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Ausgabe:

Oktober/2008

Spalte:

1083–1085

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Hotze, Gerhard

Titel/Untertitel:

Jesus als Gast. Studien zu einem christologischen Leitmotiv im Lukasevangelium.

Verlag:

Würzburg: Echter 2007. 339 S. gr.8° = Forschung zur Bibel, 111. Kart. EUR 36,00. ISBN 978-3-429-02872-5.

Rezensent:

Hans Klein

Spätestens seitdem Fr. Bovon in seiner Auslegung zu Lk 11,37–54 innerhalb seines großen Lukaskommentars (EKK III/2, 218) festgestellt hatte, dass Jesus sich im Hause des Pharisäers »schlecht be­trägt« und »seine Umgebung durch sein ungeschliffenes Benehmen (beleidigt)«, ist eine eingehende Untersuchung zum Thema »Jesus als Gast« im Lukasevangelium fällig. Diese Lücke füllt H. aus. Seine als Habilitationsschrift im Wintersemester 2004/2005 in Osnabrück angenommene Studie geht umfassend an das Thema heran und bespricht nicht nur jene Texte, die direkt damit zu tun haben, er untersucht die gesamte Palette, die um das Thema »Besuch« kreist, und legt die Texte als »Heimsuchung Gottes« aus. Diese weit gespannte Thematik hat einen theologischen Hintergrund: die in der Antike verwurzelte Voraussetzung, wonach mit dem Besuch von Menschen Gott selbst zu den Menschen kommt.
Nach einer relativ kurzen Einleitung, in der H. die Wahl des Themas erklärt, den Horizont der Fragestellung absteckt und über die Anlage der Arbeit und der zu verfolgenden Methode Rechenschaft ablegt (13–22), geht er der Bedeutung der Worte nach, welche die Orte der Gastfreundschaft bzw. eines Besuches ermöglichen: Haus, Herberge, Hütte, Unterkunft usw. (23–30). Es folgen kurze Angaben zu den Worten, die das gemeinsame Essen, die Rolle des Gastgebers und des Gastes kennzeichnen (31–34).
Auf diese Weise sprachlich fundiert, wendet sich H. den einzelnen Texten zu, dem Hauptteil seiner Untersuchung (35–278). Er gliedert systematisch, wodurch sich vier Unterabschnitte ergeben: 1. Gast bei Zöllnern (Lk 5,27–32 und 19,1–10); 2. Gast bei Jüngerinnen und Jüngern (Lk 10,38–42; 24,28–32); 3. Gast im Haus eines Pharisäers (Lk 7,36–50; 11,37–54; 14,1–24) und 4. weitere Stellen, wo Mahlszenen (Lk 9,10–17; 22,7–38; 24,36–43), ungastliches Verhalten Jesus gegenüber (Lk 2,7; 9,51–56) und Berichte über Besuche in der Apostelgeschichte genauer betrachtet werden.
Die Besprechung der einzelnen Texte (1.–3.) folgt einer sehr klaren, den Forderungen der modernen Exegese entsprechenden Gliederung: A. Text (Übersetzung und textkritische Bemerkungen), B. Analyse (Einbindung in den Kontext; synoptischer Vergleich bzw. Literarkritik; Traditionskritik; Form- und Gattungskritik; Motivkritik), C. Einzelexegese und D. Ergebnis. Diese methodischen Schritte zeigen, dass kein Problem der gegenwärtigen Forschung ausgeblendet wird.
In einem dritten Teil (279–314) wird der theologische Ertrag herausgestellt, wobei H. der Metapher »Gast« nachgeht (280–290) und den Gast als Retter, Herr und Lehrer ins Auge fasst (291–297), um ihn als den wahren Gastgeber herauszustellen (298–300). Es folgt eine genauere Betrachtung der Stellen, die von »Heimsuchung« sprechen (300–306), dem sich ein zusammenfassender Abschnitt anschließt, der Jesu »Gast-Sein« als Heimsuchung auslegt (307–314).
Mit einen kurzen Schluss (315–316) wird die Studie beendet. Es folgen noch ein Literaturverzeichnis (317–327) und ein Stellenregister (328–339).
Schon die Besprechung der griechischen Worte im ersten Teil markiert eine Gewichtung: Es geht H. mehr um die Lokalisierung der Gastlichkeit als um die Art der jeweiligen Veranstaltung. Die Frage nach der Art der Mahlzeiten ist denn auch sprachlich schwer zu klären. Aus dem Zusammenhang wird dann deutlich: In jedem Besuch kommt Gott zu den Menschen auf diese Erde, das Essen spielt keine entscheidende Rolle. Jesus als Gast ist eine Metapher für die göttliche Heimsuchung. Darum kann er die Emmausgeschichte neben jene von Maria und Marta stellen und auch die verschiedenen Besuche der Missionare, von denen die Apostelgeschichte erzählt, in das Konzept eingliedern, was zunächst verwundert. Das hat seinen Grund darin, dass H. die lukanischen Aussagen nicht historisch, sondern geistlich interpretiert: Wenn Jesus zu Gast kommt, ist das im Sinne des Lukas und seiner Gemeinde Bild für die Begegnung mit dem Erhöhten und bei den Aposteln mit Gott selbst. Er stellt diese Sicht auf der ersten Seite seiner Einleitung programmatisch heraus: »Der Erzähler Lukas porträtiert Jesus in der Rolle eines Gastes, um damit das Theologumenon von der Heimsuchung Gottes in Szene zu setzen.« (13)
