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Ausgabe:

Oktober/2008

Spalte:

1036–1038

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Schnabel, Jens

Titel/Untertitel:

Das Menschenbild der Esoterik.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2007. 496 S. 8°. Kart. EUR 39,90. ISBN 978-3-7887-2255-5.

Rezensent:

Daniel Cyranka

Dieses Buch ist Druckfassung einer Dissertationsschrift, die von Gottfried Küenzlen betreut und im Sommer 2006 von der Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität der Bundeswehr in München angenommen wurde. Das umfangreiche Werk ist in sechs Hauptabschnitte gegliedert. In der Einleitung (I.) wird u. a. die Frage aufgeworfen, warum sich wissenschaftliche Forschung und Lehre kaum mit Esoterik befassen. Drei mögliche Gründe werden benannt: Unklarheit in der Zuständigkeit der verschiedenen Wis senschaftsdisziplinen, Probleme mit der Abgrenzung des Forschungsgegenstandes und Vorbehalte, sich überhaupt mit einem oft als unseriös apostrophierten Phänomen zu beschäftigen. Aus diesem Grunde sei die wissenschaftliche Literatur zum Thema rar: »Die wenigen umfangreicheren Arbeiten, die bisher von Soziologen, Religionswissenschaftlern, Theologen und Journalisten vorgelegt wurden, verzichten in der Regel auf eine klare Trennung zwischen Darstellung und Analyse oder legen ihren Schwerpunkt auf die Kritik.« (14 f.) Schon angesichts der in den zugehörigen Fußnoten aufgeführten Literatur wird sich diese nicht weiter begründete, pauschale Einschätzung nicht belegen lassen (man vergleiche etwa die Arbeiten von Wouter Hanegraaff und Werner Thiede). An den mit Esoterikforschung befassten Lehrstühlen in Paris und Amsterdam, werde – so der Vf. – Esoterik »nur als ein Phänomen der gesamten westeuropäischen Geistesgeschichte analysiert« (15) und der Blick auf den »aktuellen Esoterikboom« (ebd.) komme zu kurz.
Offenbar aus diesem Grund geht die Arbeit auch nicht intensiver auf die interdisziplinäre Forschung zur europäischen (»westlichen«) Esoterik ein (vgl. zusammenfassend, 24). Das ist schade, denn auf diese Weise lässt sich die Brücke zwischen Esoterikforschung und theologischen Fragestellungen schwer schlagen. Die Frage, wie alt das gesuchte historische Phänomen ist, ist für ein esoterisches Selbstverständnis wie für die Generierung eines Forschungsgegenstandes aber entscheidend. Die hier vorgelegte Antwort lautet: »Esoterik, wie sie sich heute darstellt, kann ... auf eine maximal 125jährige Geschichte zurückblicken.« (38) Trotz dieses streitbaren historischen Urteils wird das Phänomen vom Vf. nicht historisiert und kontextualisiert, sondern – seiner Grundfrage entsprechend – systematisiert und damit essentialisiert: Es gibt in der heutigen deutschen (Religions)Kultur ein esoterisches Menschenbild, mit dem sich Theologie und Kirche zu beschäftigen haben. Be­ruhend auf dieser Grundentscheidung werden verschiedene Texte vorgestellt, analysiert und beurteilt. Die Darstellung der Sachverhalte folgt einer eigens entwickelten Systematik.
Im ersten inhaltlichen Kapitel geht es um »Klärung und Ab­grenzung der Grundbegriffe« (II). Behandelt werden die Begriffe »Esoterik« und »Menschenbild«. Dem Vf. geht es dabei nicht um eine Begriffsgeschichte, sondern – entsprechend seiner Positionierung in der Forschung – um den gegenwärtigen deutschen Sprachgebrauch. Dies entlastet die Arbeit von den neueren Debatten zum Esoterik-Begriff im Sinne des Forschungsgegenstandes. Der Vf. teilt den Diskurs in eine Außen- und eine Innenperspektive von Esoterik, die er jeweils u. a. mit Hilfe tabellarischer Übersichten zu veranschaulichen sucht. Dabei bleibt letztlich offen, ob »Esoterik« im Kontext dieser Untersuchung ein metasprachlicher Begriff der Forschung oder eine Selbstbezeichnung ist. Als Ergebnis wird festgehalten, dass Esoterik, aus beiden Perspektiven, »ein besonderes, traditionelle Erkenntnisquellen übersteigendes und subjektiv er­fahrbares Wissen« sei, »das den Menschen in sein eigenes Inneres führt und sich durch die Stichworte Einheit, Analogie, Entwick­lung und kosmisches Gesetz beschreiben lässt« (34 f.). Sowohl Esoteriker wie Esoterikforscher (gemäß der hier vorgenommenen Trennung in eine Außen- und eine Innenperspektive) setzten Esoterik immer wieder auch mit anderen Begriffen (Gnosis, Hermetik, Magie, Okkultismus, New Age/Wassermann-Zeitalter) gleich, was eigentlich nur für New Age zutreffen könnte, wenn dieser Begriff in Deutschland nicht auch schon wieder historisch wäre. Weitere Begriffe werden betrachtet, um Esoterik definieren zu können: »Ist Esoterik eine Religion, eine Form von Spiritualität, eine Weltanschauung, gehört Esoterik in den Bereich der Therapien oder handelt es sich bei ihr um ein Phänomen der Postmoderne?« (60) Die Entscheidung des Vf.s fällt zu Gunsten der Weltanschauung. Auf den Begriff Anthropologie verzichtet er zu Gunsten des Ausdrucks Menschenbild, da Anthropologie von verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen bereits besetzt sei (vgl. 71).
