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Ausgabe:

Oktober/2008

Spalte:

1058–1060

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Brocke, Christoph vom

Titel/Untertitel:

Griechenland.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2007. 280 S. m. zahlr. farb. Abb. u. Ktn. 8° = EVAs Biblische Reiseführer, 1. Kart. EUR 16,80. ISBN 978-3-374-02463-6.

Rezensent:

Lukas Bormann

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Feldtkeller, Andreas: Jordanien. Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2007. 128 S. m. zahlr. farb. Abb. u. Ktn. 8° = EVAs Biblische Reiseführer, 2. Kart. EUR 12,80. ISBN 978-3-374-02462-9.


Mit den ersten zwei Bänden der auf neun Bände angelegten Reihe EVAs Biblische Reiseführer liegen außerordentlich anregende Versuche vor, die biblische Überlieferung mit den heute möglichen Wahrnehmungen an den biblischen Wirkungsstätten in Beziehung zu setzen. In beiden Bänden erhält der Leser fachlich versierte Antworten auf eine Frage, die den »biblisch« Reisenden beschäftigt: Was sieht der hermeneutisch und historisch geschulte Fachwissenschaftler, wenn er die Landschaften und die materiellen Überreste der biblischen Epoche vor Augen hat und sie in Beziehung zur literarischen biblischen Überlieferung bringt? Dieses emphatische Verständnis von Sehen kennt die Kunstgeschichte schon lange, und seit einigen Jahren inspiriert es als pictorial oder iconic turn die kulturwissenschaftlichen Diskurse. Ein solches Bli­cken (Martin Jay: gaze) auf die biblischen Stätten wird dem Leser in beiden Bänden auf anregend unterschiedliche Weise angeboten. Christoph vom Brocke und Andreas Feldtkeller sind durch Publikationen und Auslandsaufenthalte eindrücklich als Spezialisten für ihren Gegenstand ausgewiesen.
Der Neutestamentler v. B., Dozent am Missionsseminar Hermannsburg, folgt im Stil eines milden Historismus den Spuren des Paulus in Griechenland. Er fragt hier und dort, was sich nun wirklich zugetragen habe, oder bedenkt, was Paulus wohl in den 50er Jahren des 1. Jh.s in den von ihm besuchten Städten Griechenlands vor Augen hatte. V. B. kann mit den Paulusbriefen auf biblische Quellen zurückgreifen, in denen die authentische Stimme des Paulus zu hören ist (Ego-Dokumente). Im Falle der später verfass­ten Apostelgeschichte korrigiert er bisweilen deren etwas über schwängliche Erzählweise. Von den weiteren frühchristlichen Quellen wird nur der 1Clem kurz erwähnt (219 f.).
Überwältigend reichhaltig sind hingegen die materiellen Hin­terlassenschaften des antiken Griechenlands. Hier muss v. B. auswählen, und er tut dies verständig. Der »biblisch« Reisende gelangt auf den Spuren des Apostels nach Philippi, Thessaloniki, Beroia, Athen und Korinth und zu einigen weiteren Zwischenstationen. Er wird zudem durch Exkurse auf interessante Abwege zu weiteren religionsgeschichtlich interessanten Stätten wie z. B. Eleusis, Epidauros oder Delphi geführt. Nach kurzen Einführungen in die ge­schichtlichen Rahmenbedingungen der besuchten Orte folgen zu­nächst Ausführungen über den Aufenthalt des Paulus dort und dann die Rundgänge durch die Hinterlassenschaften, die dem Besucher heute zugänglich sind. V. B. erweist sich als ein guter Kenner der griechischen Antike, der seine Leser durch anschauliche Schilderun gen und einen zugänglichen Sprachstil mitzunehmen weiß. Er macht aber auch die Problematik einer »biblischen« Fragestellung deutlich, wenn er zu Recht mehrfach darauf hinweist, dass der prägende Gesamteindruck der meisten von Paulus besuchten Stätten aus dem 2. Jh. stammt und somit das, was der heutige Reisende an materiellen Hinterlassenschaften oder Rekonstruktionen sieht, gerade so dem Apostel nicht vor Augen stand (53.107.124.203 u. ö.).
Der Band ist mit hochwertigen und aussagekräftigen Bildern, Rekonstruktionen, Karten und Grafiken reichhaltig ausgestattet. Mit ihm hat man eine Alternative zu dem ähnlich ausgerichteten Buch von W. Elliger, Mit Paulus unterwegs.
