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Ausgabe:

Oktober/2008

Spalte:

1080–1081

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Blischke, Folker

Titel/Untertitel:

Die Begründung und die Durchsetzung der Ethik bei Paulus.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2007. 515 S. gr.8° = Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte, 25. Geb. EUR 58,00. ISBN 978-3-374-02474-2.

Rezensent:

Christof Landmesser

Alle paulinischen Briefe sind durchsetzt mit ausdrücklichen oder indirekt erkennbaren Einlassungen zu Fragen der christlichen Ethik. Es ist bereits deshalb erfreulich, dass sich Folker Blischke der Mühe unterzieht, diese Texte auf ihren ethischen Gehalt eingehend zu untersuchen. Zudem folgt er damit einer wichtigen Tendenz in der neutestamentlichen Forschung, sich gründlicher der paulinischen Ethik zuzuwenden und in dieser einen konstitutiven Beitrag zu dessen Theologie im Zusammenhang von Christologie und Soteriologie wahrzunehmen. Wie der Titel des Buches verspricht, zeichnet der Vf. die jeweilige Begründung von ethischen Äußerungen nach, und er macht Anmerkungen zur Art und Weise, wie Paulus seine ethisch relevanten Hinweise durchzusetzen versucht. Den breitesten Raum nimmt freilich die im Buchtitel nicht erwähnte materiale Darstellung der ethischen Vorstellungen ein, die der Vf. identifizieren zu können meint.
Als Ausgangspunkt dieser von Udo Schnelle betreuten Dissertation beschreibt der Vf. seinen »Befund, dass sich in den paulinischen Briefen einerseits Aussagenreihen finden, die dem Christen eine be­stimmte Seinsqualität zusagen, während andererseits das Erreichen dieser Seinsqualität gefordert [werde]« (10). Dass dies auch für einen ersten Zugang eine allzu flächige, und damit problematische Be­schreibung der paulinischen Perspektive ist, wird durch die Untersuchung selbst allzu deutlich.
Mit dieser Arbeit will sich der Vf. dezidiert absetzen von dem durch Rudolf Bultmann zur Interpretation der paulinischen Ethik prominent gemachten Schema »Indikativ – Imperativ«. An dessen Stelle rückt­ die Kategorie der Entsprechung. Gleich zu Beginn benennt der Vf. mit Recht einige Probleme dieses in die Diskussion geratenen Deutungsrasters »Indikativ – Imperativ« (10 f.), die leicht um weitere Aspekte erweitert werden könnten. Es folgen einige Begriffsbestimmungen (13–20). Nicht ganz geglückt sind bei der allzu knappen Be­stimmung des Begriffs »Identität« (19 f.) die Zuordnungen der in anderen Kontexten verwendeten Ausdrücke »Identity Markers« und »Boundary Markers«, wobei Erstere als »die ethischen Handlungsnormen in Form der erinnerten Inhalte« (20), Letztere als »[e]thische Handlungen, die die soziale Identität in Abgrenzung gegenüber anderen Subgesellschaften objektivieren« (ebd.) verstanden werden sollen. Im Anschluss daran beschreibt der Vf. forschungsgeschichtlich greifbare Deutungsversuche der paulinischen Ethik (21–38). Insbesondere die gegenwärtigen Zu­gänge zur paulinischen Ethik werden zu knapp und zuweilen auch missverständlich nachgezeichnet. Im Verlauf der folgenden exegetischen Diskussion kommen die gegenwärtig diskutierten Argumente jedoch präziser zur Geltung.
Den Hauptteil der Arbeit bilden die materialen Untersuchungen, die sich nach den Briefen 1Thess (39–99), 1Kor (100–239), Gal (240–306), Röm (307–369) und einem Exkurs zu Phil 1,27–2,18 (370–379) gliedern. Unverständlich bleibt, warum der 2Kor nicht eigens berücksichtigt wurde. Bei der vom Vf. angewandten Methode hätten auch dort viele Beobachtungen zu ethischen Fragen gemacht werden können. – Die ethischen Hinweise in den verschiedenen Briefen verdanken sich den je aktuellen Problemlagen der Gemeinden, auf die Paulus korrigierend einzuwirken versuche.
