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Ausgabe:

März/1999

Spalte:

291 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Dellsperger, Rudolf, Freudenberger, Rudolf u. Wolfgang Weber [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Wolfgang Musculus (1497-1563) und die oberdeutsche Reformation.

Verlag:

Berlin: Akademie Verlag 1997. 430 S. 8 = Colloquia Augustana, 6. Lw. DM 78,-. ISBN 3-05-003204-9.

Rezensent:

Wilhelm H. Neuser

Das Thema des Tagungsbandes ist weitgespannt; es behandelt nicht nur das Leben und Werk des Musculus (= M.). R. Dellsperger versucht für die Biograhie neue Quellen zu erschließen, nämlich seine Dedikationsepisteln, die aber wenig ergiebig sind. Hingegen bringt die von R. Bodenmann untersuchte Handschrift der Vita Musculi interessante neue Einzelheiten. Nicht nachgegangen wird der Frage, welche "Schriften Luthers" M. 1518 beeindruckt haben (26). Es kommen nicht viele in Frage. R. Bornerts Untersuchung des Einflusses des Benediktinischen Mönchstums auf M. bringt kaum etwas Konkretes. Einen instruktiven Beitrag liefert M. Lienhard über die politische Lage Straßburgs 1527-1531 und die Pfarrerschaft, zu der M. gehörte. Die Darstellung der theologischen Eigenart der Straßburger Pfarrer erklärt die Eindrücke auf M., der in dieser Zeit selbst nicht zur Feder griff.

G. Seebaߒ Vergleich der Städte Augsburg und Nürnberg behandelt soziologische, politische und religiöse Aspekte wie z. B. die Druckzensur und den Abendmahlsstreit. Die Haltung der Stadtschreiber (Spengler und Peutiger) zur Reformation wird "eindeutig parteinehmend hier, vorsichtig lavierend dort" (104) genannt. Wie paßt dies zur "politischen Klugheit" (105) des Nürnberger Rats bei der Bannandrohung gegen Spengler und beim Fernbleiben vom Schmalkaldischen Bund? J. T. Ford beschreibt des M.s Auseinandersetzung mit Forster und Cochläus in der Augsburger Zeit und sein Wirken in Donauwörth, das auch R. Kießling behandelt. Das Verhältnis des M. zur radikalen Reformation und insbesondere zu Schwenckfeld klärt H. Weigelt, während H. Smolinsky die reichsrechtliche Argumentation des Cochläus herausarbeitet und damit auf einen vernachlässigten Aspekt der Kontroversliteratur hinweist. Das Schema ist: "erstens die Person anzugreifen, ihr Glaubwürdigkeit zu erschüttern und Widersprüche innerhalb der Reformation aufzuweisen." (185)

H. Scheible listet die Begegnungen zwischen Melanchthon und M. sowie ihren Briefwechsel akribisch auf; er schöpft aus den Regesten des Melanchthonbriefwechsels. Da M. sechs Kirchenlieder zugeschrieben werden, geht A. Marti der Frage nach, ob er der Autor ist. In komplizierten Überlegungen kommt er zu keinem klaren Schluß. Von großer Bedeutung ist der Beitrag von F. Strecker über den Wandel in der Ausgestaltung der Kirchen (Altar, Abendmahlstisch, Altarbilder usw.) in Süddeutschland und speziell in Augsburg. Das Ringen zwischen Zwinglianismus und Luthertum wird an der Kirchenausstattung ebenso deutlich wie der Einfluß der städtischen Reichspolitik auf sie. Es ist z. B. bedeutungsvoll, daß nach dem Eintreffen Wolfharts und M.s 1531 Altartische aufgestellt wurden. (269, 274, Anm. 158)

M. van Wijnkoop Lüthi versucht die Biographie des M. für die Berner Zeit zu vervollständigen; sie enthalte viele Lücken. Die Abendmahlslehre untersucht C. S. Farmer. Er stellt fest, daß M. von 1548-1560 zwar den Begriff exhibere fallen läßt, aber eine praesentia exhibitiva immer lehrt. Einem Forschungsdesiderat wendet sich H. J. Selderhuis zu, wenn er die Loci Communes untersucht. Er sieht sie abhängig von Melanchthons Loci 1543, möchte sie aber doch nicht der reformierten Orthodoxie zurechnen. Nach J. Will-Armstrong favorisiert M. die obrigkeitliche Sittenzucht, schließt aber die Kirchenzucht nicht aus. Diese darf die Gemeinde nicht spalten und muß zu Buße und Bekehrung führen.

Zum Abschluß legt M. van Wijtkoop Lüthi eine aktualisierte Bibliographie vor, die nach Sachgebieten geordnet ist. Ein Register rundet das schöne Werk ab.

Alle M. betreffende Sachgebiete sind behandelt. Einige hätte man sich ausführlicher dargestellt gewünscht (Anfänge in Augsburg, M. in Worms und Regensburg 1540/41, M. im 2. Abendmahlsstreit). Es fehlt die Entzifferung seiner Geheimschrift.