Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Oktober/2008

Spalte:

1103–1106

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Gallus, Petr

Titel/Untertitel:

Der Mensch zwischen Himmel und Erde. Der Glaubensbegriff bei Paul Tillich und Karl Barth.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2007. 580 S. gr.8°. Kart. EUR 48,00. ISBN 978-3-374-02520-6.

Rezensent:

Martin Seils

Diese Veröffentlichung eines tschechischen Theologen wurde im Jahre 2005 unter der Betreuung von Dozent Dr. Jan S ˇtefan der Theologischen Fakultät in Prag als systematische Dissertation vorgelegt, nachdem Petr Gallus auch in Tübingen vor allem bei Eberhard Jüngel studiert hatte. Etwas im Unterschied zu der Aussage im Vorwort der Arbeit, es würden »in der bisherigen Sekundärliteratur Studien zum Glaubensbegriff bei Tillich und Barth praktisch fehlen« (5), hat es bislang schon einige Bemühungen um Tillichs und Barths Glaubensverständnis gegeben. Dies ist jedoch die umfänglichste und gründlichste vergleichende Behandlung, die das Thema bisher erfahren hat. Insofern ist es erfreulich, dass die Arbeit von G. in einer offenbar von ihm selbst stammenden Übersetzung der Diskussion in der deutschsprachigen Theologie verfügbar gemacht worden ist.
Die Arbeit behandelt zunächst Paul Tillich (13–218), dann Karl Barth (219–551) und schließt mit einem Vergleich zwischen beiden (553–574).
Zu Tillich teilt G. die vorherrschende Ansicht, dass dessen Theologie abgesehen von Tillichs prägendem Weltkriegserlebnis und der frühen Beeinflussung durch Schelling und Kähler nur leichte Veränderungen aufweise, weshalb Tillichs Glaubensbegriff synchron dargestellt werden könne. Ausgegangen wird von der Glaubensdefinition in Tillichs »Systematischer Theologie« wonach »formal« betrachtet der Glaube als »Ergriffensein durch das, was uns unbedingt angeht« beschrieben und »material« als »Zustand des Ergriffenseins durch das neue Sein, wie es in Jesus als dem Christus erschienen ist«, aufgefasst werden könne (STh III, 155 f.; Zitat 53 f.). Die »formale« Sicht Tillichs stellt G. mit den inhaltlichen Aussagen von Tillichs »Wesen und Wandel des Glaubens«, 1961 (»The Dy­namics of Faith«, 1957) dar (54–112), während die »materielle« an­hand von Aussagen der »Systematischen Theologie« entfaltet wird (112–180). Inhaltlich werden alle wesentlichen Topoi der Tillichschen Theologie mit Konzentration auf das Glaubensverständnis behandelt (Korrelation, Gewissheit und Zweifel, Symbol, Ekstatik, Gott als das Sein-Selbst, Offenbarung als Zeugnis des göttlichen Geistes, Jesus als der Christus, Glaube und Liebe). Abschließend wird Tillichs Glaubensverständnis als »Mut zum Sein« (»The Courage to Be«, 1952) vorgestellt (180–207) und dabei – sicherlich rich-tig – Tillichs Aussage vom »absolute[n] Glaube[n]« als »ein Bestandteil jedes wahren Glaubens« (200) im Sinne Tillichs hervorgehoben.
Der Akzent von G.s Interpretation liegt darauf, Tillichs Glaubensbegriff einen anthropologischen und eher existenzbezogenen Ansatz zuzuschreiben, der von einer durch Schellings Offenbarungsphilosophie getragenen, ontologisch fundierten Gesamtsicht mitbestimmt ist. Dabei wehrt G. alle diejenigen Interpretationen ab, die Tillich den Primat einer identitätsphilosophischen Ontologie vorwerfen, bei welcher jede Differenz von Gott und Mensch letztlich nur Schein wäre und Glaube zum Versinken in der vorgängigen Seinsidentität wird. Demgegenüber hebt G. hervor, dass bei Tillich »ratio essendi nicht dasselbe wie ratio cognoscendi ist« und der Mensch »den wahren Stand der Dinge … erst in der Offenbarung« erkennt (65), weshalb »die ontologisch waltende analogia entis« sich »also nur durch die Offenbarungserkenntnis, nur im Glauben« öffnet und somit »nur als analogia fidei verlaufen« kann (115). Trotzdem sagt G. kritisch, dass bei Tillich theologisch und christologisch »Gottes Kondeszendenz« fehle (211), weshalb schmerzlich offen bleibe, wo der Glaube »seine objektive Fundierung hat und von wem er eigentlich gewirkt wird« (216).
