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Ausgabe:

Oktober/2008

Spalte:

1073–1076

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Eberhardt, Gönke

Titel/Untertitel:

JHWH und die Unterwelt. Spuren einer Kompetenzausweitung JHWHs im Alten Testament.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2007. XII, 450 S. gr.8° = Forschungen zum Alten Testament. 2. Reihe, 23. Kart. EUR 79,00. ISBN 978-3-16-149306-5.

Rezensent:

Wolfram Herrmann

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Gulde, Stefanie Ulrike: Der Tod als Herrscher in Ugarit und Israel. Tübingen: Mohr Siebeck 2007. XIV, 283 S. gr.8° = Forschungen zum Alten Testament. 2. Reihe, 22. Kart. EUR 54,00. ISBN 978-3-16-149214-3.


Während der vergangenen Jahrzehnte griff man im Rahmen alttes­tamentlicher Wissenschaft vermehrt die Fragestellung nach dem Tod und dem Verhältnis Jahwes zu dieser lebensfeindlichen Welt auf. Den bislang vertretenen Sichtweisen reihen sich die hier vorgelegten Arbeiten an, indem sie die Beziehung Jahwes zu dem Be­reich im Blick haben, der seiner Dynamis fremdartig gegenübersteht.
Gulde befasst sich in ihrer Diessertation, die bei Herbert Niehr in Tübingen entstand, mit den Passagen, die vom Tod als Got­teswesen und den mythischen Motiven handeln. Bisher sei noch keine zusammenfassende Analyse davon geleistet worden. Diese Lücke will sie schließen und zeigen, in welcher Funktion der Tod auftritt. – In einer ausführlichen Einleitung geht G. darauf ein, welches Gewicht der Tod hat, wie er erlebt und verarbeitet wurde und wird, um sich danach den Sprachbildern zuzuwenden, welche zur Beschreibung des Todes dienen, weil der Mensch seine Wirklichkeit nicht erfassen könne. Ihr Zentralbegriff ist die »Figur«. Im Mythos seien religiöse Erfahrungen personifiziert, und so sei auch der Tod eine göttliche Person, mithin menschenähnliche Gestalt (F. Jannidis). Der zweite Teil beinhaltet die Textanalysen. Da nur der Tod in Ugarit und Israel zur Debatte stehe, habe sie aus Ägypten und Mesopotamien lediglich die von der Wurzel mwt gebildeten Termini herangezogen. Die ägyptischen Texte zitiert G. nach Grapows Übersetzung und gibt einige Erläuterungen zum Sachverhalt. Es fehlt freilich die Wiedergabe des Substantivs in Original und Umschrift.
Aus der Überlieferung von Ras Schamra bespricht G. KTU 1.1–6 als eine in sich geschlossene Einheit (»Baal-Zyklus«), ferner KTU 1.23; 1.16,VI,1 f.13 f.; 1.82,1–7; 1.127,30 und RS 25.460,40 f. In der Wie­dergabe der ugaritischen Wörter richtet sie sich nach der von Tropper vorgeschlagenen Vokalisierung. Der Gott Motu sei König über sein Reich, der Herr des Todes, der Unfruchtbarkeit, des Sommers und der Dürre. Infolgedessen sei er die Verkörperung der lebensmindernden Faktoren, als personifizierte Unterwelt ein allesfressendes Monster. Das ist relativ geradlinig. Die Bemerkungen zu KTU 1.23 mag man hingegen erwägen. Befremdlich ist die Bezeichnung der Sonnengöttin als Psychopomp (81, Fn. 41). Im Blick auf den phönikisch-sprachlichen Bereich rekurriert G. zu Recht auf Philo Byblius, nennt aber nicht die Belege für Mot, nämlich Eusebius, Praep. evang. I,10,1.34.
