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Ausgabe:

Oktober/2008

Spalte:

1043–1045

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Kratz, Reinhard Gregor, u. Hermann Spieckermann [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Götterbilder – Gottesbilder – Weltbilder. Polytheismus und Monotheismus in der Welt der Antike. Bd. I: Ägypten, Mesopotamien, Persien, Kleinasien, Syrien, Palästina.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2006. XIX, 378 S. m. Abb. u. Ktn. gr.8° = Forschungen zum Alten Testament. 2. Reihe, 17. Kart. EUR 69,00. ISBN 978-3-16-148673-9.

Rezensent:

Martin Rösel

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Kratz, Reinhard Gregor, u. Hermann Spieckermann [Hrsg.]: Göt­terbilder – Gottesbilder – Weltbilder. Polytheismus und Monotheismus in der Welt der Antike. Bd. II: Griechenland und Rom, Judentum, Christentum und Islam. Tübingen: Mohr Siebeck 2006. VII, 335 S. gr.8° = Forschungen zum Alten Testament. 2. Reihe, 18. Kart. EUR 59,00. ISBN 978-3-16-148673-9.


In den beiden anzuzeigenden Bänden wurden Vorträge publiziert, die in den Jahren 2004/2005 an der Universität Göttingen im Rahmen einer Vorlesungsreihe und eines Symposions gehalten worden sind. So erklärt sich, dass manche der Beitragenden mit mehreren Aufsätzen vertreten sind und dass gut die Hälfte der Autoren aus Göttingen stammt. Auch wird verstehbar, warum bei einigen Beiträgen der Bezug zur Monotheismus-Thematik schwächer ausgeprägt ist, sie waren ursprünglich während des Symposions »Pantheon und Politik« gehalten worden.
In einem sehr weit geschlagenen Bogen werden dabei Aspekte der antiken Religionsgeschichte von Persien bis Rom in den Blick ge­nommen. Im zweiten Band geht es jenseits enger geographischer Grenzen um das Urchristentum, das rabbinische Judentum, islamische Religion und das Christentum im Orient. Die Artikel sind teils als Fallstudie, teils als überblicksartige Einführung gestaltet.
In die Sammlung führt eine ausführliche Einleitung der beiden Herausgeber ein (IX–XIX), die auf die Komplexität der Diskussionslage um die Ausprägung monotheistischer Religionen im Umfeld eines herrschenden Polytheismus hinweisen und als Aufgabe der Forschung benennen, dass »nach plausiblen Modellen zur Erklärung des Übergangs« zwischen Poly- und Monotheismus zu fragen ist (XVIII). Die folgenden Beiträge selbst geben dann meist allenfalls Hinweise zur Beantwortung des eingangs genannten Problems; ihr Wert liegt aber vor allem darin, dass eine enorme Materialfülle ausgebreitet wird, so dass die Bände zum Standardwerk bei der Beschäftigung mit dem Monotheismusproblem werden dürften. Zugleich wird einmal mehr der Nutzen interdisziplinärer Forschung deutlich, wobei vor allem die Theologie von den Quellenkenntnissen der Nachbardisziplinen profitiert (umgekehrt täte manchem Altertumswissenschaftler oder Altorienta­listen auch etwas von der hermeneutischen Kompetenz der Theologie gut). Zu erwähnen ist die durchweg gute Lesbarkeit der Arbeiten, was ihre Aufnahme in Diskursen anderer Fächer gewiss er­leichtert.
