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Ausgabe:

Oktober/2008

Spalte:

1116–1118

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Hoffmann, Veronika

Titel/Untertitel:

Vermittelte Offenbarung. Paul Ricœurs Philosophie als Herausforderung der Theologie.

Verlag:

Ostfildern: Matthias-Grünewald-Verlag 2007. 320 S. 8°. Kart. EUR 35,00. ISBN 978-3-7867-2650-0.

Rezensent:

Doris Hiller

Die an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität promovierte und mit dem dortigen Dissertationspreis der theologischen Fakultäten ausgezeichnete Arbeit ist ein weiterer Beleg dafür, dass die Philosophie des protestantischen Denkers Paul Ricœur gegenwärtig wesentlich in der katholischen Theologie reflektiert wird. Sind es dort sonst aber vor allem die ethischen Themen, wendet sich die Vfn., angeregt durch Jürgen Werbick, den Betreuer ihrer Arbeit, einem explizit theologischen Thema zu. Sie befasst sich mit dem theologisch zwar hinlänglich systematisierten, aber im Diskurs immer noch strittigen Problem der Offenbarungsvermittlung. Dass hier nicht mehr in der einfachen, aber abstrakten Unterscheidung von revelatio mediata und immediata argumentiert werden kann, setzt die Vfn. als Konsens voraus. Wie aber der offenbarungstheologischen Komplexität in Sachen der Vermittlung konkret zu begegnen ist, ohne hintergründig dem Unmittelbarkeitsideal zu erliegen, ist die Ausgangsfrage der Arbeit. Die Antwort sucht die Vfn. in der Metaphorologie. Sie lässt sich dabei leiten von den metapherntheoretischen Studien Ri­cœurs, die zum Grundbestand seiner Philosophie der Vermittlung gehören. Sie werden zur Herausforderung einer Offenbarungs­theo­logie, in der der Vermittlungsvorgang nicht als sekundäres Element gegenüber der Unmittelbarkeit von Offenbarung gewertet wird, sondern integraler Bestandteil von Offenbarung selbst ist.
Diesen Ansatz verfolgt die Vfn. in drei Schritten. Nach einer »Typologie der Ausblendungen des Vermittlungsproblems« wird in einem ersten Hauptteil die Philosophie Ricœurs vorgestellt, die in einem zweiten Hauptteil für eine offenbarungstheologische Polyphonie der vermittelten Offenbarung ausgewertet wird. Hier spielen christologische, pneumatologische und ekklesiologische Überlegungen eine Rolle.
Die Eingangsskizze lässt zwar mit der Freilegung des scheinbar überwundenen Unmittelbarkeitsideals im Geschehen der Offenbarung die Motivation der Vfn. erkennen, ist aber in der Durchführung wenig überzeugend. Zwar erlaubt das typologische Vorgehen, in das Dickicht von Konzeptionen erste Schneisen zu schlagen. Allerdings wird weder deutlich, wie die Vfn. zu der vorgeschlagenen Typisierung gelangt (objektivistisch/subjektivistisch/pluralis­tisch) noch woran sich die beispielhaften Zuordnungen (evange­likaler Fundamentalismus/katholischer Traditionalismus/pluralistische Religionstheorie) messen. Typisch ist allein das Extreme der Positionen, von denen aus aber – ein methodisch zu hinterfragender Ansatz – auf generelle Sachverhalte geschlossen werden soll. Es hätte wohl genügt, hier ein heuristisches Vorgehen anzuzeigen, das dann auch die hergestellten Bezüge zum chalcedonensischen Dogma im Sinne einer »naiven« bzw. »plakativen« Rezeption rechtfertigen würde. Anhand der in den genannten Konzepten nachweisbaren Verkürzungen hinsichtlich der Vermittlungsgestalt der Offenbarung kommt die Vfn. zu dem Schluss, dass in allen offenbarungstheologischen Entwürfen das Ideal der Unmittelbarkeit nie gänzlich aufgegeben worden ist. Dieser Vermutung wird nun nicht anhand entsprechender Entwürfe nachgegangen. Vielmehr wird das Typische von der Vfn. produktiv aufgenommen und zu der These gewendet, dass »die Vermittlungsgestalt als positive Struktur tatsächlich in sie selbst [i. e. die Offenbarung] eingeschrieben ist« (74). Grundlegend ist dafür eine Neuausrichtung der offenbarungstheologischen Metaphern. Diese Neuausrichtung wird von der philosophischen Hermeneutik Ricœurs hergeleitet, die ihrerseits im Zeichen der Vermittlung steht.
In einem zweiten Kapitel werden deshalb die formalen Kriterien der Vermittlungsphilosophie Ricœurs dargestellt (Symbol/Text/ Metapher/Erzählung). Dies geschieht in überzeugender Weise, insbesondere in der Aufnahme der biblisch-theologischen Impulse Ricœurs. Ricœurs hermeneutisches Konzept zeigt, so die Vfn., dass Vermittlung kein notwendiges Übel ist, sondern »eine positive Struktur, die überhaupt erst Möglichkeiten eröffnet« (106). Damit geht sie auch über bisherige, eher deskriptive Auseinandersetzungen mit Ricœurs Metapherntheorie hinaus.