Schließlich kommt G. zum Tod »als Figur im Alten Testament«. Ausdrücklich verwertet sie nicht das gesamte Vorkommen. Es gäbe Grenzfälle mit möglicherweise nichtfigürlicher Bedeutung, die Prädikate seien andererseits nicht spezifisch genug und manche Stellen hätten keine signifikanten Aussagen zum Tod als Figur. Diese Entscheidung ist zu bedauern. Sie benennt folgende Charakterisierungen: den Tod als Fresser (Giermotivik): Hab 2,5; Jes 25,8; den Tod als Räuber: Jer 9,20; den Tod als Hirten: Ps 49,15; den Bund mit dem Tode: Jes 28,15.18. Das Alte Testament zeige den Tod als Herrscher im innerweltlichen Bezirk, der von Jahwe überwunden werde. Nach G. verlor er im Laufe der Zeit seine Bedrohlichkeit als Gottheit. Ein letzter kleiner Abschnitt listet die erzielten Ergebnisse auf.
Der Fülle exegetischer Bemühungen kann man die Anerkennung nicht versagen. Es finden sich viele gute Interpretationen. Besonders hingewiesen sei auf die Ausführungen zum Tod als Hirten (209–213). G. erklärt die einzelnen Belege eingebettet in ihre literarische Umgebung. Dazu hat sie eine immense Arbeit geleistet und eine Menge Literatur ausgewertet. In der Durchführung zeichnet sie die Dinge allerdings m. E. in zu eindeutiger Aufgliederung. Sie hätte gut daran getan, unter Heranziehung aller Vorkommen die Beobachtungen relativ behutsam zu beschreiben. Das ist besser, wenn man der Wahrheit nachspürt.
Man trifft wiederholt auf Partien in Text und Fußnoten, die nicht plausibel in den Argumentationsgang gehören. Es ist obendrein zu fragen, ob die vorbereitenden Ausführungen zur Textanalyse (63–70) in dieser Breite notwendig sind. Der lange Exkurs zum Motiv der Gier (135–144) unterbricht die Darlegungen und wäre günstiger in einen gesonderten Aufsatz verwiesen worden. Zur Explikation des Ganzen hätte man zusätzlich etwas aus 1Sam 5,11 und Prov 16,14 gewinnen können. Hinsichtlich des Griechischen sollte man unbedingt die Göttinger Septuaginta verwenden. Man hüte sich weiterhin vor zu häufigem Gebrauch von Lieblingswörtern, hier z. B. ›thematisieren‹. Einige Druckfehler sind zu korrigieren.
Eberhardt beginnt in ihrer Dissertation, die bei Bernd Janowski in Tübingen verfasst wurde, mit der Problemstellung sowie einem Forschungsüberblick und entfaltet dann ihr Vorgehen. Sie prüft die Kompetenzausweitungsthese, das Verhältnis Jahwes zur Un­terwelt, das Gegenüber von Kompetenzausweitung und Mono­theis­mus bzw. Solarisierung. Hier und im weiteren Verlauf der Argumentation bringt sie den Monotheismus ohne Reflexion ins Spiel, wenngleich gemildert durch einige sachdienliche Äußerungen (346–349). Der Begriff des Monotheismus ist keine eindeutige Metapher und sollte nicht ungeprüft übernommen werden. E. ordnet die Belege nach Kosmologie und Soteriologie. Allerdings verwahrt sie sich bei dem zuletzt genannten Begriff gegen ein dogmatisches Verständnis (220). Sie verwende ihn rein pragmatisch; es gehe um Jahwe als den Retter vor dem Tod bzw. aus der Unterwelt.
