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Ausgabe:

Oktober/2008

Spalte:

1055–1057

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Ulmer, Rivka [Ed.]

Titel/Untertitel:

Discussing Cultural Influences. Text, Context, and Non-Text in Rabbinic Judaism.

Verlag:

Lanham: University Press of America 2007. VIII, 248 S. gr.8° = Studies in Judaism. Kart. US$ 37,00. ISBN 978-0-7618-3516-5.

Rezensent:

Catherine Hezser

Dieser Band besteht aus sieben Beiträgen, die auf Vorträgen an der Bucknell University im Jahre 2004 beruhen und hier zum ersten Mal veröffentlicht werden. Die Themen sind weitreichend, beziehen sich aber mit Ausnahme des ersten Beitrags (Qumran-Texte) alle auf die rabbinische Literatur. Die im Titel genannten kulturellen Einflüsse werden allerdings nur in drei der sieben Kapitel thematisiert und untersucht. Bei den übrigen Beiträgen handelt es sich lediglich um innerjüdische Vergleiche (Qumran – rabbinische Literatur) bzw. um Vergleiche zwischen palästinischen und babylonischen Versionen rabbinischer Texte. Insofern könnte der Titel des Bandes zu Enttäuschungen beim Leser führen. Er ist offensichtlich gewählt worden, um eine Reihe sehr unterschiedlicher Untersuchungen unter einem Oberbegriff veröffentlichen zu können. Eine innere Kohärenz ist zwischen den Kapiteln des Bandes nicht zu erkennen. Die Einleitung der Herausgeberin ist auch nur sehr kurz (anderthalb Seiten) und beschränkt sich auf die knappe Zu­sammenfassung der Themen.
Im ersten Beitrag (»Legal Texts and Codification in the Dead Sea Scrolls«, 1–39) bietet Lawrence H. Schiffman eine Einführung in Qumran-Texte und Fragmente, die rechtliche Themen behandeln. Dabei handelt es sich nicht nur um die Damaskusschrift und die Gemeinderegel, sondern auch um weniger bekannte Texte, die in ganz unterschiedlichen literarischen Formen erscheinen. Schiffman verwendet die geläufige Unterscheidung zwischen »rewritten Bible« und »midrash« und behauptet, dass man schon unter den Qumran-Texten des 2. Jh.s v. Chr. Vorläufer des späteren rabbinischen halakhischen »midrash« finden kann. Diese Verwendung des Begriffs »midrash« ist allerdings irreführend, wie der folgende Beitrag von Mayer I. Gruber deutlich macht (»The Term Midrash in Tannaitic Literature«, 41–58). Gruber zeigt, dass der Begriff »mi­drash« als terminus technicus für eine bestimmte Art von Bibelexegese, wie er heutzutage von Forschern gemeinhin verwendet wird, nicht auf der rabbinischen Verwendung des Wortes in den ersten Jahrhunderten beruht, sondern auf Raschi zurückzuführen ist. Erst Raschi in seinem Kommentar zu b. Ber. 11b identifizierte »midrash« mit Bibelexegese. Die moderne Verwendung beruht also auf Raschis »manipulation of the term« (54).
Eine rabbinische Reaktion auf äußere Umstände wird im dritten Kapitel von Reuven Kimelman im Hinblick auf drei Aspekte der antiken jüdischen Liturgie abgelehnt (»Polemics and Rabbinic Liturgy«, 59–97): die Betonung der Auferstehung in der zweiten Seligpreisung der Amidah, das Fehlen des Dekalogs und die rabbinische Einführung der Königsmetapher in die Liturgie – alle diese Phänomene können auf innerjüdische theologische Entwicklungen zurückgeführt werden und sind nicht als Reaktion auf äußere Polemik (gegen Sadduzäer, Christen und den Kaiserkult) anzu­sehen. Anders als Kimelman meinen in den folgenden Kapiteln Holger Zellentin, Yaakov Elman und Rivka Ulmer, Einflüsse der christlichen, zarathustrischen und ägyptischen Umwelt auf die rabbinische Literatur erkennen zu können. Holger Zellentin (»Rab­binizing Jesus, Christianizing the Son of David. The Bavli’s Ap­proach to the Secondary Messiah Traditions«, 99–127) versucht zu zeigen, dass die babylonischen Rabbinen in b. Suk. 52a–b ein Ge­genbild zum Messiasverständnis des Lukasevangeliums entworfen haben, indem sie dem jüdischen davidischen Messias der Endzeit den bereits verstorbenen christlichen »sekundären« Messias, Sohn Josephs, gegenüberstellen. Wie Israel Yuval und Peter Schäfer meint auch Zellentin im Babylonischen Talmud eine umfangreiche und auf bestimmten Evangelientexten beruhende rabbinische Kenntnis des Christentums feststellen zu können. Yaakov Elman (»›He in His Cloak and She in Her Cloak‹: Conflicting Images of Sexuality in Sasanian Mesopotamia«, 129–63) untersucht dagegen zoroastrische Einflüsse auf die babylonisch-rabbinische Sexualmoral. Strikte Reinheitsregeln zur Geschlechtertrennung während der Menstruationszeit sowie bestimmte Richtlinien zum Verhalten während des Geschlechtsaktes und zur Häufigkeit desselben lassen sich auf Grund des »shared universe of discourse in some areas and of values in most« (130) erklären.
Rivka Ulmers Beitrag lenkt die Aufmerksamkeit von Babylonien nach Ägypten (»Visions of Egypt in Midrash: The Nile as the Landscape of the Other«, 193–234): Die Art und Weise, wie Rabbinen den Nil repräsentieren, ist einerseits von biblischen und griechisch-römischen Vorstellungen ge­prägt, weist aber auch eine spezifisch rabbinische Sicht des Nils als »the landscape of the Other« auf (194).
Es bleibt abschließend nur noch der Beitrag Herbert W. Bassers zu erwähnen (»Shimon Bar Yohai: Literary Motifs«, 165–92), in dem palästinische und babylonische Versionen des Geschichtenzyklus um diese Persönlichkeit im Hinblick auf rabbinische Einstellungen zu religiös motivierter Gewalt verglichen werden.
Die drei Beiträge von Holger Zellentin, Yaakov Elman, und Rivka Ulmer, die dem Titel des Bandes gemäß kulturelle Einflüsse auf die rabbinische Literatur untersuchen, können als die interessan­tes­ten und innovativsten Teile des Bandes gelten. Mit ihrer Fokussierung auf Ägypten und Babylonien sowie Christentum und zo­roastrische Religion ergänzen sie traditionelle Untersuchungen zum griechisch-römischen Kontext des rabbinischen Judentums.