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Ausgabe:

November/2008

Spalte:

1186–1188

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Giesen, Heinz

Titel/Untertitel:

Jesu Heilsbotschaft und die Kirche. Studien zur Eschatologie und Ekklesiologie bei den Synoptikern und im ersten Petrusbrief.

Verlag:

Leuven: Leuven University Press; Leuven-Paris-Dudley: Peeters 2004. XX, 578 S. gr.8° = Bibliotheca Ephemeridum Theologicarum Lovaniensium, 179. Kart. EUR 70,00. ISBN 90-5867-432-0 (Leuven University Press); 90-429-1516-1 (Peeters).

Rezensent:

Lutz Doering

Der Band versammelt 18 Studien, die Heinz Giesen, Professor für Neues Testament an der Philosophisch-theologischen Hochschule der Steyler Missionare in Sankt Augustin, in den letzten zwei Jahrzehnten veröffentlicht hat. Für den Druck durchgesehen und in ihren Anmerkungen vereinheitlicht, hat ihnen G. eine Einleitung vorangestellt, die in das weitgefächerte Feld der Untersuchungen einführt und die wichtigsten Thesen vorstellt. Abgeschlossen wird der Band durch eine kumulative Bibliographie sowie Autoren-, Stellen- und Sachregister. Je vier Beiträge beschäftigen sich mit dem Markus- und Matthäusevangelium, je zwei mit dem Lukasevangelium und übergreifenden Fragen; den Abschluss bilden sechs Studien um den 1. Petrusbrief.
Zum Markusevangelium: »Dämonenaustreibungen – Erweis der Nähe der Herrschaft Gottes. Zu Mk 1,21–28« (15–30) versteht die Exorzismen im Kontext der anbrechenden Gottesherrschaft; damit ließen sie »dieselbe eschatologische Dimension« erkennen »wie das authentische Jesuswort in Lk 11,20 par Mt 12,28« (29; doch handelt Mk 9,14–29 nicht von dem »Besessenen von Gerasa« [17]!). In »Mk 9,1– ein Wort Jesu über die nahe Parusie?« (31–47) verneint G. die hier gestellte Frage; der mk Jesus spreche vielmehr vom Anbruch der Herrschaft Gottes »in Macht«, nämlich nach seiner Auferstehung, wofür G. auf Röm 1,4 verweist (44; merkwürdig hier der gelegentliche Wechsel auf die Ebene historischer Rückfrage nach Jesus: z. B. 36.46). Ähnlich bestreitet G., dass sich Mk 13 auf die Parusie beziehe (»Christliche Existenz in der Welt und der Menschensohn: Versuch einer Neuinterpretation des Terminwortes Mk 13,30«, 49–96). Er versucht nachzuweisen, dass der Text (wie auch Mk 14,62) von Christi »Einsetzung in Macht« spreche, »die schon jetzt zum Zuge kommt« (78); daher ziele Mk 13 darauf, dass sich die Christen in den Bedrängnissen der Gegenwart bewähren, um so »bei der Begegnung mit dem Menschensohn im Tod bestehen« zu können (94). Diese Deutung muss das 13,26 vom Menschensohn ausgesagte ›Kommen‹ als bloßes (und blasses) »In-Erscheinung-Treten« (76) auffassen. »Der Auferstandene und seine Gemeinde. Zum Inhalt und zur Funktion des ursprünglichen Markusschlusses (16,1–8)« (97–131) zeigt auf, dass im Zentrum dieses Textes nicht die Vergewisserung des leeren Grabes steht, das zweideutig ist, sondern »die Begegnung mit dem gekreuzigten und auferweckten Messias«. Diese (vgl. 16,7) »führt in die Gemeinschaft«; den abrupten Schluss könne man als »Aufforderung zur Relektüre« verstehen (129).
Zum Matthäusevangelium: »Jesu Krankenheilungen im Verständnis des Matthäusevangeliums« (135–157) begreift die Heilungen als Ausdruck der angebrochenen Heilszeit der Gottesherrschaft; dies – und nicht die Frage der Heidenmission – stehe auch hinter den universalen Zügen des heilenden Handelns Jesu (vgl. Mt 8 und 15). In »Christusnachfolge als Weg zum Heil. Zum matthä­ischen Verständnis des Logions vom engen Tor (Mt 7,13f)« (159–178) argumentiert G., dass der Weg zum Leben hier in der Christusnachfolge bestehe, »die die Selbstpreisgabe fordert, um das Leben zu finden« (177). »Galiläa – mehr als eine Landschaft. Bibeltheologischer Stellenwert Galiläas im Matthäusevangelium« (179–202) weist darauf hin, dass Galiläa im MtEv nicht nur von geographischem Interesse sei und auch nicht nur, wie im MkEv, Ort der Begegnung mit dem Auferstandenen, sondern zugleich der Ausgangspunkt der Aussendung der Jünger. So werde »Galiläa zum Ursprung der nachösterlichen Gemeinde, die stets auf das Galiläa zurückverwiesen wird, in dem der irdische Jesus gepredigt und gewirkt hat« (202). »Jesu Sendung zu Israel und die Heiden im Matthäusevangelium« (203–228) sieht die (historisch zutreffend) auf Israel beschränkte Sendung Jesu durch den mt Missionsbefehl an ›alle Völker‹, in die Israel »nicht eingeschlossen« sei (210), »nicht außer Kraft« gesetzt, »sondern ergänzt« (227). Das ›Volk‹, dem die βασιλεία gegeben wird (Mt 21,43), entstehe durch beide Missionen (wie verhalten sich diese zueinander?), so dass am Ende »alle Völker (25,32), d. h. alle Menschen ohne Ausnahme, sich vor dem Menschensohn-Richter verantworten« (228).
