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Ausgabe:

Oktober/2008

Spalte:

1122–1123

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Bader, Günter

Titel/Untertitel:

Die Emergenz des Namens. Amnesie – Aphasie – Theologie.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2006. XII, 398 S. gr.8° = Hermeneutische Untersuchungen zur Theologie, 51. Lw. EUR 94,00. ISBN 978-3-16-148884-9.

Rezensent:

Hans-Christoph Askani

Anders als für die »Symbolik des Todes Jesu« (1988), für »Die Abendmahlsfeier« (1993) oder für »Psalterium affectuum palaestra« (1996) hat Günter Bader darauf verzichtet, der »Emergenz des Namens« ein Motto voranzustellen. Vielleicht sollte der Bewegung, die Titel und ›Untertitel‹ in Gang setzen, keine weitere Indikation in die Quere kommen. Denn in der Tat geht es in diesem Buch um eine Be­we­gung, auf die die Lektüre bzw. der Leser sich einlassen muss. Sie wird durch den seltenen Ausdruck der »Emergenz« angezeigt: ein Auftauchen, ein Sich-Einstellen. Ein solches Sich-Einstellen ist schwer zu greifen; es ist per definitionem nicht abzuleiten, und doch soll es – das ist die Aufgabe, die das Buch stellt – gedacht werden.
Der Name »stellt sich ein«. Wie kommt es zu dieser Behauptung? Sie bezeichnet den Ort des Namens in der Sprache. Es gibt Sprachtheorien, die ihn, wie andere Elemente der Sprache, als einen ihrer Bestandteile schlicht voraussetzen. Demnach wären die Sätze einer Sprache aus ihren Elementen zusammengesetzt. Geht aber das Sprechen von Sprache nicht anders zu? Ist es nicht ein Fließen, in dem, was zu ihm gehört, überhaupt erst wird? Aus solchem Fließen ragen die Namen merkwürdig heraus. Sie fließen nicht recht mit. Sie sind sperrig, störrisch. Innerhalb der Sprache sind sie, wenn man so sagen darf, ihr am wenigsten sprachliches Moment. Und doch sind sie aus der Sprache nicht wegzudenken. An ihnen gerät die Sprache an den Ort ihrer eigenen Unselbstverständlichkeit: Schon bevor sie gebraucht wird, ist sie anders da.
B.s Buch ist dem Namen Gottes gewidmet. Wer das Buch eines Systematikers zum Gottesnamen zur Hand nimmt, wird in etwa einen theologie- oder philosophiegeschichtlichen Abriss erwarten, der dann in die eigene Gedankenentwick­lung des Autors mündet. (Das vorliegende Buch könnte unter diesem Gesichtspunkt überschrieben sein: ›Der Name Gottes – von Platon bis Derrida‹.) Es wäre auch eine Reflexion zu erwarten, die von den exegetischen Be­funden aus- und schließlich in die systematische Thematisierung übergeht. (Und in der Tat werden in B.s Buch die exegetischen Erkenntnisse zu den einschlägigen ›Stellen‹ vorausgesetzt und in An­spruch genommen.) Dennoch geht B. anders vor. Wird der Gottesname überhaupt thematisiert? Ist er ein Thema? – Die Gedankengänge B.s (es sind mehrere auf unterschiedlichen ›Schienen‹ oder ›Strängen‹) deuten etwas anderes an. Der Name Gottes sei kein Thema, das vorliegen würde und behandelt werden könne. Dieser Name soll vielmehr seinem eigenen, schwer zu fassenden, aber auch schwer zu übersehenden »Emergieren« gemäß ›hervorgedacht‹ werden. In seinem »Auftauchen« soll ihm nachgedacht werden. Der Ansatz ist am ehesten als ein sprachphilosophischer zu beschreiben. Aus den Bedingungen der Sprache soll der Name gedacht werden. Und aus der Namenhaftigkeit soll der je und je sich einstellende, »einfallende« Name Gottes gedacht werden.
Das Buch hat nur in seinem ersten – übrigens am wenigsten theologischen – Teil theologische Autoren oder Theorien (Luther, Cusanus, Thomas, Dionysius Areopagita …) zum Anhalt; es überwiegen aufs Ganze gesehen sprachwissenschaftliche, medizinische, psychologische, kabbalistische, philosophische Ansätze. Was ist daran überhaupt noch theologisch? Ein Zweifaches: im Hintergrund die Erinnerung an das Nennen des Namens Gottes, wie sie etwa in den Psalmen, von den Psalmen her – uralt, aber immer noch nicht ganz verklungen – sich auftut; und – vor diesem Hintergrund– der Fluchtpunkt, ob oder dass Theologie, sofern sie sich immer noch gewährt, im Nachklingen dieses Namens zu suchen und zu finden sei.
Der Bogen spannt sich von der Sprachstörung, die sich um den Namen herumkristallisiert und ihn gerade so in seinem Immer-noch-Vorhandensein, in seiner prekären Gegenwart umgibt (paradox gesagt ›beheimatet‹), bis hin zum andern Extrem der Sprache: dem Lob Gottes, das wiederum in nichts anderem als im »Nennen seines Namens« besteht, oder – was letztlich dasselbe ist – im Auffangen seines »Einfallens« (vgl. 33). Zwischen diese beiden Pole ist die menschliche Sprache ausgespannt. Ihr Bogen ist unerwartet eng, weil die Störung der Sprache und ihre Gewährung, ihr Verlust und ihre jeder Abzweckung entkleidete Realität – reines Hinaussagen: Name, Rühmen, Gottesname – unerklärlich und beinahe unerträglich nah beieinanderliegen. – Auf diesem eng-weiten Raum be­wegt sich menschliche Existenz.