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Ausgabe:

Oktober/1996

Spalte:

941–943

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Sevenich-Bax, Elisabeth

Titel/Untertitel:

Israels Konfrontation mit den letzten Boten der Weisheit. Form, Funktion und Interdependenz der Weisheitselemente in der Logienquelle

Verlag:

Altenberge: Oros 1993. XIV, 491 S. 8o = Münsteraner Theologische Abhandlungen, 21. Kart. DM 75,80. ISBN 3-89375-067-3

Rezensent:

K.-W. Niebuhr

Die vorliegende Dissertation (Katholisch-Theologische Fakultät Münster 1991/92) bietet eine exegetische Untersuchung zum ersten Teil der Logienquelle (Lk 3-7* par.). Ihr Ziel ist es, die Rezeption weisheitlicher Elemente in der Logienquelle herauszuarbeiten und deren Funktion innerhalb ihrer Komposition zu bestimmen. Im Unterschied zum methodischen Ansatz neuerer Untersuchungen zur Traditions- und Redaktionsgeschichte von Q (Einleitung, 1-27) "soll der Frage nachgegangen werden, wie die Logienquelle auf der Ebene der Endredaktion ,funktioniert´" (18). Unter Endredaktion versteht die Vfn. "das letzte gemeinsame Stadium der Q-Vorlage des Matthäus und Lukas" (21). Die These der Dissertation besteht darin, daß ältere und jüngere Weisheitskonzepte den entscheidenden theologischen Hintergrund der Logienquelle bilden. Ihre Integration bei der Komposition und literarischen Gestaltung des Offenbarungsprozesses, der pragmatisch an die Personen Johannes und Jesus, die "letzten Boten der Weisheit", gebunden ist, sei die eigentliche theologische Leistung der Träger der Q-Überlieferung (Auswertung, 462-467).

Obwohl die Vfn. im Sinne ihrer These primär an einer synchronen Analyse der Logienquelle interessiert ist, muß sie vorher mit diachronen Arbeitsschritten ihren Untersuchungsgegenstand rekonstruieren (Literarkritik, 28-240). Anschließend untersucht sie unter der Überschrift "Formkritik" zunächst die "Struktur des Textes Lk 3-7* par." (241-370) und dann noch einmal besonders die "Struktur und Bedeutung der Rede am Berg und ihres Kontextes" (371-461). Während sie im literarkritischen Teil methodisch konventionell verfährt, stellt sie dem formkritischen eine Einführung voran, in der sie unter Kritik an der klassischen Formgeschichte den linguistisch-textpragmatisch bestimmten Analyseansatz von Gülich/Raible aufnimmt und seine Anwendung für ihre Untersuchung begründet. Dies entspricht ihrem Ziel, im Gegensatz zur bisherigen Forschung den makrostrukturellen Merkmalen des Textes zu eigenem Gewicht zu verhelfen.

Das damit verbundene entscheidende methodische Problem, das die Vfn. auf S. 20 mit dem Wörtchen "paradoxerweise" eher andeutet als wirklich reflektiert, liegt freilich in der Frage, inwiefern die Logienquelle als Text im Sinne von Gülich/Raible angesehen und behandelt werden kann. Alle Rekonstruktionsversuche, auch der der Vfn., stimmen darin überein, daß die Gewißheit der Rekonstruktion des Wortlauts von Q bei Logien am größten, bei erzählenden, einleitenden und verbindenden Textpassagen am geringsten ist. Gerade solche "metakommunikativen" Textteile sind aber für die Textsegmentierung und damit für die Herausarbeitung der Makrostruktur eines Textes nach Gülich/Raible entscheidend. Die Vfn. sieht das Problem (256 ff.) und verzichtet z. B. auf eine Rekonstruktion des Wortlauts der Tauferzählung und der Einleitung zur "Rede am Berg", behauptet dann aber doch: "Lk 3-7* par. ist zweifellos ein Text, d. h. eine literarisch gewordene sprachliche Mitteilung." Literarisch geworden sind "zweifellos" aber nur die in den Evangelien belegten Textgestalten, während der Asterisk ja gerade auf einen exegetisch rekonstruierten Text hinweist. Überspitzt gesagt: Die Vfn. analysiert ihren eigenen Text, nicht einen literarisch vorgegebenen.

