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Ausgabe:

Oktober/2008

Spalte:

1033–1036

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Hamar, Imre [Ed.]

Titel/Untertitel:

Reflecting Mirrors. Perspectives on Huayan Buddhism.

Verlag:

Wiesbaden: Harrassowitz 2007. XXII, 410 S. gr.8° = Asiatische Forschungen, 151. Geb. EUR 74,00. ISBN 978-3-447-05509-3.

Rezensent:

Max Deeg

Der zu besprechende Sammelband, herausgegeben von dem ungarischen Sinologen und Buddhologen Imre Hamar (Eötvös Loránd University, Budapest) ist aus einer Konferenz zum Huayan-Bud­dhismus im Mai des Jahres 2004 in Budapest hervorgegangen.
Zunächst einmal ist generell festzustellen, dass das allgemeine Interesse am ostasiatischen Buddhismus in Europa trotz – oder vielleicht auch gerade wegen – der Zen-Begeisterung der 80er und 90er Jahre hinter der allgemein hohen Wahrnehmung des Bud­dhismus zurücksteht und seit den 90er Jahren von einer Tibet-Begeisterung eingeholt worden ist. Nicht zuletzt dieser Umstand ist sicherlich dafür verantwortlich, daß den verschiedenen Strömungen, Ausprägungen und Denominationen des ostasiatischen Buddhismus – in China, Korea und Japan – im europäischen Kontext von den zuständigen philologischen Einzeldisziplinen (Sinologie, Koreanistik/Koreanologie, Japanologie) eine schon allein durch die zur Verfügung stehende »manpower« bedingte bescheidene Forschungsaktivität gewidmet ist. Und in diesem Kontext kommt dem zu besprechenden Sammelband sicher in mehrerer Hinsicht eine besondere Bedeutung zu: zum einen beleuchtet er eine der ge­nannten buddhistischen »Schulen« aus mehreren – philologischen, textgeschichtlichen, kulturgeschichtlichen, philosophischen, reli gionsgeschichtlichen, wirkungs- und rezeptionsgeschichtlichen und kunsthistorischen – Perspektiven, durchbricht mit einem pan-ostasiatischen Ansatz die Beschränkung auf ein ostasiatisches Land (China, Japan oder Korea) und bringt zum anderen ostasia­tische und westliche Forschung in einen notwendigen Diskurs.
Obgleich der Huayan-Buddhismus, außer für eine gewisse Zeit im frühen Nara-Buddhismus in Japan, niemals in der gleichen Form eine Institutionalisierung erfahren hat wie etwa Chan (Zen) in Ostasien allgemein oder Tendai in Japan, hat diese Strömung des Buddhismus in der ostasiatischen Geistesgeschichte dennoch, wie dieser Band denn auch deutlich macht, einen enormen Einfluss gehabt. Hervorragende Denker des chinesischen Bud­dhis­mus wie Du Shun (557–640), Zhiyan (602–668), Fazang (643–712), Chengguan (738–839) und Zongmi (780–841) werden traditionell als Patriarchen des Huayan bezeichnet. Die Vorstellung, dass alle phänomenalen Erscheinungen miteinander in Beziehung stehen und sich gegenseitig vollständig durchdringen (chin. yuanrong), führen Ansätze indischer Mahāyāna-Philosophie wie Nāgārjunas Madhyamaka oder Yogācāra/Vijñānavāda in ostasiatische Denksysteme über den Neokonfuzianismus bis hin zur neuzeitlichen philosophischen Kyōto-Schule ein.
Dieses Buch zum Huayan-Buddhismus ist in fünf Ka­pitel eingeteilt und wird nach einer Einführung eingeleitet von vier forschungsgeschichtlich-bibliographischen Skizzen zur westlichen, japanischen, chinesischen und koreanischen Huayan-Forschung, die einen hervorragenden Überblick über die in den verschiedenen relevanten Sprachen geleistetet Forschung bieten, wo­bei die Präsentationsform der japanischen Forschung von Ki­mura Kiyotaka (19–46) etwa im Vergleich mit der ausgezeichnet strukturierten und problemorientierten Vorstellung der Huayan-Forschung in westli­chen Sprachen durch Jörg Plassen (1–18) etwas informationsblass und streckenweise etwas »sektarisch« wirkt .
In den folgenden drei Kapiteln werden in 14 Beiträgen die Entwick­lungs­ge­schichte des dem Huayan-Buddhismus zu Grunde liegenden Textes, des in seiner voll entfalteten Form äußerst um­fangreichen Avataṃsakasūtra, chin. Huayan-jing, die geistesgeschichtliche Entwicklung der Huayan-Schule in China und ihre Wirkung vor allem auf die Chan-Schule und einige geistesgeschichtliche Aspekte des Huayan (kor. Hwaŏm, jap. Kegon) in Korea und Japan dar- und vorgestellt.