Der Vf. verfährt in der angegebenen chronologischen Reihenfolge. Damit gewinnt die Arbeit eher den Charakter eines selektiven Kommentars verschiedener Paulusbriefe, als dass die Systematik einer thematisch orientierten Arbeit erkennbar würde. Immerhin spürt der Vf. auf diesem Wege im ethischen Diskurs auch eher vernachlässigte Textpassagen auf, die er auf ihre ethischen Aussagen hin zu untersuchen versteht. Die übergroße Fülle an Texten, die sich der Vf. vornimmt, verschafft ihm aber das methodische Problem, dass er die für seine Interpretation notwendige exegetische Argumentation kaum bieten kann, auch wenn er durchaus immer wieder wichtige philologische oder strukturelle Hinweise gibt.
Den Abschluss der Arbeit bilden »Religionsgeschichtliche Vergleiche zur paulinischen Ethik« (380–455). Hier wird die paulinische Ethik zunächst in ein Verhältnis gesetzt zu ethischen Konzeptionen im Deuteronomium (382–390). Auch wenn es Vergleichspunkte gibt, sieht der Vf. diese weniger von Paulus bewusst hergestellt als durch seine pharisäische Erziehung vermittelt (390). Eine knappe Darstellung der »Ethik der Sapientia Salomonis« (391–407) zeigt nach dem Vf., dass Paulus mit diesem Text immerhin die Aufnahme von helle­nistisch geprägten Vorstellungen in seine ethische Argumentation teile (407). Bedeutender ist dem Vf. zufolge die Vergleichbarkeit der Durchsetzungsstrukturen zwischen Paulus und hellenistischen Ar­gumentationen (Epiktet, Dion, Plutarch), die er in einem zweiten Teil seines religionsgeschichtlichen Vergleichs darstellt (408–455). Freilich betont der Vf. völlig angemessen die Besonderheit der chris­to­logischen Begründung der Ethik, die die paulinische Argumentation wesentlich von der ihrer hellenistischen Umwelt unterscheide (455).
In einem abschließenden Kapitel »Ergebnisse« (456–469) resümiert der Vf. das von ihm zuvor breit Dargestellte. Hier lässt sich in etwa die Struktur der paulinischen Ethik erkennen, wie sie der Vf. nach seinem Durchgang durch die Paulusbriefe sehen möchte. Die Getauften seien bestimmt durch eine ihr Sein neu prägende Relation zu Gott und Christus, die durch den Tod und die Auferstehung des Christus ermöglicht sei (456). Das neue »Sein in Christus« der Glaubenden ermögliche auch ein neues Handeln der Christen auf Grund der nun gewonnenen Freiheit (457). In den Glaubenden wohne der Geist, der die Maßstäbe des neuen Lebens vermittele (458). Aus der Relation zwischen Glaubenden und Christus ergebe sich hinsichtlich des Handelns ein notwendiges Entsprechungsverhältnis, das als Begründung der paulinischen Ethik zu verstehen sei (459). Dabei folge Paulus im Anschluss an hellenistische Vorstellungen einem Ent­wick­lungsgedanken (460). Die ethische Argumentation des Paulus geschehe im Modus der Erinnerung an bereits gemachte Erfahrungen oder an theologische Inhalte, etwa an die Taufe (461–463). Dabei knüpfe Paulus vorzüglich an die hellenistisch, aber auch jüdisch geprägte Enzyklopädie der Adressaten an (463–465). Über die materiale Ethik werde die christliche Identität bestimmt (465 f.), wobei die Liebe als prägende Norm angesehen werde (466). Paulus äußere sich zur Ethik, um die Gemeinden zu stabilisieren (466); er versuche dies auch mit seiner apostolischen Autorität zu erreichen (468), wobei er seine Ausführungen zuweilen in einen eschatologischen Horizont einzeichne (468 f.). – Der Vf. hat sich entschieden, diese Ausführungen nur als Zusammenfassung zu bieten. Hier aber beginnt die theolo­gische Arbeit zur Rekonstruktion der paulinischen Ethik. Der Durchgang durch die Einzelschriften erweist sich so im Wesentlichen als eine Materialsammlung mit diskussionswürdigen Einsichten, die Be­gründungsstrukturen der Ethik bedürfen weiterer Erörterungen.
Gerade bei dieser materialreichen und darin verdienstvollen Arbeit ist es bedauerlich, dass Stellen-, Stichwort- und Namenre­gister fehlen. Die Arbeit ist so für einen thematisch orientierten Diskurs schwer zugänglich. Dennoch ist dies eine interessante Un­tersuchung, weil sie eine Fülle wichtiger Einzelstellen und größerer Passagen für den Diskurs zur paulinischen Ethik erschließt.