Kann man sich eine solche Sicht noch als eine des Lukas vorstellen, so geht der nächste Schritt darüber hinaus. Denn dass Jesus der »Gast schlechthin« ist, kommt er doch aus einer anderen Welt (284), und dass Jesu Gast-Sein für Gott steht, »der Gemeinschaft mit den Menschen sucht« (287), kann man so bei Lukas auch andeutungsweise nicht lesen. Hier merkt man deutlich, dass nicht nur eine exegetische Untersuchung vorgenommen, sondern auch ein systematisches Konzept ausgeführt wird. Die exegetischen Untersuchungen sind freilich durchaus erwägenswert.
Beachtlich ist, wie sich H. um die Erhellung der Vorlagen des Lukas bemüht und erst daraufhin ausführlich die Redaktionsarbeit des dritten Evangelisten bespricht. Das ist bei Texten, die eine synoptische Parallele haben, es sei das Markusevangelium oder die Redenquelle, etwas leichter, aber H. betont, dass die Rekonstruktion der Q-Vorlage von Lk 11,37–54 kaum möglich ist (181). Die Rekonstruktion von Texten des Sondergutes ist dann noch schwieriger. Darum zieht H. zu Lk 14,7–11 als Parallele Mt 20,28D heran. Die Analyse der Erzählung von der Heilung des Wassersüchtigen (Lk 14,1–6) ist sehr vorsichtig, H. rechnet mit einer Vorlage des Lukas mit relativ wenigen Ergänzungen durch den dritten Evangelisten, und dasselbe gilt für die Zachäusgeschichte (Lk 19,1–10). Leider hat er dazu die Studien zur Sprache des Lukasevangeliums von J. Jeremias nicht herangezogen. Vielleicht hätte er seine Analyse etwas modifiziert. Nicht genügend bedacht ist bei der Analyse dieser Texte, dass Lukas in Erzählungen seine Texte neu gestaltet, Worte ersetzt und möglicherweise nicht nur ergänzt, sondern auch kürzt. Aber für diese Studie sind diese Bemerkungen nicht wirklich wesentlich, denn H. geht es um die Aussagen des vorliegenden Textes, und diese schöpft er voll aus.
Dass sich Jesus beim Symposium in Lk 7 und 11 anders als ein normaler Gast verhält, führt H. auf die Tatsache zurück, dass in Jesus Gott selbst die Menschen heimsucht. In der Beurteilung des Verhaltens Jesu muss man also von Gott her und nicht vom Gast her denken. Darum versteht er die Szene Lk 11,37–54 mit der langen Weherede als »eine gescheiterte Einkehr« (212) und sieht das Scheitern im dem »Staunen« des Pharisäers begründet, dass sich Jesus nicht die Hände wäscht, also nicht einem Ritus genügt: »Der Pharisäer nimmt den hohen Gast nicht bedingungslos auf« (209). Man merkt deutlich die theologische Sinnrichtung: Jesus versus Ge­setzesfrömmigkeit im Sinne von Überheblichkeit, die durch die Bindung an äußere Normen entsteht. Diese systematisch-theo­logische Sicht wird noch deutlicher, wenn H. feststellt, dass das »Haus«, in dem Jesus einkehrt, im allegorischen Sinn das Gottesvolk meint (213) und Israel oder dann die universale Kirche im Blick hat (214).
Nachdenklich stimmt die Feststellung von H. (139), die frühere Forschung habe »aus falsch verstandener Pietät … das Etikett ἁμαρτωλός allzu vorsichtig gedeutet« und das Verhalten der Prostituierten »unzulässig verharmlost«. Und er stellt (173) fest, »die in V. 37 f. geschilderten Einzelheiten erinnern in pikanter Weise an das von der Frau ausgeübte Gewerbe«. Hier hat sich m. E. eine moderne Sicht eingeschlichen, worauf schon das Wort »pi­kant« hinweist. Denn wären die »geschilderten Einzelheiten« von Lukas so verstanden worden, hätte der Pharisäer nach V. 39 nicht das Prophet-Sein Jesu in Frage stellen müssen, er hätte sich einfach fragen können, ob Jesus nicht merkt, mit wem er es zu tun hat, wo doch das Handeln der Frau jedem deutlich zeigt, aus was für Kreisen sie kommt. Natürlich kann man annehmen, dass einige Leser des Evangeliums den Text in dieser Richtung verstanden haben, be­sonders wenn sie vor ihrer Unterweisung im christlichen Glauben (vgl. Lk 1,4) ein in sexueller Hinsicht liberales Leben geführt haben. Aber die Tendenz des Lukas ist eine andere, und darum kann er das Handeln der Frau als Liebestat kennzeichnen (Lk 7,45 f.).
Es geht hier nicht um falsch oder richtig verstandene Pietät, sondern um einen sachgemäßen Umgang mit Parallelen. Man sollte heidnische Texte nicht zu schnell zum Verständnis von Aussagen des Neuen Testaments heranziehen und besonders dort vorsichtig mit solchen Parallelen umgehen, wo das Chris­tentum sich vom Heidentum abgesetzt hat. Das gilt allerdings nicht nur für H., sondern auch für seine Ge­währsleute und all jene, die zu schnell moderne Tendenzen mit solchen Parallelen untermauern wollen. – Das Buch »Jesus als Gast« bringt viele Anregungen, über die weiter nachzudenken sich lohnt.