Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Oktober/2008

Spalte:

1099–1100

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Leroux, Neil R.

Titel/Untertitel:

Martin Luther as Comforter. Writings on Death.

Verlag:

Leiden-Boston: Brill 2007. XLIV, 336 S. gr.8° = Studies in the History of Christian Traditions, 133. Geb. EUR 99,00. ISBN 978-80-04-15880-1.

Rezensent:

Volker Leppin

In diesem Buch des amerikanischen Kommunikationswissenschaftlers L. verbinden sich mehrere Anliegen: Die vordergrün­digste Absicht lässt sich in der Widerlegung einer Grundthese der Lutherbiographie von Richard Marius aus dem Jahre 1999 sehen, der die Frage nach dem Tod und seiner Überwindung in den Mittelpunkt seines Lutherverständnisses gestellt und dabei massiv Luthers Todesfurcht ausgemalt hat. Was dieses Anliegen angeht, das in den Einleitungs- und Schlusspassagen in den Vordergrund tritt, aber auch gelegentlich in die Fußnoten Eingang gefunden hat, wird man L. ohne Weiteres folgen können: Die Differenziertheit, in der er Luthers Umgang mit dem Tod in verschiedenen Schriften nachzeichnet, beeindruckt und zeigt, in welch hohem Maße Luther immer wieder aus der Mitte seiner Theologie Trost für sich und mehr noch für andere angesichts des Todes gewann.
Ein zweites Anliegen verbindet sich mit diesem ersten: Luthers Umgang mit dem Tod in einer Weise darzustellen, die dem heutigen Leser verständlich und zugänglich ist. Dies sind vielleicht die Passagen, die am wenigsten überzeugen: Die Gesamtrekonstruktion von Luthers Umgang mit dem Tod ist mit dem Grundgedanken, dass Luther den Tod in die Perspektive des Auferstehungsglaubens stellte, zutreffend und nicht eben überraschend. Was aber ein langes Thielicke-Zitat (274), der Verweis auf Joseph Baylys Hiobdeutung (ebd.) oder auch der Hinweis auf Elisabeth Kübler-Ross (45) zum Verständnis Luthers beitragen können, wird nicht recht deutlich. Da wäre es wünschenswerter gewesen, wenn einschlägige Literatur zu Luther selbst aufmerksamer wahrgenommen worden wäre. So überrascht es, dass der einzige über eine bloß bibliographische Angabe hinausgehende Hinweis auf Gerhard Ebelings Buch über Luthers Seelsorge durch einen englischsprachigen Aufsatz vermittelt ist (272, Anm. 11); auch Ute Mennecke-Hausteins gewichtiges Buch über Luthers Trostbriefe wird lediglich bibliographisch vermerkt, das von Matthieu Arnold über Luthers Korrespondenz gleich gar nicht.
Setzt man diese Liste mangelnder Auseinandersetzung mit nichtenglischsprachiger Literatur fort, so kommt man auf das dritte und am überzeugendsten durchgeführte Anliegen des Buches. Angesichts der Argumentation hätte man sich auch eine stärkere Auseinandersetzung mit den Forschungen von Birgit Stolt zu Luthers Rhetorik gewünscht. Denn eben in der rhetorischen Analyse liegt die größte Stärke von L.s Arbeit. Der gesamte Aufbau ist ein grob chronologischer, vorwiegend aber literarischer: L. untersucht unterschiedliche auf den Tod bezogene Gattungen, Trostschriften, den Sermon von der Bereitung zum Sterben, martyriologische Literatur, Briefe und anderes, um diese Schriften jeweils in ihren Kontext einzuordnen und dann nach ihrer rhetorischen Vorgehensweise zu betrachten.
In erfreulicher Weise vermeidet L. dabei in seiner Untersuchung einen Schematismus: Die Kapitel zu den einzelnen Schriften bzw. Schriftengruppen sind nicht durchweg gleich aufgebaut und argumentieren auch nicht immer gleich. Zwar zeigt sich an vielen Stellen eine gewisse Neigung zu quantifizierenden Angaben, die wenig ausgewertet werden (vgl. etwa die Zählung des Vorkommens der Trias Tod, Sünde und Hölle in unterschiedlichen Reihenfolgen im Sterbenssermon, 49), insgesamt aber finden sich viele unterschiedliche Vorgehensweisen. So wird etwa die martyriologische Literatur sehr konsequent im Blick auf ihren rhetorischen Aufbau und poetologische Figuren untersucht.
An anderen Stellen fragt L. vorwiegend nach dem Schriftgebrauch Luthers oder er zeichnet den literarischen, gelegentlich narrativen Aufbau von Texten nach. Weniger interessiert ihn dabei der literarische Zusammenhang mit konsolatorischer Literatur des späten Mittelalters, auch wo ihm die entsprechende Literatur bekannt ist (47). Gleichwohl ist der Blick nicht ausschließlich textimmanent, denn L. bemüht sich, das jeweilige (potentielle) Publikum der Schriften zu rekonstruieren und in Ansätzen auch auf seine rhetorischen Analysen zu beziehen. So entsteht ein eindrück­liches Mosaik von Luthers unterschiedlichen Möglichkeiten, als Tröster zu sprechen und zu schreiben.
Freilich überwiegen die einzelnen Steine des Mosaiks gegen­über dem Gesamtbild. Das Buch hat seine beeindruckende Stärke in der textnahen, sensiblen Lektüre einzelner Texte. Oder, anhand der Titulatur ausgedrückt: Die »Writings on Death« werden kommentierend vorgestellt, und wer sich mit ihnen weiter beschäftigt, wird auf L. zurückgreifen können. Wer nach einem Gesamtverständnis von »Luther as Comforter« sucht, wird möglicherweise aus den oben genannten Werken größeren Gewinn ziehen als aus dem vorliegenden.