Die Rekonstruktion der hermeneutischen Vermittlungsin­stan­zen dient der Vfn. nun nicht dazu, den philosophischen An­satz Ricœurs in die Theologie hinein fortzuschreiben. Vielmehr will sie sich der Überlegungen Ricœurs innerhalb ihrer theologischen Argumentation bedienen. Für das Thema ihrer Studie heißt dies: Es steht nicht zur Diskussion, ob Ricœur ein theologisch angemessenes Offenbarungsverständnis bietet, sondern, »ob ein solches sich im Ausgang von seiner Philosophie theologisch denken lässt« (167).
Im dritten Teil der Arbeit analysiert die Vfn. konsequenterweise zunächst Metaphern, die vor allem dort eingesetzt werden, wo es um die Vermittlung von Offenbarung gehen soll: Botschaft/Begegnung/Metapher/Zeugnis. Dass fast alle Metaphern dem Feld der Kommunikation entstammen, ist auch im Horizont der hier ge­nannten, aber nicht weiter diskutierten Unterscheidung von Of­fenbarung als ›Wort Gottes‹ und als ›Geschichte‹ kaum verwunderlich. Irritierend ist jedoch, dass unter den vier genannten Offenbarungsmetaphern die Metapher selbst als Metapher erscheint. Die ohnehin von der Vfn. eher sparsam gesetzten Verstehenshilfen in der Verbindung der Argumentationslinien sind hier besonders auffällig. In der Überleitung zur Analyse der theologischen Vermittlungsinstanzen wären hier kurze Hinweise zur Einordnung der Auswahl, besonders in der auffallenden Begriffsdoppelung, nötig gewesen, um die Abgrenzung zu den Kommunikationsmetaphern schon vorgängig einordnen zu können.
Mit den gewählten Zugängen zum Offenbarungsverständnis will die Vfn. zum einen die metaphorische Vielfalt in der Bearbeitung der Vermittlungsproblematik deutlich machen. Zum anderen zeigt aber zunächst sowohl die Rede von der ›Botschaft‹ als auch die von der ›Begegnung‹, dass auch und gerade auf der kommunikativen Ebene das Ideal der unvermittelten Offenbarung bestehen bleibt.
Die schon erwähnte Metapher ›Metapher‹ nimmt die Form der Zuwendung Gottes zum Menschen in den Blick. Die vor allem bei E. Jüngel verfolgte Selbstmetaphorisierung Gottes stellt jedes Unmittelbarkeitsideal in Frage, insofern Gott selbst die in Christus begründete Vermittlung als Kom­mu­nikations­prinzip wählt. Dass die Vfn. dabei die von H.-J. Meurer ebenfalls an Ricœur entwickelte metaphorische Christologie aufgreift, ist konsequent. Zwin­gend ist auch die von der Vfn. vorgetragene Kritik an der ›Meta­phern­metapher‹. Mit ihr wird der Unterschied von Ereignis und Bedeutung hinsichtlich der Geschichtlichkeit Jesu verwischt. Dieser Unterschied wird aber mit der aus dem hermeneutischen Repertoire Ricœurs übernommenen Kategorie des Zeugnisses neu justiert. Wesentlich dafür ist, dass nicht das Zeugnis von der Offenbarung, sondern die Offenbarung selbst als Zeugnis zum Verstehen gebracht wird. Die hermeneutische Analyse dieser Deutungsverschiebung gehört zu den herausragenden Abschnitten dieser Arbeit. Mit ihr ist auch das eigentliche Ziel der Arbeit erreicht, das die Vermittlung zum Struktur- und Wesensmerkmal von Offenbarung erklärt. Die weiterführenden christologischen, pneumatologischen und ekklesiologischen Linien verstärken nur den Eindruck, hier Anregungen zu einer theologisch umfassenden Neuorientierung im Offenbarungsverständnis zu finden.
Der neuerliche Umweg, der zum Abschluss des dritten Teils auch den Glaubensbegriff im Horizont der Offenbarung als ›Umkehr der Einbildungskraft‹ noch diskutiert, ist im eigentlichen Duktus der Arbeit nicht zwingend. Hier finden sich auch im Hinweis auf Ricœur, der sich der Einbildungskraft eben nicht nur bei Kant, sondern– von der Vfn. nicht bedacht – insbesondere auch bei Husserl bedient, unnötige Verkürzungen.
In einer Schlussreflexion werden die Grundlinien der Argumentation noch einmal nachgezeichnet und das Ergebnis in der für das Offenbarungsverständnis notwendigen Polyphonie der Metaphern, die zu Vorstellung der Vermittlung beitragen, festgehalten.
Die Arbeit stellt einen überzeugenden Versuch dar, theologisch konstruktiv mit den hermeneutischen Grundaussagen der Philosophie Ricœurs umzugehen und diese an einem zentralen theologischen Problem zu entfalten. Insbesondere mit der Kategorie des Zeugnisses, dessen komplexe Struktur hier mit Ricœur aufgezeigt wird, wird theologisch weiterzudenken sein.