Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Februar/1999

Spalte:

188 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Markus, R. A.

Titel/Untertitel:

Gregory the Great and his World.

Verlag:

Cambridge: Cambridge University Press 1997. XXIII, 241 S. 8. ISBN 0-521-58608-9.

Rezensent:

Harald Zimmermann

Der Autor erklärt sich in seinem Vorwort (XI) für seine Ausführungen vor allem der 1905 in zwei Bänden erschienen Gregor-Biographie von Homes Dudden verpflichtet, die er für die beste Darstellung dieses Papstes und seines Pontifikates hält. Das rechtfertigt natürlich nicht eine Reprise, weder im Hinblick auf den größeren Umfang des Vorbildes noch auf die reiche Gregor-Literatur, sofern die seitherigen Forschungsergebnisse nicht aufgearbeitet werden und ein neues Geschichtsbild gestalten helfen. Dies ist aber nicht der Fall. Zwar gibt es am Ende des Buches ein zehnseitiges Literaturverzeichnis mit vor allem neuen Titeln bis in die neunziger Jahre, doch beschränken sich die eher knapp gehaltenen Anmerkungen zum Text auf Literaturhinweise und nehmen nur selten kritisch zu den zitierten Werken Stellung. Zumeist wird ohnehin auf die Quellen verwiesen, also vor allem auf Gregors Briefe und sonstige Schriften, die nach den gültigen Editionen zitiert werden. So hat man also eine aus den Primärquellen erarbeitete Biographie vor sich, und das macht den Wert des Buches aus.

Es ist in zwölf Kapitel gegliedert, von denen nach der am Anfang stehenden Einleitung über Gregors Leben und Schriften die nächsten vier innerkirchliche Angelegenheiten behandeln, während im größeren zweiten Teil des Buches in sieben Kapiteln die politischen Verhältnisse und Gregors Stellungnahme zu ihnen dargelegt werden. Ähnlich sind ja die meisten Gregor-Biographien gestaltet. Den Historiker werden letztere Aspekte am meisten interessieren, also die Situation Roms und des Papsttums im damaligen Italien und dem zusammengeschrumpften römisch-byzantinischen Imperium, das Verhältnis zum fernen Kaiser und zu den nahen italischen und lombardischen Lokalgewalten, zu den großen Kirchen in Italien, Aquileia, Mailand, Ravenna, zu den Nachfolgestaaten des Römerreiches in Spanien, Gallien, England und Afrika. Daß dabei auch theologische Kontroversen eine Rolle spielten, weiß jeder Kenner: Der Titelstreit mit dem "ökumenischen" Patriarchen von Konstantinopel, der Dreikapitelstreit und das daraus erwachsene Schisma in Italien, der Donatismus in Afrika. Gregor hat bekanntlich den päpstlichen Standpunkt energisch vertreten bzw. formuliert und zur Geltung gebracht, ist freilich gelegentlich auch in verkehrte Richtung gegangen. So fällt es schwer, in Kenntnis päpstlicher Prärogativen den Protest gegen den ohnehin nicht ganz neuen Patriarchentitel als eine bloße Mahnung zur christlichen Bescheidenheit zu verstehen, wie S. 94 f. vorgeschlagen wird, und die skandalöse Anerkennung des Usurpators und Kaisermörders Phokas aus der Hoffnung auf Beendigung des Rangstreites. Aber das sind Fälle, die seit langem diskutiert und kritisiert werden, beinahe schon so lange man sich wissenschaftlich mit Gregor beschäftigt. Auch dessen Einmischung in die Angelegenheiten anderer Kirchen, wovon viele Briefe Zeugnis geben, wird man schwerlich als brüderliche Maßnahme interpretieren, sondern nur aus dem Selbstbewußtsein des monarchischen Papsttums erklären können.

Der Theologe kommt bei der Lektüre eher der ersten Kapitel des Buches auf seine Rechnung. Hier geht es um das rechte Verhältnis von Vita activa und Vita contemplativa im Leben eines Klerikers oder gar eines zur Leitung der Kirche Berufenen, um Fragen der Bildung und der Bewahrung antiker Kultur, um die rechte Art der Schriftexegese, um Mystik, Allegorese und Eschatologie. Gregors Affinität zu Augustin wird wohl etwas zu sehr herausgestrichen, denn der "pater superstitionis" ist doch andere Wege gegangen als der afrikanische Kirchenvater, war mehr Praktiker als Theoretiker, mehr Papst als Theologe. Natürlich fehlt auch nicht ein kurzes Kapitel über Gregors Verhältnis zum Mönchtum, das freilich auf bekannte Fakten beschränkt und eine Wertung schuldig bleibt. In zwei Unterkapiteln werden Missionsfragen und die Behandlung von Heiden und Juden angesprochen, die laut Gregor oder laut R. A. Markus unterschiedlich zu sein hat: entschieden und selbst vor militärischer Gewalt nicht zurückscheuend gegenüber den Heiden, "but no force, no pressure, no coercicion" (80) natürlich gegenüber den Juden.

Wer gerne englische Bücher liest, kann sich durch die Lektüre dieser neuen Biographie zu den Quellen leiten lassen, die er freilich selbst nachschlagen muß, weil sie nie im originalen Wortlaut zitiert werden, und er wird vielleicht auch manche neue Erkenntnis und Belehrung gewinnen von einem Autor, der sich mit der im Buch behandelten Thematik schon in manchen Abhandlungen befaßt hat. - Es gibt aber auch deutschsprachige Literatur.