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Ausgabe:

Oktober/2008

Spalte:

1115–1116

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Fischer, Norbert, u. Friedrich-Wilhelm von Herrmann [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Heidegger und die christliche Tradition. Annäherungen an ein schwieriges Thema.

Verlag:

Hamburg: Meiner 2007. 288 S. 8°. Kart. EUR 18,80. ISBN 978-3-7873-1816-2.

Rezensent:

Markus Höfner

Überlegungen zum Verhältnis Martin Heideggers zur christlichen Tradition sind in der Tat Annäherungen an ein schwieriges Thema. Schwierigkeiten bereitet nämlich nicht nur die klare Unterscheidung zwischen den religiösen Motiven in Heideggers Texten und religiösen Motivationen auf Seiten Heideggers selbst, sondern auch die Frage, inwiefern religiöse Motive von Heidegger auch religiös gebraucht oder aber als Material in genuin philosophischen Argumentationen eingesetzt werden.
Dem von Norbert Fischer und Friedrich-Wilhelm von Herrmann herausgegebenen Band kommt das Verdienst zu, sich diesem schwierigen Thema mit detaillierten Einzelstudien zu nähern, die sich die durch das Fortschreiten der Heidegger-Gesamtausgabe verbesserte Textgrundlage zu Nutze machen. Die Herausgeber so­wie u. a. Jean Greisch, Karl Kardinal Lehmann, Joachim Ringleben und Paola-Ludovika Coriando wenden sich der Auseinandersetzung Heideggers mit so unterschiedlichen Repräsentanten der ›christlichen Tradition‹ wie Paulus, Augustin, Duns Scotus, Meister Eckhart, Luther, Pascal, Hölderlin, Kierkegaard und Rilke zu. Die Beiträge gehen zurück auf ein im Mai 2006 in Mainz veranstaltetes Symposion. Aus dem vorzüglich lektorierten und durch ein Personenregister abgerundeten Band können an dieser Stelle nur drei Beiträge besonders hervorgehoben werden.
»Heideggers phänomenologische[r] Auslegung Paulinischer Brie­fe«, wie sie in der frühen Freiburger Vorlesung zur Religionsphänomenologie von 1920/21 greifbar wird, ist der Beitrag von Fried­rich-Wilhelm von Herrmann gewidmet (21–31). Er bietet eine luzide Darstellung der Überlegungen Heideggers und stellt dabei treffend die Bedeutung des ›Vollzugssinns‹ heraus, den Heidegger vom ›Bezugssinn‹ und ›Gehaltssinn‹ der Erfahrung ab­grenzt und im Blick auf den er die urchristliche Lebenserfahrung als Erfahrung von Zeitlichkeit re­kon­struiert. Zu bedauern ist allerdings, dass sich von Herrmann jeder kritischen Kommentierung enthält. Er lässt daher unbeachtet, dass Heideggers Strategie, am historischen Paradigma urchristlicher Lebenserfahrung die Strukturen faktischen Lebens überhaupt ablesen zu wollen, keineswegs unproblematisch ist. Heidegger entgeht nämlich nicht der Gefahr, einerseits die ur­christliche Lebenserfahrung durch die Abblendung ihrer inhaltlichen Be­stimmtheit zu verzeichnen und andererseits religiöse Motive – wie die Verkündigung als Ruf zur Um­kehr – unbesehen in die philosophische Analyse faktischen Le­bens überhaupt einzutragen.
Jean Greisch analysiert in ihrem Beitrag »Warum denn das Warum?« Heid­eggers Auseinandersetzung mit der Warum-Frage als Frage nach dem Grund (129–147). Indem sie dabei Heideggers Aussagen zum Thema aus den späten 1920er Jahren mit einbezieht, kann sie deutlich machen, dass es Heidegger um eine phänomenologische Klärung der Warum-Frage geht, die ihn zunächst zu ihrer Verankerung in der zeitlichen Transzendenz des Daseins als In-der-Welt-Sein führt. Das spätere Ereignisdenken dagegen ordnet die Warum-Frage der Aufgabe unter, die Wahrheit des Seins selbst zu denken. Dass nun diese Wahrheit des Seins ein Ereignis darstellt, für das sich keine Gründe mehr angeben lassen und das daher als ›Darum‹ jedem Warum-Fragen vorausgeht, dies ist nach Greisch diejenige Einsicht, die den späten Heidegger mit dem mystischen Denken Meister Eckarts verbindet – eine Parallele, die auch dann in­struktiv ist, wenn man wie Greisch darauf verzichtet, eine klare literarische Abhängigkeit zu postulieren.
Die Beziehung Heideggers zu Luther schließlich ist das Thema, dem sich Karl Kardinal Lehmann in seinem Beitrag stellt (149–166). Lehmann differenziert dabei klar zwischen Heideggers Wertschätzung des jungen Luther, dem Heidegger eine genuine Artikulation christlicher Lebenserfahrung attestiert, und der Kritik am späten Luther, der aus Heideggers Sicht das christliche Leben wie die Tradition vor ihm durch griechische Denkformen verunstaltet. Auch im Blick auf den jungen Luther gehört es allerdings zur methodischen Konsequenz Heideggers, dass er als Philosoph allein die bei Luther greifbare Artikulation faktischer Lebenserfahrung überhaupt erheben will und nicht die religiösen und theologischen Inhalte des spezifisch christlichen Lebens. Was Heidegger dennoch von Luther aufnimmt, so Lehmanns überzeugendes Fazit, ist das Verständnis der Theologie als positiver Wissenschaft die Erkenntnis des Glaubens voraussetzt– eine Position, der sich der Theologe Lehmann durchaus anschließen will, auch wenn er Heideggers Forderung einer ›grie­chentumsfreien‹ Theologie mit Skepsis begegnet.
Die anderen Beiträge bestechen ebenfalls durch eine profunde Sachkenntnis. Auch wenn sich der von den Herausgebern behauptete »monographische Charakter« (16) des Bandes nicht jedem Leser aufdrängen wird, ist die Lektüre der hier versammelten Studien ein Gewinn, und dies nicht nur durch die in ihnen pro-nonciert vorgetragenen Einsichten, sondern auch im Blick auf die weiterführenden Fragen, zu denen sie anregen. Nur zwei seien genannt: In welchem Verhältnis steht Heideggers Auseinandersetzung mit der christlichen Tradition zum neukantianischen Hin­tergrund seines Denkens, welche Bedeutung hat also etwa Cohens Prinzip des Ursprungs für Heideggers spätes Ereignisdenken – neben den religiösen Motiven, die darin einfließen? Sind es schließlich vor allem die von Heidegger aufgenommenen religiösen Mo­tive, die seine Philosophie als Diskurspartnerin gegenwär­tiger Theologie empfehlen – wie manche Beiträge des besprochenen Bandes vorauszusetzen scheinen –, oder sollte Letztere auf Wie­dererkennungseffekte verzichten und Heideggers philosophischen Argumenten mehr trauen als den religiösen Anklängen seiner Philosophie? Schon an diesen Fragen wird deutlich, dass dieser Band, der sich über den Kreis der Heidegger-Spezialisten hinaus an das philosophische und theologische Fachpublikum richtet, die Diskussion um Heideggers Verhältnis zur christlichen Tradition nicht beenden will, sondern sie weiterführt. Dies ist kein geringes Verdienst.