Der Vf. wählt dann in Kapitel III zwei Hauptvertreter (»Tiefendimension«) sowie sieben weitere Vertreter (»Breitendimension«) der Esoterik aus drei Gründen aus: Die Hauptvertreter Thorwald Dethlefsen und Hans-Dieter Leuenberger hätten 1. ein entsprechendes Selbstverständnis als Esoteriker, sie schrieben 2. viele vielzitierte Bücher, die sich 3. nicht nur mit philosophischen und theologischen Themen beschäftigten. Die sieben weiteren Autoren (Helena Pe­trowna Blavatsky, Peter Michel, George Trevelyan, Benjamin Creme, Rüdiger Dahlke, Bo­zenka Venediger und Louise L. Hay) werden ebenfalls mit drei Auswahlkriterien erhoben: 1. un­terschiedliche Be­reiche der Esoterik, 2.längere Präsenz auf dem Buchmarkt und 3. Berücksichtigung von Frauen (vgl. aber die Be­merkungen zur le­bensweltlichen Kontextualisierung von Lehren, 302 f.). Die Darstellung dieser insgesamt neun Autorinnen und Autoren der Vergangenheit und Ge­genwart bzw. ihrer Aussagen zum Menschen erfolgt jeweils in einer Art Synopse, die verschiedene vom Vf. erhobene Aspekte in den zu Grunde gelegten Texten zusammenfasst. Dieser Quervergleich einzelner Aussagen ergibt so etwas wie ein Gesamtbild, das in zwölf Thesen gebündelt wird (295–300). Mit diesen Thesen werde der erhobene Befund vereinfacht: bestimmte Grundaussagen fänden sich immer wieder und – so der zweite benannte Grund – die vorgenommene »theologisch-systematische Reflexion des esoterischen Menschenbildes bedarf einer klar umrissenen Ausgangsbasis« (295).
Die vierfach untergliederten zwölf Thesen werden in Kapitel IV aufgegriffen. Sie sind gewissermaßen der Kern der Arbeit, den der Vf. im Folgenden, in unterschiedlicher Weise kommentierend, betrachtet. Dabei geht es ihm um geistesgeschichtliche Hintergründe, um kritische Anfragen sowie teilweise um »Gegenentwürfe aus theologischer Perspektive« (302).
In Kapitel V benennt der Vf. Gründe für Genese und Aktualität des dargestellten esoterischen Menschenbildes, um dieses erfragte esoterische Menschenbild »als Gesamtphänomen« (411) in den Blick zu bekommen. Elf mögliche Begründungszusammenhänge werden angeboten, von denen der letzte eine für Theologie und Kirche entscheidende Frage berührt, denn hier werden Esoterik und Defizite der christlichen Kirchen in einen Zusammenhang gebracht. Ob sich ein esoterisches Menschenbild in der hier zusammengefassten Form im Einzelnen findet oder nicht, die benannten vernachlässigten Aspekte sollten in Kirche und Theologie in Erinnerung gerufen werden: »Die blasse Hoffnung angesichts des Todes, die Wunderfrage, vernachlässigte Spiritualität, die Verbindung von Glaube und Leben, Krankheit und Heilung, vernachlässigte Leiblichkeit und Hierarchie statt Beteiligung« (443). Im letzten und kürzesten Kapitel (VI) werden diese Aspekte im Sinne der »Wiederentdeckung der eigenen Tradition« (460 ff.) noch einmal benannt und als eine Herausforderung für das Christentum bezeichnet.
Nach den eingangs erwähnten Kriterien werden in diesem Buch verschiedene Autoren bzw. Texte der Esoterik zugerechnet und im Hinblick auf die Frage nach dem Menschenbild zusammenfassend dargestellt. Das derart konstruierte esoterische Menschenbild wird klar abgelehnt. Mit Verweis auf Martin Luther heißt es: »Der Kern der Botschaft des esoterischen Menschenbildes kann ... von Theologie und Kirche nur als Sünde bezeichnet werden. Während das Christentum die Nicht-Herstellbarkeit des Heils durch den Menschen betont, bietet die Esoterik eine Technisierung von Heil ... und macht damit das Heil dem Menschen verfügbar. Krasser könnte der Gegensatz nicht sein.« (455) Abschließend sei noch einmal auf die Einleitung verwiesen, in der der Vf. festhält: »Dabei geht die vorliegende Arbeit davon aus, dass hinter all den Erscheinungen und Strömungen, die zur Zeit als esoterisch bezeichnet werden, eine gemeinsame Weltanschauung zu finden ist.« (13) Die Gegenposition, wie sie z. B. Christoph Bochinger bereits 1994 vertrat, wird ebenfalls zitiert: dem »Zwang zur Häresie« (Peter L. Berger) auf der einen entspreche ein »Zwang zur Vereinheitlichung« auf der an­deren Seite (vgl. ebd.). Dem ist mit diesem Ansatz schwer zu ent­gehen.