Einige Versehen sind zu notieren: 125 statt »19,10a« richtig »17,10a«, 126 statt »17,6« richtig »17,11 f«; 155 statt »17,1634« richtig »17,16–34«;157 statt »17,5« richtig »17,15«; 201 statt »ἐποτεία« richtig »ἐποπτεία«; 258 statt »Sybille« richtig »Sibylle«. Im Register (272–276) wird zu fast allen Stichwörtern nur die erste Belegstelle notiert, z. B. 272 »Augustus, 22«, vgl. aber 160.202 und 232. Das Gleiche gilt für Brutus, Caesar, Cassius, Cicero, Theater usw. Der Verlag hat mir mitgeteilt, dass das nicht in der Verantwortung des Autors liege und in der 2. Auflage korrigiert werde.
Der Religionswissenschaftler Feldtkeller, Hochschullehrer an der Humboldt-Universität zu Berlin, wendet sich Jordanien zu. Der moderne Staat Jordanien erstreckt sich heute auf den östlichsten Teil des »biblischen« Landes. F. thematisiert die Zugehörigkeit dieses Landstrichs zu Palästina unter geographischen, historischen und politischen Gesichtspunkten (9 f.).
In alttestamentlicher Zeit lag östlich des Jordangrabens das Siedlungsgebiet der Stämme Gad und Ruben (Jos 13) bzw. Gilead (Ri11), und es siedelten hier die Edomiter, Moabiter und Ammoniter. Neutestamentliche Texte sprechen aus einer judäischen Perspektive explizit von Transjordanien (Mt 4,25; 19,1: πέραν τοῦ ᾿Ιορδά­νου). Darüber hinaus gehören die Dekapolis (Mt 4,25 u. ö.), die »Arabia« (Gal 1,17) und das Nabatäerreich (2Kor 11,32 f., vgl. Apg 9,25) zu den biblischen Orten. F. behandelt Amman, Gilead, die Städte der Dekapolis, am Toten Meer und an der Königsstraße.
Die Aufgabe seines Reiseführers sei es, »Landschaften und Er­zählungen miteinander zu überblenden« (22). F. ermöglicht so faszinierende Einblicke in die historischen und kulturanthropologischen Dimensionen der genannten Orte und öffnet dem Leser die Augen für die Welt, in die die biblischen Autoren ihre Erzählungen gestellt haben. Er setzt sich dabei mit dem Hiatus zwischen der biblischen master narrative deuteronomistisch-chronistischer Provenienz (98: »biblischer Erzählverlauf«) und den spärlichen, oft schweigenden, bisweilen der biblischen Erzählung widersprechenden materiellen Befunden auseinander (21–23 u. ö.). Wenn etwa die Bileam-Inschrift aus dem 9. Jh. in ein durch und durch polytheistisches Umfeld zu stellen ist, wird der enthusias­tische Leser von Num 22–24 möglicherweise ernüchtert sein (46– 50.98). Er wird aber auch mit den brennenden Fragen der alttestamentlichen Wissenschaft vertraut gemacht und zu neuen mehrperspektivischen his­torischen und religionsgeschichtlichen Sicht­weisen geführt.
F. kommt immer wieder auf die byzantinische Zeit zu sprechen. Er macht damit etwas deutlich, was gerade aus biblischer Perspektive bisweilen aus dem Blick gerät: Palästina erlebte seine kulturelle und wirtschaftliche Blüte in spätrömischer und byzantinischer Zeit. Für die Siedlungsstrukturen und die Verkehrswege hat das Hayim Lapin gezeigt, hinsichtlich der kulturellen Blüte sprechen die wundervollen Synagogen- und Kirchengebäude aus dem 5. und 6. Jh. und die literarischen Hinterlassenschaften dieser Zeit eine deutliche Sprache. F. weiß das (17.71) und verweist mehrfach auf das großartige Kartenmosaik von Madaba (95 f.) oder auf den Reisebericht der Pilgerin Egeria aus dem 4. Jh. (54.101). Wer den »biblischen« Fokus auch einmal überschreiten möchte, sollte den Kunst-Reiseführer zu Jordanien von F. R. Scheck heranziehen.
Auch F. hat seinen Band mit Bildmaterial reichlich ausgestattet. Die Karte zur assyrischen Expansion (30) wäre auf S. 15 hilfreicher. Das Register ist zuverlässig.
F. gelingt es meisterlich, angesichts einer problematischen Aufgabenstellung eine wissenschaftlich anspruchsvolle und mehrperspektivische Darstellung des biblischen Transjordanien vorzulegen, die solide informiert und ihre Gegenstände vor einen angemessen vielschichtigen Horizont stellt.
Für mich war es ein Genuss, den unterschiedlichen Zugangsweisen der beiden Autoren zu folgen, in ihren Perspektiven die Ho­rizonte der biblischen Überlieferung abzuschreiten und mich kundig führen zu lassen. Ich bin gespannt auf die noch folgenden Bände der Reihe.