Die sehr detaillierten, vorsichtig argumentierenden und ausgewogen begründenden literarkritischen Analysen stehen methodisch wie sachlich weitgehend unverbunden neben den folgenden, für die These allein maßgeblichen formkritischen. Ihr Ergebnis deckt sich weitestgehend mit dem von A. Polag rekonstruierten Text, ohne freilich dessen typographische Differenzierungen und den ausführlichen Variantenapparat im abschließend gebotenen griechischen Text (233-240) wiederzugeben.(1)

Von zentraler Bedeutung für die These der Vfn. sind die Täufertexte (bes. Lk 3,7-9.16 f. par.; 7,31-35 par.). An ihnen möchte sie, vornehmlich in Auseinandersetzung mit M. Sato,(2) nachweisen, daß die Logienquelle strukturell weder prophetischen noch deuteronomistischen, sondern vielmehr weisheitlichen Konzeptionen nachgebildet ist, wobei sie prophetische, apokalyptische oder deuteronomistische Elemente in ihr keineswegs leugnet. Verfehlt ist es allerdings, wenn dabei Texte der Logienquelle an den Kriterien der "klassischen" Prophetie gemessen werden (so besonders kraß mit Blick auf die Täuferpredigt, 286-292). Als deren Spezifikum habe allein die Gerichtsbotschaft zu gelten, während die Umkehrforderung allenfalls als Teil der Anklage zur prophetischen Verkündigung gehört haben soll. Solche Kategorien mögen mit Blick auf die vorexilischen Propheten diskutabel sein. Im Frühjudentum, das für das Prophetenverständnis der Logienquelle maßgeblich ist, waren die Umkehrforderung ebenso wie die deuteronomistisch geprägte Mahnrede längst zu zentralen Bestandteilen der prophetischen Überlieferung geworden. Die von der Vfn. vorgeschlagene Interpretation der Täuferrede als "weisheitliche Lehrrede" im Gegensatz zu prophetischer Prägung kann deshalb kaum überzeugen, zumal sie selbst immer wieder auf Differenzen zur Weisheit zu verweisen hat. Im für das Frühjudentum so charakteristischen Milieu der Traditionsvermischung kann die Alternative zwischen Prophetie und Weisheit nicht weiterhelfen.

Zudem erweist sich in diesem Zusammenhang die Eingrenzung der Untersuchung auf den ersten Teil der Logienquelle als problematisch. So können Texte, die zweifellos weisheitlich geprägt sind (z. B. Lk 10,21 f. par.; 11,49 ff. par.; 13,34 f. par.), nur exkursartig behandelt werden. Dabei zieht die Vfn. gelegentlich recht weitreichende Konsequenzen für die Christologie und Soteriologie der Logienquelle, die exegetisch weitgehend in der Luft hängen. So ist die Zusammenordnung des Täufers mit Jesus im Plural "die letzten Boten der Weisheit" allenfalls von Lk 7,31-35 par. her assoziativ angedeutet, widerspricht aber ansonsten der eindeutigen und einseitigen Herausstellung der einzigartigen Bedeutung Jesu (die natürlich auch die Vfn. sieht). Von Israels Konfrontation mit dem Menschensohn (nicht mit "den Boten der Weisheit") ist vor allem in Texten die Rede, die nicht zum Untersuchungsbereich der Dissertation gehören. Sie werden daher lediglich in einem Exkurs im literarkritischen Teil behandelt (186-190).

Das zweite, wesentlich festere Standbein hat die These der Vfn. in der "Rede am Berg". Über die schon immer gesehenen weisheitlichen Züge der einzelnen Aussage- und Mahnworte hinaus betont sie auch hier den Aussagezusammenhang, der formal dem Grundaufbau der Lehrrede und inhaltlich weisheitlichen Normvorstellungen entspreche. Zu Recht berücksichtigt sie dabei deren apokalyptische Umprägung und Neuinterpretation, während der Einfluß und die Funktion der Toratradition m.E. von ihr zu gering veranschlagt werden. Die in der Zusammenfassung von D. Kosch übernommene Interpretation der Bergrede als "eschatologische Tora des Menschensohnes" ergibt sich jedenfalls nicht aus den Analysen der Vfn. und wirkt eher "aufgesetzt".

Die Stärken der Dissertation liegen im Handwerklichen, in der detaillierten exegetischen Analyse, dem methodisch bewußten Vorgehen, der umfassenden und ausgewogenen Diskussion der Sekundärliteratur, der präzisen Formulierung ihrer Interpretationen. Leider kommen diese Fähigkeiten der Vfn. wegen ihrer schwerlich haltbaren, einseitig auf die Weisheit zugespitzten These nicht ausreichend zur Geltung.

Fussnoten:

(1) Nicht berücksichtigt sind die Q-Synopsis von F. Neirynck (Leuven 1988) und die seit 1990 in JBL erscheinenden Berichte des "International Q Project";.
(2) Q und Prophetie, Tübingen 1988; vgl. weiterführend jetzt ders., Wisdom Statements in the Sphere of Prophecy, in: R. A. Piper (Hrsg.), The Gospel Behind the Gospels. Current Studies on Q (NT.S 75), Leiden 1995, 139-158.