleich die bei Burley widergespiegelten Differenzen zwischen Averroes und Avicenna nach, denen sich auch mehrere weitere Beiträge widmen. Sie zeigen, wie wenig monolithisch die arabische Philosophie war, die von christlicher Seite aufgenommen wurde.
Die spezifisch religiösen Fragen gewidmeten Aufsätze gelten sowohl dem islamischen als auch dem christlichen Kontext. Freilich endet gerade der Beitrag von Rémi Brague mit einer ernüchternden These: Hiernach gebe es keine spezifisch islamische Phi­losophie, jedenfalls nicht im religiösen, sondern nur im kulturellen Sinne. Diese schroffe Gegenüberstellung liegt wohl auch daran, dass Brague mit seiner Frage nach »islamischer Philosophie« von vornherein an dem normativen Begriff christlicher Phi­losophie ori­entiert ist (167 f.). Würde man stärker die kulturhistorischePer­spektive anderer Beiträge des Bandes einbeziehen, würde das Ergebnis sicher differenzierter.
Zwei Modelle der christlichen Wahrnehmung des Islam behandeln Ulrich Rudolph und Markus Enders. Rudolph zeigt – sicher zutreffend –, dass die Äußerungen des Nikolaus von Kues über den Islam letztlich nur verstehbar sind vor einer platonisierenden Deutung von Religion, die das Christentum als die überlegene Verwirklichung dieser platonischen Religion ansah. Die Überzeugung von der Überlegenheit des Christentums ist nach der Deutung von Markus Enders auch für Raimundus Lullus leitend, bei dem er ge­radezu eine »missionarische Absicht« ausmacht (196). Auffällig ist, dass beide Autoren sich offenbar genötigt sahen, über die Deskription zur Wertung zu schreiten, und in dieser unterscheiden sie sich signifikant: Während Rudolph durch das Modell des Kusaners Dialogmöglichkeiten verstellt sieht (192), erwägt Enders durchaus An­knüpfungsmöglichkeiten an Lullus zur Eröffnung eines Gesprächs zwischen den Religionen, das die Wahrheitsfrage nicht ausklammert (214). Trotz dieser Differenz aber liegt der gemeinsame Ertrag beider Studien in der Destruktion von gelegentlich anzutreffenden Bildern (s. zu Kues die Belege bei Rudolph, Anm. 20), die den mittelalterlichen Autoren durch eine Einzeichnung in moderne Tole­ranz­wünsche nicht gerecht werden.
So zeigt sich am Detail, wie viele Anstöße dieser Band enthält. Er sollte auch in theologischen Bibliotheken nicht ungelesen bleiben.