Zum Lukasevangelium: Der erste Beitrag nimmt »Eigentum im Urteil Jesu und der Jesustradition« (231–244) vorwiegend im LkEv in den Blick und hebt Jesu im Kontext der Gottesherrschaft zu verstehende »Souveränität gegenüber den irdischen Gütern« (242) hervor. Es folgt »Verantwortung des Christen in der Gegenwart und Heilsvollendung. Ethik und Eschatologie nach Lk 13,24 und 16,16« (245–257): Anders als Mt 7,13 f. gehe es in Lk 13,24 um die gegenwärtig zu durchschreitende ›enge Tür‹, und Lk 16,16 spreche von der »eindringlichen Bitte«, in die Gottesherrschaft einzutreten (253; mit J. B. Cortés und F. M. Gatti [JBL 106 (1987), 247–259] wird βιάζεται passivisch verstanden); das Leben aus dem jetzt geschenkten Heil sei Voraussetzung für die Heilsvollendung.
Übergreifend fasst G. noch einmal seine Thesen zur »Eschatologie und Naherwartung im Neuen Testament« zusammen (261–278), wobei wiederum die Parusie-Naherwartung bestritten wird. Christen lebten in der Endzeit, deren Dauer sei aber unbestimmt; sie hätten sich in dem ihnen in der Gottesherrschaft geschenkten Heil zu bewähren. Dass Paulus von Anfang an keine eigentliche Naherwartung vertreten habe (273 f.), wird sicher weiter umstritten bleiben. Christologische Bestimmtheit und das Konzept einer inaugurierten Heilszeit als Spezifika der christlichen Taufe betont der Beitrag »Die Johannestaufe. Ihre religions- bzw. traditionsgeschichtliche Einordnung und Bedeutung für die christliche Taufe« (279–293).
Schließlich zum 1. Petrusbrief: »Der Gott Israels als der Vater un­seres Herrn Jesus Christus im ersten Petrusbrief« (297–324) weist die Theozentrik des 1Petr vor allem an Präskript und Eingangseulogie des Briefs auf. In »Gemeinde als Liebesgemeinschaft dank göttlicher Neuzeugung. Zu 1 Petr 1,22–2,3« (325–351) will G. zeigen, dass die »Forderung gegenseitiger Liebe« an die Christen »vor allem in der göttlichen Neuzeugung motiviert und ermöglicht« ist (349). Allerdings kann man G.s These bezweifeln, dass der »Ort« der Neuzeugung »die Taufe« ist (336 – J. Herzer wird dafür zu Unrecht angeführt: Petrus oder Paulus?, 1998, 218–223). Auch zu den Imperative im Aorist begleitenden Partizipien des 1Petr – G. zufolge als »Indikative« zu verstehen, »die den in der Taufe geschenkten Heilsstand in Erinnerung rufen« (328) – dürfte noch nicht das letzte Wort gesprochen sein. »Kirche als Gottes erwähltes Volk. Zum Gemeindeverständnis von 1 Petr 2,4–10« (353–364) arbeitet den Christusbezug (›geisterfülltes Haus‹) und die missionarische Dimension (›heilige Priesterschaft‹) der Gemeinde heraus. »Lebenszeugnis in der Fremde. Zum Verhalten der Christen in der paganen Gesellschaft (1 Petr 2,11–17)« (365–398) entwickelt (in Anlehnung an die Arbeiten von R. Feldmeier u. a.) Fremdsein als Signatur christlicher escha­tologischer Existenz und zeigt deren Konsequenzen anhand der Mahnungen zur Unterordnung unter die Obrigkeit auf. In den beiden umfangreichen Studien »Hoffnung auf Heil für alle – Heils gegenwart für die Glaubenden (1 Petr 3,18–22)« (399–451) sowie »Christi Leiden – Voraussetzung und Bedingung christlichen Le­bens und Heils auch für Verstorbene (1Petr 4,1–6)« (453–489) widmet sich G. abschließend zwei schwierigen Passagen, in denen er eine »Heilszuversicht« wahrnimmt, die »im NT geradezu einzig« dasteht (450).
Der Band ist in seiner argumentativen Breite keine leichte Lektüre. Allerdings entstehen Bezüge durch parallele Argumentationsstrukturen, interne Verweise und komplementäre Ergänzungen. Wenn man G. auch nicht immer zu folgen vermag, gibt der Band doch eine willkommene Gelegenheit zur zusammenhängenden Auseinandersetzung mit einem Exegeten, der das bedeutsame Verhältnis von Eschatologie und Ekklesiologie sowie dessen ethische Implikationen konsequent in den Mittelpunkt seiner Arbeit stellt.