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Ausgabe:

Oktober/2008

Spalte:

1123–1124

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Clayton, Philip

Titel/Untertitel:

Die Frage nach der Freiheit. Biologie, Kultur und die Emergenz des Geistes in der Welt. Frankfurt Templeton Lectures 2006. Hrsg. v. M. G. Parker u. Th. M. Schmidt. Aus d. Engl. übers. v. E. Fink.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2007. 184 S. m. 12 Abb. gr.8° = Religion, Theologie und Naturwissenschaft/Religion, Theology, and Natural Science, 10. Geb. EUR 29,90. ISBN 978-3-525-56981-8.

Rezensent:

Joachim Weinhardt

Die Argumentation von Philip Clayton zur Rechtfertigung der menschlichen Willensfreiheit bewegt sich auf drei Ebenen. In den ersten drei Kapiteln wehrt C. naturwissenschaftlich den Reduktionismus ab, der alles Geschehen und damit auch menschliches Handeln monokausal determiniert sein lässt. Für diesen Teil rechnet C. auf die Zustimmung aller Leser. Im Kapitel 4 betritt er die philosophische Ebene und versucht, einen mit den Naturwissenschaften kompatiblen Begriff von Handlungsfreiheit zu skizzieren. Dann führt C. schließlich einen Gottesbegriff ein, von dem aus es möglich sei, einen Begriff von metaphysischer Willensfreiheit zu gewinnen. Für die zweite und dritte Stufe des Argumentationsganges erwartet C. zunehmend weniger Akzeptanz. Es ist eine Stärke des Buches, selbst deutlich auf die Übergänge im Denkweg und auf die Hinzunahme weiterer Prämissen hinzuweisen (15–19.170–172).
Da tatsächlich kaum prinzipielle Widersprüche gegen den ersten Teil des Buches erhoben werden können, reicht hier ein relativ kurzer Hinweis auf seinen Inhalt. Schon innerhalb der lebendigen Zelle determinieren die Gene nicht alle Vorgänge, sondern zelluläre Strukturen außerhalb der DNA steuern den Prozess der Übersetzung der Gene in die ihnen entsprechenden Proteine (53). Am Ende dieses Argumentationsschrittes kommt C. zu dem Ergebnis, dass spätestens (!) mit dem Menschen sich ein Organismus entwickelt habe, der nicht nur durch biologische, sondern auch durch kulturelle und soziale Faktoren in seinem Handeln bestimmt wird. »Die Emergenz von Kultur stellt ein besonders aussagekräftiges Beispiel von Irreduzibilität dar, weil die Dynamiken kultureller Vererbung, die Wissenschaftler eher als lamarckistisch denn darwinistisch kategorisieren, sich grundlegend von den Dynamiken genetischer Vererbung unterscheiden« (15, vgl. auch 54.61.79.90).
Nun ist ein multifaktoriell bestimmter Mensch noch kein freier Mensch. Das gesteht C. durchaus zu (99.107.111), er möchte aber aus der Komplexität der Bedingungen des Willens eine graduelle Willensfreiheit entwickeln. Dieser zweite Argumentationsschritt ba­siert auf der Überlegung, dass im Lauf der Evolution die willensbedingenden Faktoren immer mehr in das handelnde Subjekt hineinverlagert wurden. Die Subjekte verhielten sich so, als ob sie frei wären (111). Freiheit bedeute, dass »die persönliche, soziale und biologische Geschichte des Handlungsträgers selbst dessen Handlungen bestimmt« und er »nicht gezwungen wird, gegen seinen Willen zu handeln« (113). Verglichen mit den Handlungsspielräumen eines Steines, eines Virus, eines niederen Säugetieres habe diese Art von Freiheit beim Menschen enorm zugenommen, so dass man von einer asymptotischen Entwicklung der Freiheitsgrade sprechen könne (111–114). Gegen diese Definition von Freiheit ist daran zu erinnern, dass eine größere Komplexität des Bedingungsgefüges nicht mit einer Verminderung des Bedingtheitsgrades des Willens einhergeht. Asymptotisch wächst nicht die Freiheit, sondern das Verhältnis zwischen Innen- und Außenbedingtheit des Organismus. Diesem Wachstum der Innenbestimmtheit aber entspricht eine zunehmende Verinnerlichung der Außenbedingungen (Repräsentation der Umwelt in Gehirn; Gewissen), so dass man hier doch besser nicht von Freiheit spräche.
Der dritte Teil des Buches beginnt mit Kapitel 5 mit der Überschrift: Über religiöse Freiheit. Eine Rede an die wissenschaftlich Ge­bildeten unter ihren Verächtern. In explizitem Anschluss an Schlei­ermacher wirbt C. hier für die Religion. Wir sollen mit der bedrohten Natur »in Verbindung treten«, um dadurch »die Vision des Göttlichen als allumfassenden, unendlichen Ursprung wieder zu entdecken, in dem alles Endliche lebt und sich bewegt« (127). Religion sei im Kern die Dialektik zwischen »dem Individuum und dem Ganzen, an dem es Teil hat«. Sie sei ein »durch Gefühl erlebtes ästhetisches Phänomen«, das aber »auch als Glauben formuliert werden« könne (137). Wer für diese Art von Religion kein Organ hat, dürfte hier nicht mehr mitkommen. C. führt dann noch einen transzendenten, panentheistischen Gottesbegriff ein. Dieser er­mögliche die metaphysische Willensfreiheit des Menschen (151). Die Welt sei ganz in Gott, wodurch ein Dualismus zwischen Geist und Materie vermieden werde, der sich angesichts naturwissenschaftlicher Erkenntnisse nicht halten lasse. Aber Gott gehe in der Welt nicht auf. Daher könne sich die menschliche Selbsttranszendenz auf Gott beziehen und so von aller weltlichen Bedingtheit frei werden. Wird der Mensch also frei, wenn er ganz durch Gott be­stimmt ist (159)? Aber die Grundentscheidung für oder gegen Gott ist eine solche des Subjektes selbst »mithilfe freien, moralischen Handelns« (168) – hier scheint doch eine (pelagianische) petitio principii vorzuliegen (C. spricht von der Imago-Dei-Korrelation).
Es konnte nur die Hauptlinie der Argumentation nachgezeichnet werden. Das Buch gehört unbedingt in die Hände aller, denen eine Theologie vorschwebt, die nicht an der naturwissenschaftlichen Anthropologie vorbeigeht. Auch wer nicht alle Schritte mit C. mitgeht, empfängt durch ihn eine reiche Fülle von Einsichten und Ausblicken für die eigene Arbeit (so lassen sich auch die zahlreichen Druckfehler etwas gelassener in Kauf nehmen).