Der erste Hauptteil (Ebene der Kosmologie) behandelt Am 9,1–4 sehr ausführlich. Das Entfaltete zeugt von Fleiß und Gelehrsamkeit. Freilich greift E. weit aus und erörtert viele Einzelheiten, die nicht stringent zur Aufgabenstellung gehören. Zur Sache kommt sie erst nach 62 Seiten. Die gleiche Beobachtung macht man bei dem danach besprochenen Zeugnis Ps 139,8. Die Erkenntnis ist, Am 9,2 rede von einem Zugriff Jahwes auf die Unterwelt, Ps 139,8 von seiner Präsenz daselbst. Als dritter Hauptbeleg komme Hi 14,13 hinzu. In den drei Zeugnissen sei noch keine Macht Jahwes über die Unterwelt ausgesagt – nur, dass er dort Verfügungsgewalt habe. Sie fächert auf: Am 9,1–4 bezeuge erweiterten Einflussbereich, Ps 139,8 erweiterten Bewegungsspielraum, Hi 14,13 erweiterten Ver­fügungsrahmen. Ferner nachgewiesen sei das ›Kosmologische‹ in Hi38,17; 26,5 f.; Prov 15,11.
Im zweiten Hauptteil (Ebene der Soteriologie) zeichnet E. Jahwe als den Retter vom Tode, speziell anhand von Hos 13,14. Hier diskutiert sie erneut den Abschnitt 13,12–14,1 ausschweifend und kommt zur entscheidenden Frage nach 45 Seiten. Die Erklärung zur religionsgeschichtlichen Bedeutung von Hos 13,14 ist jedoch gut und zutreffend. Hier verweilt sie mit Recht in extenso. Die Fähigkeit Jahwes zur Rettung sei als selbstverständlich vorausgesetzt. Vermutlich sei eine bekannte Vorstellung aufgegriffen, die bezüglich der Scheol vorher nicht nachgewiesen werden könne. Die Frage des Rezensenten ist es natürlich, ob man die Zeugnisse Am 9,2; Ps 139,8 und Hos 13,14 in der vorgenommenen Weise voneinander trennen kann. Das würde allerdings ein anderes Konzept be­dingen.
Zur ›Soteriologie‹ weiterhin zieht E. die Nachweise Dtn 32,39; 1Sam 2,1–10; 2Kön 5,7 und Hos 6,1–3 heran. Am Ende ventiliert sie schließlich, inwieweit die Grabinschrift 3 von Ḫirbet el-Kōm und die Silberamulette von Ketef Hinnom zur Sache etwas abwerfen. Unter ›Ergebnis und Ausblick‹ (393–399) kann sich der Leser kurz über das Erreichte informieren.
E. zeichnet ein gutes, abgewogenes Urteil aus. Man trifft immer wieder auf sachdienliche Überlegungen. Sie ordnet die ausgewerteten Schriftzeugnisse, soweit möglich, nach ihrer Entstehung. Das ist zutreffend und entspricht dem Werdegang israelitischer Glaubensgeschichte. Als sinnvoll kann man es auch betrachten, wenn sie entsprechend dem jeweiligen Inhalt die Unterwelt der Lebenden von der Unterwelt der Toten unterscheidet. Sie arbeitet gründlich, doch sind ihre Ausführungen teilweise redundant. Achtung ist ihrer Auswertung einer großen Anzahl von Veröffentlichungen zu zollen. Einige Fehler im Literaturverzeichnis und relativ wenige Druckfehler sind leicht zu berichtigen. – Zum Schluss gesteht E. noch manche Fraglichkeit ein (393.398 f.), und weist auf weitere Probleme hin. Dazu seien folgende von ihr nicht berücksichtigte Nachweise der Beachtung empfohlen: Jes 7,11; 14,18–20; 28,15. 18; Ez 32,17–32; Ps 55,16; Prov 30, 15a βb f.; Ct 8,6; Sap 1,14; syrBar 21,23; 4Es 8,53; Albright zu Hab 3,13 und die Problematik des Kampfes Jahwes gegen Mot.
Nach Abschluss der Lektüre schaut der Rezensent mit Genugtuung auf die beiden Monographien zurück. Die Verfasserinnen ha­ben je auf ihre Art einen beachtenswerten Beitrag zum angeschnittenen Fragenkreis israelitischer Religiosität eingebracht, und es ist ihnen zu danken, Anstoß zu weiterem Bedenken eines integrierenden Teiles israelitisch-jüdischen Glaubens gegeben zu haben.