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Ausgabe:

Oktober/2008

Spalte:

1082–1083

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Crossley, James G.

Titel/Untertitel:

Why Christianity Happened. A Sociohistor­ical Account of Christian Origins (26–50 CE).

Verlag:

Louisville-London: Westminster John Knox Press 2006. XV, 232 S. gr.8°. Kart. US$ 24,95. ISBN 978-0-664-23094-4.

Rezensent:

Gabriella Gelardini

Die im Titel gestellte Frage, »warum es das Christentum gibt«, be­antwortet Crossley so, dass es eine juden-christliche Bewegung innerhalb des Judentums gab, die ab den 40er Jahren und sozial bedingt ihre heidnischen Mitglieder von der Einhaltung der Tora enthob, woraus eine das Gesetz überwindende christliche Bewegung jenseits von Ethnie entstand. Wie es dazu kam, davon handelt diese Monographie des an der Universität Sheffield tätigen Autors. Sie folgt beziehungsweise gründet in den Ergebnissen seiner 2004 erschienenen Dissertation zum Markusevangelium und zu der Rolle des Gesetzes in der Lehre Jesu und im Frühchristentum.
Seinen methodischen Ansatz verknüpft C. mit der geradezu em­phatischen Forderung, dass die Erforschung der Entstehung des Christentums weniger von einer ideengeschichtlichen, das heißt theologischen, als vielmehr von einer säkularen, das heißt sozio­historischen beziehungsweise sozioökonomischen, Herangehensweise geleitet sein müsse. In der Beantwortung der Frage, weshalb die sozialwissenschaftlichen Methoden erst in den 1970er Jahren Aufnahme in die neutestamentliche Zunft fanden – er legt dies vornehmlich der dialektischen Theologie zur Last –, bietet dieses 1.Kapitel einen interessanten Einblick in einen noch jungen As­pekt neutestamentlicher Wissenschaftsgeschichte.
Nach Ansicht von C. im 2. und 3. Kapitel war es die sozioöko­nomisch explosive Situation im Galiläa der 20er Jahre, die maßgeblich zum Entstehen der Jesusbewegung mit ihrem partikularen Zugang zum Gesetz beitrug. Unter Berufung auf Josephus habe Landentfremdung durch Urbanisierung, aber auch Kommerzialisierung Widerständlern unter der Landbevölkerung Auftrieb ge­gen das herrschende soziale, politische wie ökonomische Establishment verliehen. Dieses feindselige Klima nun soll Spuren in der Lehre Jesu hinterlassen haben, dergestalt nämlich, dass die Sündenlehre beziehungsweise die Bußpredigt Jesu sich nicht zuletzt an diese ökonomischen Eliten, das heißt an reiche Unterdrücker aus den eigenen Reihen gerichtet haben soll. Sie waren gemeint, wenn Jesus von »Sündern« sprach, und diese Anrede assoziierte sie gleichsam mit den gesetzeslosen Heiden, wie C. auf der Basis einer breit angelegten semantischen Analyse folgert.
Diese der Lehre Jesu inhärente Assoziation zwischen jüdischen Sündern und den strukturell ähnlichen heidnischen Sündern stellt aber für C. den ausschlaggebenden Dreh- und Angelpunkt dar, der die Integration heidnischer Sünder ermöglichte, ja geradezu för­derte, was sich unter Voraussetzung eines gleichzeitig aufkommenden universalistischen Monotheismus, verknüpft mit einer verstärkten Akzentuierung fiktiver Gruppenidentität, vollzogen haben soll, wie C. im 4. Kapitel argumentiert. Die resultierende Zunahme heidnischer Konvertiten hätte dann eine Anpassung beziehungsweise Lockerung der Ritualpraxis für ebendiese erfordert, die nach C. ur­sprünglich noch observant gewesen sein sollen, wie er frühesten Textzeugnissen, Q und Mk 6–8 zumal, entnehmen will.
Wenn in den 30er Jahren noch alle Mitglieder der Jesusbewegung weitgehend die Tora befolgten, wie konnte es bloß dazu kommen, dass Paulus nur zwei Jahrzehnte später die Nichtobservanz von Heiden- und allenfalls auch Judenchristen im Apostelkonzil zu legitimieren hatte, fragt C. im 5. Kapitel. Eine mögliche Antwort ortet er in der Analyse einerseits antiker sozialer Netzwerke und andererseits antiker Bekehrungspraxis. Denn gerade Heiden, die an (juden-)christlichen und gleichzeitig auch an paganen Netzwerken partizipierten, stellten ein rituell-praktisches Problem dar: Wie sollte nämlich die Sozialkontrolle außerhalb der Gemeinde gewährleistet werden? Oder: Wie sollte mit Mitgliedern von Haushalten umgegangen werden, die sich einer Kollektivkonversion widersetzten? Ein variierender Wille zur Verbindlichkeit gegen­über der Tora durch diese neuen Mitglieder, »a very down-to-earth and messy social problem« also, soll es gewesen sein, das dieser aufstrebenden Bewegung einerseits eine Anpassung der Gesetzespraxis abverlangte und andererseits aber auch ihre rasche Ausbreitung ermöglichte.
C. positioniert seinen Beitrag explizit im Rahmen eines innerhalb neutestamentlicher Wissenschaft seit bald vier Jahrzehnten geführten Diskurses, der einerseits das Frühchristentum sozialwissenschaftlich beschreibt, etwa durch Elisabeth Schüssler Fiorenza, Ekkehard und Wolfgang Stegemann, Gerd Theißen oder auch durch Mitglieder der Context Group, und der andererseits die Entstehung des Christentums sozialwissenschaftlich deutet, etwa durch Rodney Stark. C.s Untersuchung stellt dabei einen neuen, bisweilen auch reduktionistischen sozialwissenschaftlichen Beitrag zur Frage der Entstehung des Christentums dar, der bedenkenswert ist. Als engagierter Beitrag auf diese Frage ist er zu würdigen, nicht jedoch als abschließende Antwort, wie der Titel irreführend insinuiert.