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Ausgabe:

Oktober/2008

Spalte:

1124–1126

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Loo, Dirk van de

Titel/Untertitel:

Hölzerne Eisen? Brückenschläge zwischen poetischer Dogmatik und erstphilosophischer Glaubensverantwortung.

Verlag:

Regensburg: Pustet 2007. 355 S. gr.8° = ratio fidei, 32. Kart. EUR 39,90. ISBN 978-3-7917-2067-8.

Rezensent:

Dominik Terstriep

In der Tat, ein Buch voller hölzerner Eisen. Die bei Klaus Müller an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster entstandene Dissertation des 1974 geborenen Vf.s hält, was sie im Titel verspricht. Er stellt zwei grundverschiedene theologische Entwürfe, die Poetische Dogmatik (PD) von Alex Stock und die Erstphilosophische Glaubensverantwortung (EG) von Thomas Pröpper und Klaus Müller, in eine »beunruhigende Nähe«. Die schwierigste Operation der Arbeit besteht im Aufweis, dass diese Zusammenstellung sinnvoll ist und nicht zwei Größen in ein Gespräch ge­bracht werden, die von vornherein nicht zusammenpassen. Eine positive Irritation und durch sie ein Erkenntniszugewinn gehören zu den Zielen des Vf.s. Die Arbeit stellt sich vor allen drei hölzernen Eisen: Poesie und Dogmatik (Stock), die Wortverbindung »erstphilosophische Glaubensverantwortung« (Pröpper, Müller) und der Versuch des Vf.s, »der Poetischen Dogmatik eine erstphilosophische Geltungsreflexion einzuschreiben« (26). Der Leser wird in fünf Schritten durch das ambitionierte Unternehmen geführt.
Im ersten Teil, der Einführung (11–29), wird ein zeitgeschichtlicher Bogen von den 30er Jahren bis in unsere Gegenwart geschlagen. Er beschreibt den Traditionsabbruch des Christentums, der die Protagonisten der Dissertation einschließlich des Vf.s zu ihren theologischen Entwürfen motiviert. Mit der belletristischen Vorlage von Frank McCourts »Die Asche meiner Mutter« wird eine er­hellende wie knappe Schrittfolge dieses Erosionsprozesses anhand einer Szene vor einem Herz-Jesu-Bild skizziert: von der unhinterfragten Evidenz über die informierte Indifferenz bis hin zum Kul turphänomen, das säkular-ethnologisch wahrgenommen wird. So gelingt es dem Vf., in einer denkbar knappen Sequenz wesent­liche Aspekte des Folgenden anzureißen: die im zweiten Kapitel beschrie­bene und mit der Romanszene zeitlich synchrone Verkündigungstheologie, die Bildtheologie Stocks und die an Müller angelehnte Herzensbildung als Erschließung von Welt- und Selbstbeschreibung und deren Kommunikation.
Die beiden Teile des hölzernen Eisens, die PD und die EG, werden überblickartig vorgestellt. Doch bevor es an deren Ausführung geht, sucht der Vf. einen historischen Ort, an dem sich beide finden können, und macht ihn in der sog. Verkündigungstheologie der 30er Jahre aus (Kapitel 2). Die damals eingeschlagene Suchrichtung nach einer sensiblen Glaubenssprache, Zeitgenossenschaft und die Konzentration auf die Mitte des Glaubens bewegen auch die in der Arbeit verhandelten Entwürfe.
Das dritte und umfangreichste Kapitel der Arbeit bildet die Darlegung der PD Stocks (70–203). Der Leser wird meisterhaft in die Denkbewegung des Autors mitgenommen, so dass das plastische Bild eines leidenschaftlichen Gottdenkers ersteht, der in die geis­tigen Strömungen seiner Zeit eingebettet ist. Der Vf. folgt Stock dabei nicht ins Reich der Poesie, sondern schaut ihm über die Schulter, um einen systematischen Durchblick durch die hermeneutischen Entscheidungen und die Grundintentionen der PD zu geben. Die Darstellung ist von der Überzeugung getragen, dass die PD zumindest implizit »bei den zentralen Problemfeldern heutiger Fundamentaltheologie mitreden« kann (186), und will sie so »für den gegenwärtigen fundamentaltheologischen Diskurs kommunizierbar machen« (ebd.). Die Sympathie des Vf.s für die PD ist nicht zu übersehen, doch wahrt er die notwendige kritische Distanz, indem er sich selbst ins Wort fällt, prüft und Einwände wägt. Die PD erscheint als eine unmögliche, aber nötige Dogmatik, ein hölzernes Eisen, das der Theologie etwas zu denken gegeben hat, was sie nicht so leicht beiseiteschieben sollte. In der Bewertung als un­möglich, aber nötig treffen sich nun die PD und EG in ihren Vertretern Pröpper und Müller. »Um Not und Notwendigkeit des eigenen theologischen Entwurfs gruppieren sich so alle Gesprächsteilnehmer als Außenseiter im fachlichen Diskurs« (77).
