Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Oktober/2008

Spalte:

1097–1098

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Jadatz, Heiko

Titel/Untertitel:

Wittenberger Reformation im Leipziger Land. Dorfgemeinden im Spiegel der evangelischen Kirchenvisitationen des 16. Jahrhunderts.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2007. 278 S. gr.8° = Herbergen der Christenheit. Jahrbuch für deutsche Kirchengeschichte, Sonderband 10. Kart. EUR 18,80. ISBN 978-3-374-02348-6.

Rezensent:

Stefan Rhein

Dieses Buch, eine kirchenhistorische Leipziger Dissertation von 2004, beschreibt die Einführung und Durchsetzung der lutherischen Reformation in einer regionalhistorischen Perspektive. Das Umland Leipzigs mit seinen Landgemeinden (in einem Umkreis von ca. 10 km) wird mit Hilfe von zum Teil erstmals ausgewerteten Visitationsakten für den Zeitraum 1527–1598/99 sowie von evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jh.s eingehend untersucht. Mögen auch die einzelnen Problem- und Themenfeldern mit einer bisweilen ermüdenden Redundanz aufgezählt werden, so werden die alltäglichen Mühen der Ausbreitung der Wittenberger Reformation gerade in der Wiederholung eindrucksvoll sichtbar. Wer den heutigen binnenkirchlichen Diskussionen den Vorwurf der Ökonomisierung von Kirche macht, wird in ihren historischen An­fängen Ähnliches diagnostizieren können. Denn im 16. Jh. gehörten das Einkommen der Pfarrer, die Finanzierung des Gebäudeunterhalts, ja der Zwang zur Zusammenlegung von Gemeinden aus finanziellen Gründen zu den immerwährenden Problemen aller Visitationen.
Nach einem instruktiven Forschungsüberblick über Kirchenvisitationen skizziert J. Beispiele früher Reformation in den Landgemeinden seines Untersuchungsgebiets, dort gefördert von einzelnen Pfarrern oder Vertretern des Landadels, und kann damit das Bild von der Reformation als »urban event« um das »platte Land« erweitern. Die Studie untersucht die evangelischen Kirchenvisitationen in drei zentralen Kapiteln, die den politischen Zuordnungen der Landgemeinden entsprechen; denn diese gehörten im Umland Leipzigs dem ernestinischen Kurfürstentum, dem albertinischen Herzogtum und dem Hochstift Merseburg an.
Die Visitationen sind landesherrliche Aufgabe, basieren auf Instruktionen und werden in verschiedenen Ausprägungen (vor Ort oder nur durch Bericht, sehr detailliert oder oberflächlich, un­regelmäßig bis hin zu halbjährlich etc.) durchgeführt. Sie sind er­folgreich bei der Heranbildung einer Pfarrerschaft, die gut aus­gebildet, ordiniert und allmählich wirtschaftlich konsolidiert ist, können aber sozialdisziplinarisch nur wenig ausrichten, da sich offensichtlich der schlechte Besuch der Katechismuspredigten, das Arbeiten während der Gottesdienste, das Pfingstbiertrinken und weitere Entgleisungen hartnäckig gehalten haben. Besonders problematisch erwies sich auf dem Land die Schulsituation, da es an Küstern oder Lehrern sowie an entsprechenden Räumlichkeiten fehlte. Erst gegen Ende des 16. Jh.s sind, so J., »Schulunterricht und christliche Unterweisung feste Bestandteile des kirchlichen und gemeindlichen Lebens« (207). Der Einfluss der Patronatsherren wird allmählich zurückgedrängt, indem ihnen das Recht zur An­stellung der Pfarrer entzogen wird und ihre Stiftungen aufgehoben werden. Nach anfänglichen Auseinandersetzungen mit romtreuen Geistlichen bilden immer stärker innerprotestantische Konflikte (z. B. Interim, Philippismus) den aktuellen Rahmen der Visitationen, so dass sich auf eindrucksvolle Weise die Probleme vor Ort mit der ›großen‹ Reformationsgeschichte verschränken.
Der regionalhistorischen Beschränkung hätte eine theologie­his­torische Ausweitung etwa bei der Frage nach den Predigtinhalten gut getan, da z. B., wie J. andeutet, die Predigt von der Rechtfertigung die Menschen in die Verantwortungslosigkeit führte (53) und »die Leute sich von allen geltenden Gesetzen entbunden fühlen« (210). Dass die Rechtfertigungslehre fester Bestandteil der frühen evangelischen Predigten war und die Prediger sich vehement gegen die dadurch vermeintlich entstehende sittliche Laxheit wehrten, führte Bernd Moeller (»Was wurde in der Frühzeit der Reformation in den deutschen Städten gepredigt?«, in: ARG 75, 1984, 176 ff., insb. 186 f.) aus.
J. versteht auf diesem Hintergrund Melanchthons »Unterricht der Visitatoren« als Versuch, den evangelischen Glauben stärker an Gesetz und Buße zu binden. – Eine kleine Korrektur: Herzog Jo­hann Friedrich d. M. (1529–1595) starb nicht in Steyer, sondern auf Schloss Steyr (111, Anm. 277).
Der Anhang (213–244) bietet eine Edition der Visitationsberichte von 1540, 1574 und 1578 am Beispiel des (albertinischen) Schönefeld, aufschlussreiche Exempla für die Visitationspraxis und für die Institutionalisierung der Reformation im Kleinen. Außerdem werden drei Visitationsinstruktionen (Kursachsen 1592 und 1598, Merseburg 1598) aus archivalischen Quellen wiedergegeben.
Das sorgfältig recherchierte Buch kann Vorbild sein für weitere regionalhistorische Untersuchungen zur Durchsetzung der Wittenberger Reformation.