Im ersten Hauptteil werden drei Studien zur ägyptischen Religion geboten: F. Junge, »Unser Land ist der Tempel der Ganzen Welt«. Über die Religion der Ägypter und ihre Struktur, 3–44; H. Sternberg-el-Hotabi, »Die Erde entsteht auf deinen Wink«. Der naturphilosophische Monotheismus des Echnaton, 45–78; S. Bickel, Die Verknüpfung von Weltbild und Staatsbild. Aspekte von Politik und Religion in Ägypten, 79–99. Die Beiträge werden durch eine Fülle von Abbildungen illustriert; der Aufsatz von F. Junge eignet sich sehr als Einführung in die Religion Altägyptens, im folgenden Beitrag wird vor allem im Gefolge J. Assmanns dargestellt, wie Echnaton die »neue Sonnentheologie« zu einer eigenen Naturphilosophie entwickelt. S. Bickels knappe Darstellung der ägyptischen Königsideologie ist gerade für die alttestamentliche Exegese (vgl. Ps 2; 110) lesenswert.
Ebenfalls drei Überblicksartikel zu wesentlichen Aspekten der Religionen in Mesopotamien folgen im zweiten Teil: A. Zgoll, Vielfalt der Götter und Einheit des Reiches. Konstanten und Krisen im Spannungsfeld politischer Aktion und theologischer Reflexion in der mesopotamischen Geschichte, 103–130; B. Groneberg, Aspekte der »Göttlichkeit« in Mesopotamien. Zur Klassifizierung von Göttern und Zwischenwesen, 131–166; A. Nunn, Kulttopographie und Kultabläufe in mesopotamischen Tempeln: drei Beispiele, 167–195 (zur Architektur des Tempels, Kulthandlungen und Festen). Auch bei diesen Beiträgen erleichtern viele Skizzen und Fotos das Verständnis. Für die übergeordnete Thematik des Bandes ist der Beitrag von B. Groneberg am aufschlussreichsten, da sie sich der Frage nach den Differenzierungen zwischen Göttern und Dämonen/ Zwischenwesen widmet.
Der dritte Teil beschäftigt sich mit der auf Zarathustra zurück­gehenden Religion, die oft als Vergleichsmodell für die biblische Entwicklung zum Monotheismus, aber auch für dualistische Tendenzen verwendet wird. P. G. Kreyenbroek, Theological Questions in an Oral Tradition: the Case of Zoroastrianism, 199–222, zeigt, dass die Konzepte Dualismus, Monolatrie, Polytheismus nicht recht passen; Ahuramazda wird erst bei den Achämeniden zur zentralen, nicht aber einzigen Götterfigur. Es folgt A. de Jong, One Nation under God? The Early Sasanians as Guardians and Destroyers of Holy Sites, 223–238, der einen Einblick in die sassanidische Zeit gibt, die kaum je breiteres Interesse findet.
Ein umfangreicher vierter Teil zu den Religionen in Syrien/Paläs­tina und Kleinasien beschließt Band 1:
D. Schwemer, Das hethitische Reichspantheon. Überlegungen zu Struktur und Genese, 241–265; A. Nunn, Aspekte der syrischen Religion im 2. Jahrtausend v. Chr., 267–281; H. Spieckermann, »Des Herrn ist die Erde.« Ein Kapitel altsyrisch-kanaanäischer Religionsgeschichte, 283–301; H. Niehr, Die phönizischen Stadtpanthea des Libanon und ihre Beziehung zum Königtum in vorhellenistischer Zeit, 303–323; E. Aurelius, »Ich bin der Herr, dein Gott«. Israel und sein Gott zwischen Katastrophe und Neuanfang, 325–345; R. G. Kratz, »Denn dein ist das Reich«. Das Judentum in persischer und hellenistisch-römischer Zeit (347–374).
Es ist nicht möglich, die Materialfülle dieses Teils auch nur annähernd zu würdigen. Es wird deutlich, wo Israel Teil der umfassenden Kultur Syriens/Pa­läs­tinas ist und wie es zu seiner Besonderheit findet. Zu nennen sind aber m. E. Desiderata. So leuchtet nicht ein, dass das hellenistische Judentum nur anhand des Aristeasbriefes und die Apokalyptik knapp in Zu­sam­menhang mit Qumran (beides im Aufsatz von R. G. Kratz) vorkommen. In Hinblick auf veränderte Gottes- und Weltbilder sind in diesen Bereichen wirkungsgeschichtlich so bedeutsame Entwick­lungen geschehen, dass ohne sie die Ausprägung des Urchristentums nicht verständlich ist – erinnert sei nur an Messiasvorstellungen, an die veränderte Angelologie und Kosmologie etwa bei Henoch oder im Danielbuch oder an die Imprägnierung jüdischer Tradition mit griechischer Philosophie bei Philo.