Im Unterschied zu seiner Tillich-Darstellung meint G. bei Barth nicht synchron vorgehen zu können, weil Barths Denken sich diskontinuierlich innerhalb einer bestehen bleibenden Kontinuität entwickelt habe. Insgesamt schließt G. sich an die gängige Sicht von fünf Entwicklungsperioden an, die ihren Schluss- und Höhepunkt in der »Kirchlichen Dogmatik« gefunden haben. In der ers­ten, liberalen Periode (225–255) versteht Barth den Glauben mit seinem Lehrer Wilhelm Herrmann als unmittelbares »Gotteserleben«, das durch die in das eigene Leben hinein sich verlängernde »Persönlichkeit Jesu« zu Stande kommt (227). In der zweiten, durch die Römerbriefkommentare I und II und damit den Gedanken an die schlechthinnige Souveränität Gottes bestimmten Periode (256–315) wird der Glaube zunächst (R I) als bejahende »Erkenntnis« der in Christus erwiesenen »Treue Gottes« aufgefasst, die auf eine fast osiandrische Weise effektiv zu einer »unio cum Christo« führt (261–281). Dann aber (R II) versteht Barth ihn – diastatisch und dialektisch – als »Hohlraum«: »eine demütige Verdrängung von allem Menschlichen, damit der so entstandene leere Raum von Gottes Inhalt gefüllt werden kann« (281–315; Zitat 290). Die dritte, durch das Erscheinen der frühen Dogmatiken charakterisierte Periode (316–390) betont zunächst stärker als früher den kognitiven Cha­rakter des Glaubens als Wissen und stellt ihm den zu Handeln treibenden Gehorsam zur Seite (327–331; Göttinger Dogmatik). Sodann entfernt Barth sich von der Überbetonung einer Diastatik von Gott und Welt, hebt erneut die »effektive Wirkung des Glaubens auf den Menschen« hervor und lässt im Glauben neben dem Wissen und dem Gehorsam »den Charakter des freudigen Vertrauens« hervortreten (362–390; Zitat 389; Christliche Dogmatik I). Die vierte Pe­riode ist bestimmt durch die »Fides quaerens intellectum« nach Anselms Buch zum Gottesbeweis (1931) und bringt Barths Wende von der Diastatik zwischen Gott und Mensch zur Analogik als Ausdruck für die in Jesus Christus verwirklichte gottbestimmte Entsprechung Gottes und des Menschen. Der Glaube wird nun – ohne dass ihm bereits nähere Erörterungen gewidmet würden – als die ontische Basis der Theologie aufgefasst, die der im Glauben mitgegebenen und von der Theologie zu entfaltenden – noetischen – Erkenntnis vorausgeht. Im Glauben ist demnach unbefragbar diejenige Wirklichkeit zugegen, deren Möglichkeiten die Theologie nachdenkt (391–440).
Dies prägt die fünfte und letzte Periode der Barthschen Theologie: die der »Kirchlichen Dogmatik«. Insgesamt geht es um die für den Menschen in Christus verwirklichte trinitarische Selbsterkenntnis Gottes, die vom Menschen im Glauben als einem »tätigen Kennen« durch die dazu »erweckende Macht« des Heiligen Geistes anerkannt, erkannt und bekannt wird (KD IV/l, 847; Zitat 441 f.).