Die drei Beiträge des ersten Kapitels sind der Text- und Übersetzungsgeschichte des der Huayan-Schule ihren Namen gebenden Textes, des Buddhāvataṃsakasūtra (Chin. Huayan-jing) gewidmet. Ōtake Susumu argumentiert auf der Grundlage der erhaltenen Quellen in Sanskrit, Chinesisch und Tibetisch für Avataṃsaka im Sinne eines Wunders, bei dem der Buddha unzählige Bud­dhas und diese wiederum ebenfalls unzählige Buddhas emanieren, und zeichnet nach, wie aus verschiedenen »Proto-«texten schließlich das »große« Huayan-jing, erhalten in zwei chinesischen Übersetzungen von Buddhab­hadra (übersetzt 418–420) und Śikṣānanda (über­setzt 695–699) und einer tibetischen Übersetzung (Ende des 9. Jh.s), entstanden ist. Jan Nattier rekonstruiert die frühe Textgeschichte anhand einer detaillierten philologischen Un­ter­suchung der beiden in frühen chinesischen Übersetzungenen aus dem zweiten und dem dritten nachchristlichen Jahrhunderten erhaltenen Sūtras, die eine direkte inhaltliche Entsprechung in Teilen des späteren Huayan-jing haben, während Imre Hamar einen Überblick über die Entwicklungsgeschichte des komplexen Sūtras gibt.
Im nächsten Kapitel zum Huayan in China sucht Aramaki Noritoshi die frühe Geschichte des Huayan bis vor Buddhabhadra zu­rückzuverfolgen, deren Praxis er in einer spezifischen Huayan-Versenkung und deren äußeren Ausdruck er in der Entwicklung der kolossalen Statuen des mit Huayan verbundenen Buddha Vairocana sieht. Die beiden folgenden Beiträge von Wei Daoru und Imre Hamar setzen sich mit der doktrinären Grundkonzeption des Hua­yan, der »vollständigen Durchdrungenheit« aller Phänomene, auseinander. Ki­mura Kiyotaka und Jana Benická zeigen die doktrinären Einflüsse des Huayan vor allem hinsichtlich der Frage um eine subitive (dunwu) oder graduelle Erleuchtung (jianwu) auf den Chan-Buddhismus auf, während Huang Yi-Hsun sich mit dem Einfluss des Huayan auf den Chan und Reines-Land-Synkretisten Yongming Yanshou (904–975) auseinandersetzt.
Die beiden ersten Beiträge des darauffolgenden Kapitels sind dem Huayan/ Kor. Hwaŏm in Korea gewidmet. Jörg Plassen und Charles Muller setzen sich mit dem Denken, Einfluss und Wirken der koreanischen Hwaŏm-Protagonis­ten Ŭisang (625–702), einem Schüler des Huayan-Patriarchen Zhiyan (602–668), und Wŏnhyo (617–689) auseinander. Bernard Faure beleuchtet den eher vernachlässigten Bereich der mythologischen Repräsentanz des Huayan (Jap. Ke­gon) in Ostasien. Frédéric Girard zeigt den Einfluss des Kegon auf den Bud­dhismus der Kamakura-Periode (1185–1333) in Japan in einer Zeit auf, in der das institutionalisierte Kegon der Nara-Periode (710–794) bereits seine Wirkkraft verloren hatte. Ishii Kōsei schließlich zeigt in seinem Artikel die Einbindung von Kegon-Ideen bei einigen buddhistischen Denkern in der Herausbildung und Legitimation des japanischen nationalen Imperialismus von der Meiji-Zeit bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges auf.
Das Buch schließt mit einem Beitrag von Dorothy Wong zum visuellen Aspekt des Huayan, einem Überblick über die von Konzepten und Motiven des Huayan-jing beeinflusste buddhistische Malerei Ostasiens. Sie zeigt unter Heranziehung von mittelalterlichen tibetischen künstlerischen Repräsentationen (Kloster Tabo im Westhimālaya) den Zusammenhang mit rituellen Programmen auf, die offenbar und vor allem in Dunhuang attestiert mit dem Grundtext, dem Buddhāvataṃsaka/Gaṇḍavyūha, verbunden waren.
Der Band kann in seiner Konzeption und seinem Inhalt als vorbildlich bezeichnet werden. Die Breite, in der die verschiedenen Aspekte eines buddhistischen Denksystems hier präsentiert werden, lässt inhaltlich kaum etwas zu wünschen übrig. Dies gleicht die qualitativen Ungleichheiten der verschiedenen Beiträge durchaus aus. Der vorliegende Band mag somit jedem am Buddhismus, vor allem in seiner ostasiatischen Form Interessierten empfohlen sein, und sei es nur, um einer einseitigen Wahrnehmung des Bud­dhismus in seiner indischen »authentischen« Form des Therav āda, des Zen-Buddhismus oder des tantrischen Buddhismus in seiner tibetischen »mainstream«-Gegenwart eine – um in der Metaphorik des Huayan zu bleiben – facettenreich gespiegelte Ergänzung ge­gen­überzustellen. Er mag vor allem einem am Bud­dhis­mus interessierten theologischen Leser einen Zugang zur Vielfalt der histo­rischen Erscheinungsformen des Buddhismus verdeutlichen und zugänglich zu machen. Es bleibt zu hoffen, dass dem interessierten Leser in Zukunft ähnliche komplex gewobene »Netze des Indra« aus anderen Bereichen der ostasiatischen buddhistischen Traditionen, wie etwa zum Tiantai/Tendai, zum esoterischen Buddhismus (chin. Mizong, Jap. Mikkyō) oder zur Vinaya-Schule (Lüzong/Ritsuzō) vorgelegt werden.