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Ausgabe:

Oktober/2008

Spalte:

1041–1043

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Clifford, Richard J. [Ed]

Titel/Untertitel:

Wisdom Literature in Mesopotamia and Israel.

Verlag:

Atlanta: Society of Biblical Literature 2007. XIV, 116 S. gr.8° = Symposium Series, 36. Kart. US$ 10,99. ISBN 978-1-58983-219-0.

Rezensent:

Alexa F. Wilke

Der anlässlich eines Forums während des SBL-Kongresses in San Antonio 2004 initiierte Band umfasst eine kurze Einleitung des Herausgebers und sieben Beiträge. Diese sind in vier Gruppen un­terteilt. Sie beschäftigen sich mit 1. den Kontexten mesopotamischer Weisheit, 2. babylonischen Weisheitstexten, 3. dem Vergleich von mesopotamischen und biblischen Texten und Motiven und 4. der biblischen Literatur.
An den Beginn der kurzen Einleitung stellt Richard J. Clifford die Beobachtung von John Day, dass ägyptologische Einflüsse auf die Weisheit Israels bisher aufmerksamer wahrgenommen worden seien als semitische. Für die beklagenswerte Vernachlässigung des aussagekräftigen Materials sieht Clifford einen Grund in der un­gleich größeren Schwierigkeit, mesopotamisches Material zu sichten. Dass sich dieses Problem jedoch weitgehend gelöst hat, verdeutlicht er, indem er im Folgenden die wichtigsten Textsammlungen vorstellt. Schon in der Beschreibung der Sammelwerke ge­winnt die Frage nach dem Wesen der Weisheit in alt­orien­ta­lischer Perspektive, genauer nach der Anwendbarkeit der biblisch begründeten Rede von »Weisheit« in Bezug auf nichtbib­lische Texte Gestalt. So differieren bereits die Anthologien hin­sichtlich der Frage, ob in ihnen überhaupt Gruppen von Texten als weisheitlich zusammengestellt bzw. welche Texte zur Weisheit gerechnet werden können.
Zur Bestimmung des intellektuellen und sozialen Ortes babylonischer Weisheitsliteratur hebt Paul-Alain Beaulieu mit seiner Untersuchung bei einem möglichen Äquivalent für das hebräische Wort המכח (sumerisch nam-kù-zu und akkadisch nēmequ) an und stellt in einem Gang durch unterschiedliche Gattungen und Epochen fest, dass eine intuitive Verortung von Weisheit als literarisch gefasste Regeln der Lebenskunst zu kurz greife. Stattdessen müsse man ebenso rituelle Vorschriften und vor allem auch das esoterische Wissen derer, die zwischen Göttern und Menschen zu vermitteln hatten, zur Weisheit rechnen.
Dieses weite, die Weisheitsliteratur überschreitende Weisheitskonzept wird auch im zweiten Beitrag thematisiert, wiewohl Karel van der Toorn den Fokus stärker auf den Bereich literarisch fixierter Weisheit legt. Indem er der Frage nachgeht, warum Weisheit zum Geheimnis wurde, beschreibt van der Toorn eine der Verbreitung der Schriftkultur geschuldete Veränderung der Weisheit von der mündlich weitergegebenen Lebensregel für jedermann zum geheimen, ›vorsintflutlichen‹ Wissen, an dem sich die schreibende Elite gebildet habe.
Zwei Vorträge von Victor Avigdor Hurowitz beschäftigen sich mit spezifischen babylonischen Weisheitstexten. Aus einer Anspielung des pessimistischen Dialogs auf den Šamaš-Hymnus schließt Hurowitz auf den hohen Wert und Bekanntheitsgrad des Hymnus und will ihn, da er innerhalb eines weisheitlichen Textes zitiert worden sei, selbst zum didaktisch ausgerichteten Korpus der Weisheitsliteratur rechnen.
In seinem zweiten Beitrag stellt Hurowitz einen schwierig zu erfassenden Text vor, in dem der Belehrung am Sterbebett des Vaters eine kontroverse Antwort des Sohnes folgt. Dass dadurch die überkommene Weisheit in dieser Schrift kritisiert werde, sieht Hurowitz als bemerkenswerten Sonderfall innerhalb der Weisheitsliteratur an, in dem die Argumentationsweise Kohelets bereits vorabgebildet worden sei.
Kohelet und der pessimistische Dialog werden im Beitrag von Edward L. Green­stein thematisiert. Beide untersucht er auf den in ihnen zu Tage tretenden Humor, der sich unter anderem in der kommentarlosen Zusammenstellung einander widersprechender Aussagen zeige. Die überkommene Weisheit werde durch diese Kontrastierungen zynisch relativiert. Allein der Humor gewähre den notwendigen Freiraum, diese Spannungen auszuhalten und zu benennen.
Das Motiv des Hausbaus von Frau Weisheit ist ein zentrales Motiv im Proverbienbuch. Auch in mesopotamischen Königsinschriften wie in weiteren biblischen Texten, etwa der Genesis, beobachtet Raymond C. Van Leeuwen in seinem Beitrag, dass das Motiv des »Bauens« in Bezug auf Kosmos, Tempel und Haus ein wesentliches Motiv der Weisheit sei. Er legt dar, dass der bauende Mensch göttliches Bauen nachahme. Auf diese Weise zeige sich in der Metapher des Baus und der Versorgung eines Hauses die göttliche Herkunft jeder Weisheit.
Allein auf die biblische Weisheit bezieht sich der Artikel von James L. Crenshaw. Er nähert sich der Essenz biblischer Weisheit als Lebenskunst an in der vergleichenden Lektüre von Aussagen über Anfang und Ende des Lebens sowie über die Notwendigkeiten der zwischen diesen sich ergebenden Lebenszeit.
Von der Esoterik als Bestandteil der babylonischen Weisheit bis zur Bestimmung des Lebensendes in biblischen Texten schlägt dieser Band zur Weisheit in Israel und im Alten Orient einen weiten Bo­gen. Die einzelnen Studien eröffnen neue Perspektiven für die Be­trachtung der biblischen Texte und Motive. Damit zeigen sie nachdrücklich, dass die mesopotamischen Weisheitstexte für die bib­lische Exegese nicht vernachlässigt werden dürfen. Gleichwohl wird an den noch weitgehend unverbundenen Einzelbeobachtungen deutlich, dass eine systematische Erfassung des Phänomens Weisheit im Alten Orient Forschungsdesiderat bleibt. Die Untersuchungen in diesem Band sind ein wichtiger Schritt in diese Richtung.