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Ausgabe:

September/2008

Spalte:

1008–1010

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Friedrich, Martin, Luibl, Hans Jürgen, u. Christine-Ruth Müller [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Theologie für Europa. Perspektiven evangelischer Kirchen. Theology for Europe. Perspectives of Protestant Churches. Im Auftrag des Exekutivausschusses für die Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa – Leuenberger Kirchengemeinschaft. Mandated by the Executive Committee of the Community of Protestant Churches in Europe – Leuenberg Church Fellowship.

Verlag:

Frankfurt a. M.: Lembeck 2006. 383 S. 8°. Kart. EUR 16,00. ISBN 978-3-87476-490-2.

Rezensent:

Friedrich Schweitzer

Der Band ist aus der Arbeit der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) entstanden. Er ist dem scheidenden Sek­retär der GEKE, Präsident Wilhelm Hüffmeier gewidmet, der das Berliner Sekretariat der GEKE fast zwei Jahrzehnte lang geleitet hat.
Das Thema des Bandes gewinnt seine Bedeutung für die Herausgeber aus dem Zusammenwachsen Europas: Den reformatorischen Kirchen dieses Kontinents ist mit der ›Leuenberger Konkordie‹ die Aufmerksamkeit für das Zusammenwachsen der Kirchen in Europa mit auf den Weg gegeben – heißt sie doch »Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa« (9). Die Herausgeber sind überzeugt, dass die »bewährten Arbeitsformen der gottesdienstlichen, theologischen und geistlichen Kommunikation über Kirchen- und Ländergrenzen hinweg … mittelfristig des Ausbaus und der Verstärkung durch eine den heutigen Anforderungen gemäße Arbeits- und Organisationsstruktur« bedürfen. Die GEKE soll »als profi­liertes evangelisches Forum in Europa und für Europa erkennbar« werden (10). Diesem international-europäischen Anliegen entspricht das Buch auch dadurch, dass sämtliche Beiträge sowohl in deutscher als auch in englischer Fassung präsentiert werden.
Neben Vorwort und Einführung umfasst der Band drei Abteilungen: »Allgemeine Beiträge« (30 ff.), »Regionale Beiträge« (92 ff.), »Thematische Beiträge« (291 ff.).
Im ersten Teil werden in drei Beiträgen (Martin Friedrich, Rudolf von Thadden, Elisabeth Parmentier) theologische Perspektiven auf Europa entwickelt. Dabei geht es zunächst um eine Art Spurensuche, denn die »evangelische Theologie« habe »lange Zeit kaum explizit über das Thema Europa reflektiert« (30). Immerhin lässt sich mit Comenius schon für das 17. Jh. ein ernsthafter Beginn des theologischen Nachdenkens über »Europa als Friedensraum« feststellen und lassen sich seither immer wieder bemerkenswerte, allerdings vereinzelt bleibende Anstöße namhaft machen (32). Die Forderungen in diesem Teil des Buches beziehen sich im Übrigen auf den möglichen Beitrag des Protestantismus zu Europa und zum europäischen Vereinigungsprozess in der Gegenwart, etwa im Umgang mit Religion und dem Begriff »religiös« oder der Laizität, wie R. von Thadden fordert (53 f.), oder durch die Bereitstellung von Modellen möglicher Einheit, wie E. Parmentier es beschreibt: »Die evangelische positive Einschätzung der ›Einheit in Vielfalt‹ kann als Vorbild für eine föderale Organisation Europas gelten« (74). Insgesamt bestätigt sich in diesem ersten Teil die bereits in der Einleitung formulierte Einschätzung, es handele sich hier um »ein eher unbeackertes Feld der Theologie« (21), in dem sich noch kaum definitive Konturen einer entsprechenden Lehr- oder Theoriebildung ausmachen lassen.
Von besonderem inhaltlichen Interesse sind die regionalen Beiträge des zweiten Teiles. Die einzelnen Texte kommen aus Groß­britannien, Estland, dem slawischen Protestantismus, Ungarn, Ita­lien, dem französischsprachigen Protestantismus, den Beneluxländern sowie dem deutschsprachigen Protestantismus. Die Dar­stellungen sind so gehalten, dass jeweils über die entsprechenden Kontexte, einschließlich der historischen Voraussetzungen, zu­mindest in knapper Form informiert wird und die entsprechenden theologischen Entwicklungen im Blick auf Europa auf diese Weise gut verständlich gemacht werden. Auch wenn auf die Ausführungen im Einzelnen hier nur in allgemeiner Form verwiesen werden kann, sei doch gesagt, dass hier von einer gelungenen Form der Kontextualisierung von Theologie gesprochen werden darf.
Der dritte Teil des Bandes verfolgt zwei unterschiedliche Intentionen: Zum einen wird über das »Studium der evangelischen Theologie in Europa« informiert (Michael Beintker) sowie über die »Religionsgesetzgebung in der EU« (Heinrich de Wall) – in beiden Fällen handelt es sich um höchst informative Darstellungen zu insgesamt noch viel zu wenig behandelten Fragen (insbesondere den staatskirchenrechtlichen Regelungen kommt eine im Blick auf die europäische Entwicklung häufig unterschätzte Bedeutung zu). Zum anderen kommen nun römisch-katholische Perspektiven (Burkard Neumann) sowie orthodoxe Perspektiven (Viorel Ionita) zum Zuge – als wichtige, im Blick auf den europäischen Zusam­menhang unverzichtbare ökumenische Ergänzung und Erweiterung der evangelischen Diskussion. Die sehr weitreichenden An­fragen und Rückfragen, die in beiden Fällen an das evangelische Verständnis gestellt werden, machen noch einmal exem­pla­risch deutlich, wie viele Aufgaben hier noch auf die Theologie warten.
Insgesamt kann den Herausgebern attestiert werden, dass es ihnen gelungen ist, einen impulsreichen und informativen Band zu­sammenzustellen, der allen eine Hilfe sein wird, die sich für Europa in theologischer Perspektive und für Theologie in europä­ischer Perspektive interessieren. Allerdings handelt es sich im Blick auf den bislang erreichten Diskussionsstand, wie er sich in diesem Band abbildet, bestenfalls um ein Dokument auf dem Wege. Denn auch nach der Lektüre des Buches weiß man nicht so recht, wie die (Titel-)Frage nach »Theologie für Europa« aus evangelischer Perspektive denn nun beantwortet werden soll. Immerhin: Zahlreiche Fragen liegen auf dem Tisch und es kann den Herausgebern nur zugestimmt werden, dass weitere Arbeit hier besonders dringlich und wünschenswert wäre.