Wie es einer Abhandlung über den Glaubensbegriff entspricht, konzentriert sich G. in diesem Rahmen auf das Verhältnis von »Gottes Objektivität« und die darauf bezogene »menschliche Subjektivität« (454). Die »objektive« göttliche Offenbarung ist dabei zunächst einmal gänzlich unabhängig von ihrer subjektiven Verwirklichung im Glauben, denn »die Tat Gottes in Christus« hat »ontologische Auswirkung ins Sein und Geschehen im ganzen Kosmos und also auch für den Menschen unabhängig davon, ob der Mensch davon überhaupt erfährt, … ob er glauben wird« (526). Neben dieser Tatsache steht dann jedoch die andere, »dass die Offenbarung nicht Offenbarung ohne die Teilnahme des Menschen sein will, dass sie in ihrer eigenen inneren Dynamik eben bis auf die Annahme vom Menschen, auf sein eigenes, freies Ja zielt« (527). Dies zusammen zu denken, ohne dass ein Synergismus entsteht, schält sich für G. als die innere Problematik des Barthschen Glaubensbegriffes heraus. Betont werden Bezüge von Notwendigkeit und Freiheit im Glaubensvollzug. Unglaube ist eine ontologische Unmöglichkeit, Glaube das in der »Objektivität« der Chris­tusoffenbarung mitgesetzte, aber frei nachzuvollziehende Notwendige, »jedoch nicht als ein gegen den Willen des Menschen er­zwungenes Müssen, sondern als ein freies und gewolltes Dürfen« (467). So also ist »die eigentlichste Gestalt der Freiheit … der Akt des Glaubens« (469). Allerdings meint G., dass Barths Auffassung hinsichtlich der »effektiven Auswirkung« des Glaubens gewisse Probleme habe, sie sagt zwar, »was ich nicht mehr und was ich noch nicht bin«, jedoch nicht so deutlich, »was ich noch und schon bin« (479). Das mag, so G., daran liegen, dass bei Barth zwar kein »pneumatologisches Defizit«, vielleicht aber eine »defizitäre Pneuma­tologie« zu konstatieren sei: »Die Auffassung vom Geist als einer blossen Wirksamkeit des auferstandenen Christus oder eines blossen vinculum caritatis zwischen Vater und Sohn beraubt ihn seiner Selbständigkeit« (548).
Ein solcher notwendigerweise konzentrierender Überblick kann die Vielfalt der Aussagen zu Barths Glaubensbegriff nicht wie­der­geben, die G.s Arbeit enthält. Hinsichtlich differenzierender Feststellungen zur Entwicklung von Barths Glaubensverständnis in den Perioden seiner theologischen Entwicklung bringt sie durchaus Erkenntnisförderndes zu Tage, das durch klug ausgewählte Zitate belegt wird.
Der die Arbeit abschließende Vergleich zwischen den Theologien und Glaubensbegriffen Tillichs und Barths konstatiert ein persönlich offenes Verhältnis beider zueinander, jedoch sachlich die »Absenz jeglicher Grundbasis, auf der sich sie beide treffen, sich im Prinzip verstehen und dann die gegenseitigen Gegenargumente vorlegen könnten« (556). Was die beiderseitigen Glaubensbegriffe anbelangt, so sieht G. den wesentlichen Unterschied im Verständnis des »Glaubensgegenstandes« und der Partizipation an ihm: bei Barth durch und an Jesus Christus, bei Tillich am Sein Gottes unmittelbar, was bei Barth ein Verständnis vom Wesen des Glaubens als »ein spezifisch definiertes Kennen« zur Folge habe, bei Tillich aber lediglich als eine »existentielle Annahme« fungiere, bei der »die Gewissheit und die Ungewissheit im Gleichgewicht« ge­halten werden (573). Unverkennbar optiert G. für Barths Glaubensverständnis.
Die Arbeit G.s bereichert den Leser. Sie bringt manches zur Forschung bei. In den Zielgedanken ihrer Aussagen könnte sie oft klarer sein. Man hätte wohl auch etwas mehr an geistesgeschichtlicher Zuordnung wünschen mögen. Es gibt ziemlich viele Schreibfehler im Text und besonders bei den Zitaten in den Anmerkungen. Insgesamt ist es erfreulich, dass dem theologischen Glaubensverständnis beider behandelter Theologen eine so kenntnisreiche, sorgsam bedenkende und differenzierend beobachtende und urteilende Behandlung zuteil geworden ist.