Zu Beginn des zweiten Bandes stehen drei Beiträge zur griechischen und zwei zur römischen Religion: W. Burkert, Mythen – Tempel – Götterbilder. Von der Nahöstlichen Koiné zur griechischen Gestaltung, 3–20; H. G. Nesselrath, Die Griechen und ihre Götter, 21–44; und: Tempel, Riten und Orakel. Die Stellung der Religion im Leben der Griechen, 45–67; D. Gall, Aspekte römischer Religiosität. Iuppiter optimus maximus, 69–92; U. Schmitzler, Friede auf Erden? Latinistische Erwägungen zur pax Augusta, 93–111. Hier werden die beiden klassischen polytheistischen Religionssysteme vorgestellt, wobei der Beitrag von D. Gall auf den numinosen Cha­rakter der römischen Götter als wichtigsten Unterschied zu den griechischen Götterfamilien hinweist. W. Burkert kommt leider nur kurz auf philosophische Götterkritik von Xenophanes und Heraklit zu sprechen (17 f.), Späteres wird ausgeblendet.
Zwei Beiträge von R. Feldmeier stellen den Teil zur urchristlichen Religion dar: »Abba, Vater, alles ist dir möglich«. Das Gottesbild der synoptischen Evangelien, 115–133; und: »Der das Nichtseiende ruft, daß es sei«. Gott bei Paulus, 135–149. In beiden Studien wird deutlich, dass die Besonderheit des neutestamentlichen Gottesbildes darin liegt, dass es sich mit den Aussagen der Niedrigkeit und der Wirksamkeit Gottes im Leiden des Sohnes an entscheidenden Stellen von Gottesbildern der Umwelt absetzt. Erhellend – gerade im Zuge der Diskussion um den Umgang mit dem Gottesnamen in der »Bibel in gerechter Sprache« – ist auch der umfangreiche Aufsatz von H.-J. Becker, Einheit und Namen Gottes im rabbinischen Judentum, 153–187.
Mit drei Aufsätzen von T. Nagel zu Aspekten des Gottesbildes, der Kosmologie und Anthropologie wird der Bereich Islamische Religion bestückt: Schöpfung und Kosmos im Koran, 191–209; Die Anthropologie des Islams, 211–226; Die muslimische Glaubensgemeinschaft als die Verwirklichung des göttlichen Willens auf Erden, 227–240. Es folgen zwei Beiträge von M. Tamcke zu christlicher Existenz im Osten und unter islamischer Herrschaft: Im Schatten von Schah und Kaliph. Christsein östlich der griechisch-römischen Welt, 243–261; Zwischen Größenwahn und Minderwertigkeitsgefühl. Christsein im Haus des Islam, 263–276.
Zwei etwas unglücklich als »Nachwort« eingeordnete Beiträge nehmen schließlich explizit und umfassend die gegenwärtige Dis­kussion um den Monotheismus auf, wobei A. Bendlin (Nicht der Eine, nicht die Vielen. Zur Pragmatik religiösen Verhaltens in einer polytheistischen Gesellschaft am Beispiel Roms, 279–311) die Religion Roms als Fallbeispiel für religiösen Pluralismus nutzt und J. Assmann (Gottesbilder – Menschenbilder: anthropologische Kon­sequenzen des Monotheismus, 313–329) seine These vom Gewaltpotential des Monotheismus etwas einschränkt und sich explizit gegen den Vorwurf antisemitischer Tendenzen zur Wehr setzt (insbesondere 328).
Wie bei solchen Sammelbänden üblich, konnte kaum eine Vernetzung der einzelnen Beiträge untereinander geschehen. So bleiben manche Fragen unerörtert, die man im Problemfeld Polytheismus-Monotheismus erwarten würde, etwa die nach der altkirchlichen Ausprägung des christologischen oder trinitarischen Dogmas, die ja im christlich-muslimischen Gespräch von einiger Be­deutung ist. Dennoch ist deutlich, dass hier eine wichtige Samm­lung hochwertiger Arbeiten vorgelegt wurde, der weite Verbreitung sicher ist.