Das vierte Kapitel (204–311) erschließt die Ansätze der beiden Münsteraner Theologen und bedenkt sie auf eine mögliche Wechselwirkung mit der PD. Hier werden nicht nur Brückenschläge, sondern auch Frontlinien der beiden Entwürfe deutlich. Das Anliegen der Konfrontation von PD und EG besteht darin, der PD eine erstphilosophische Geltungsreflexion beizugesellen. Das, was bei Stock nicht explizit begründet wurde, soll mit Hilfe dieser Ope­ration in eine Rechenschaft münden. Dabei gewärtigt der Vf. die Gefahr, Anliegen und Verfahrensweise der PD durch ein sie überholendes Be­gründungsverfahren zu zerstören. Oft ist die Rede vom Dienst der EG, ganz ausdrücklich von der Rolle der »ancilla hermeneutica«, die vor allem der Ansatz Müllers für Stocks Anliegen einnehmen könne, um den Ort auszumachen, woher dem Religiösen Vernünftigkeit zukommen könnte. Damit erhielte sie den nötigen Vertrauensvorschuss, der es ermöglicht, sich auf sie einzulassen. Im Vergleich der beiden erstphilosophischen Entwürfe bevorzugt der Vf. den Müllers, der als einziger »ungeschoren« davonkommt.
Im fünften und letzten Teil der Arbeit (312–330) skizziert der Vf. seine spekulative Abschlussreflexion als »Philosophie der Frömmigkeit«, die auf die Frage antworten will, »wie der epistemische Status einer erstphilosophischen Glaubensverantwortung vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung mit der Poetischen Dogmatik ab­schließend zu bestimmen ist« (318). Leitmotive dieser »Phi­losophie der Frömmigkeit« sind der Beginn mit dem konkreten Subjekt, das Ergriffensein als Selbsttranszendenz, Absolutes in Be­ziehung (Gottesfreundschaft), die ästhetische Dimension und das Gebet als eine notwendige Form der Theologie.
Die Dissertation bietet den Lesern die beglückende Leseerfahrung des Entdeckens, gerade in den Passagen, die die Genese theologischen Denkens beschreiben. Sie sind so anregend, dass man sich am liebsten in jeden der genannten Denker vertiefen würde. Damit ist dem Vf. auch ein Stück Theologiegeschichtsschreibung gelungen. Hilfreich sind die knappen Ergebnissicherungen am Ende von gedanklichen Bögen, wo auch die offenen Fragen formuliert werden. Im Blick auf die PD befindet sich der Vf. allerdings in dem Dilemma, dass sich Stocks essayistische Methode nicht be­sonders für Systematisierungen eignet. Dessen Sammeln und Wie­derlesen wird (wie sollte es anders gehen?) auf Flaschen abgefüllt, die nur noch einen entfernten Eindruck vom Ursprünglichen ge­ben. Was bei Stock klein oder nebenbei bemerkt war, wird plötzlich groß und dogmatisch. »Das soll ich gesagt haben?«, so könnte man ihn fragen hören. Der Vf. zeigt sich als kluger Pendeldiplomat, der sich geschickt zwischen den Entwürfen hin- und herbewegt, um eine Verständigung zu erzielen, die aber in keinen vorschnellen Burgfrieden mündet. Diese Art theologischer Friedensarbeit zwischen »komplementär entgegengesetzte[n] Richtungen, in die sich die beiden Entwürfe entwickelt haben« (200), könnte man auch als correctio fraterna lesen. Die PD, die jetzt auch an der Münsteraner Fakultät ein wenig Heimatrecht hat, und die EG könnten füreinander Instanz werden, um angesichts des Traditionsabbruchs zu gemeinsamen Problemlösungen zu kommen. Am Ende hätte sich der Leser neben dem Literatur- auch ein Personenverzeichnis ge­wünscht, das es erleichtert, die vielen Zeugen leichter zu finden. Mit Spannung darf man nach diesem ehrgeizigen Projekt auf die konkrete Nachzeichnung der Koordinaten der »Philosophie der Frömmigkeit« des Vf.s warten.