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Ausgabe:

Oktober/2008

Spalte:

1085–1087

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Küchler, Max, u. Karl Matthias Schmidt [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Texte – Fakten– Artefakte. Beiträge zur Bedeutung der Archäologie für die neutestamentliche Forschung.

Verlag:

Fribourg: Academic Press; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2006. IX, 229 S. m. Abb. gr.8° = Novum Testamentum et Orbis Antiquus. Studien zur Umwelt des Neuen Testaments, 59. Geb. EUR 39,90. ISBN 978-3-7278-1559-1 (Academic Press); 978-3-525-53962-0 (Vandenhoeck & Ruprecht).

Rezensent:

Lothar Triebel

In diesem Band sind nach einem instruktiven Vorwort der Herausgeber (V–IX) sieben Vorträge aus dem Jahr 2005 abgedruckt. Deren Tenor ist: Die Archäologie »veranschaulicht und verlebendigt, ergänzt und präzisiert, korrigiert und verteidigt, erhellt und bestätigt« die Texte und wird so zur »Helferin, die der Exegese ... neuen Schwung zu geben vermag« (so Willibald Bösen, 195). Weder ist sie ancilla noch Hobby, sondern »Informationsträgerin, an der man [als Exeget] nicht vorübergehen darf« (194). Womit auch die Bultmann-geprägte Zeit vorüber sein sollte, in der Bibelwissenschaftler und -wissenschaftlerinnen das Heilige Land nicht aus eigener An­schauung kennen (vgl. ebd.).
Im ersten Beitrag: »Von Texten und Töpfen. Überlegungen zum Verhältnis von literarischen und materiellen Relikten antiker Kulturen bei der Interpretation des Neuen Testaments« (1–24), definiert Jürgen Zangenberg zunächst Aufgabe, Eigenart, Ziel, Gegenstand und Methode neutestamentlicher Archäologie, deren »›Professionalität‹ ... in der strikten Anwendung der gesamten Breite ar­chäologischer Methoden« (9) bestehe. Nach weiteren »grundsätzlichere[n] Überlegungen zum Verhältnis von Texte[n] und Artefakte[n]« (10–17) gibt Zangenberg vier Beispiele: aus der Forschung zu den Samaritanern, zur gruppenspezifischen Religiosität und Alltagskultur, zu Galiläa und zu Kleinasien.
In »Region oder Religion? Überlegungen zum interpretatorischen Kontext von Chirbet Qumran« (25–67) führt Zangenberg einmal mehr aus, dass die archäologisch zu erforschende Ortslage Qumran nicht im Licht der in der Nähe gefundenen Schriftrollen zu deuten sei; entscheidend sei vielmehr der »Regionale Kontext der Siedlung« (32–42). Die »Konturen eines neuen Gesamtbildes« (59–67) sähen so aus: In »der ersten Bauphase ... ein befestigtes Landhaus« (62), und so auch in herodianischer Zeit; gehalten wurde der Ort von Priestern, nicht von Essenern. Der »Hortfund« (65) Schriftrollen sei als »Corpus ... ›auf dem Weg‹ zustande gekommen« (66).
Zangenbergs methodologisches Diktum: »Die Fragmentarität der Daten wird ... unter Umständen dazu führen, dass ... dieselben Daten in unterschiedlichen Modellen zusammengefügt werden können, die ... gleich gut begründbar sein könnten.« (12), wird bestätigt von Heinz-Josef Fabry in »Archäologie und Text. Versuch einer Verhältnisbestimmung am Beispiel von Chirbet Qumran« (69–101), der sich kritisch (auch) mit Zangenberg auseinandersetzt und am Ende eine »penible Wahrnehmung ... aller Details!« (101) einfordert. Zuvor stellt er dar, wie bisher in der deutschsprachigen Forschung Exegese und Archäologie aufeinander bezogen wurden (71–76/78). »Fazit«: Es gibt bisher keine methodologische Lösung. Anschließend würdigt Fabry (79–87) die Qumrandiskussion der letzten beiden Jahrzehnte, die den früheren Forschungskonsens (›monastische Essenersiedlung‹) in Frage gestellt hat. Er selbst lehnt die Essener-Hypothese auch ab (94 f.), an einem Zusammenhang zwischen Chirbet und Handschriften müsse aber festgehalten werden (87–94). Schließlich skizziert Fabry »Perspektiven für einen neuen Konsens« (96–101).
Max Küchler führt uns in »Die hellenistisch-römischen Felsgräber im Kedrontal. Priesterlich-aristokratische Grabpracht im An­gesicht des Zweiten Tempels« (103–141) Denkmäler vor Augen, die auch Jesus selbst gesehen haben dürfte. Breiten Raum nehmen dabei neben den archäologischen auch die lokal-, wirkungs- und religionsgeschichtlichen Aspekte dieser Gräber ein.
Christian Cebulj zeigt in »Texte, Teiche, Theorien. Zum Stellenwert archäologischer Befunde für die Exegese von Joh 5« (143–159) auf, wie sich im Joh »Topografie und Theologie ... zusammenfügen« (157). Das in Joh 5 genannte Betesda sei mit dem Ausgrabungsareal am Nordrand Jerusalems zu identifizieren, dabei seien aber »Betesda« und »Schafteich« archäologisch voneinander zu unterscheiden.
Es folgt der oben schon angesprochene Beitrag Bösens, »Mehr als eine freundliche Gesprächspartnerin. Zur Bedeutung der Archäologie für die neutestamentliche Exegese« (161–195), in dem er die Archäologie für das Verständnis des Lebensraums Jesu in Kafarnaum, Nazaret und Galiläa nutzbar macht.
Das letzte Beispiel für die notwendige Verbindung der Fachwissenschaften gibt Hans-Josef Klauck, »Die Johannesoffenbarung und die kleinasiatische Archäologie« (197–229). Viele hilfreiche Einzelbeobachtungen illustrieren die »Mentalitätsgeschichte« (201–218) und ermöglichen »punktuelle Vergleiche« (219–228).
Nach der Lektüre der zumeist flüssig geschriebenen Beiträge sind die eigenen Vorstellungen hinsichtlich der neutestamentlichen Lebenswelten bunter, als sie die meisten herkömmlichen exegetischen Beiträge erzeugen. Leider gehört es bis heute nicht zum Kanon neutestamentlicher Teildisziplinen, nennenswerte archäologische Kenntnisse zu vermitteln. Aus deutscher Perspektive muss man bedauern, dass die Hälfte der Autoren dieses Bandes im Ausland lehren. Schade nur, dass auch sie die israelische Forschung nur insoweit wahrnehmen, als sie auf Englisch zugänglich ist. (Ausnahme: Küchler hat sich Teile einer Monographie aus dem Hebräischen übersetzen lassen.) Zwar liegen heutzutage die meisten Ergebnisse israelischer Ausgrabungen Jahre nach ihrer Erstpublikation auch auf Englisch vor; manches wird sogar sofort englisch publiziert. Viele ältere israelische Ausgrabungsberichte aber sind unübersetzt, und die jeweils aktuellsten Grabungsnotizen werden vielfach neuhebräisch veröffentlicht.