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Ausgabe:

September/2008

Spalte:

1004–1006

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Ziegler, Tobias

Titel/Untertitel:

Jesus als »unnahbarer Übermensch« oder »bester Freund«? Elementare Zugänge Jugendlicher zur Chris­tologie als Herausforderung für Religionspädagogik und Theologie.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2006. XIV, 580 S. 8°. Kart. EUR 39,90. ISBN 978-3-7887-2161-9.

Rezensent:

Christoph Gramzow

Tobias Ziegler legt mit diesem Buch seine 2005 in Tübingen angenommene Dissertation vor. Zentrale Analyseperspektive seiner Untersuchung ist der maßgeblich von Karl-Ernst Nipkow und dem Doktorvater Friedrich Schweitzer entwickelte religionsdidaktische Ansatz der Elementarisierung. Mit den im Untertitel ausgewiesenen »elementare[n] Zugänge[n] Jugendlicher«, die bereits eine der vier Dimensionen des Elementarisierungsansatzes aufgreifen, hat Z. Zugänge von Jugendlichen zur Christologie ebenso im Blick wie Zugänge für Jugendliche zur Christologie. Der Zugang zur Christologie muss aber aus Sicht Z.s (in Anlehnung an H. Dembrowski) auch insofern ein doppelter sein, als neben den »historisch-kritischen Rückgang« auf die Quellen der christlichen Glaubensgemeinschaft auch die empirische Forschung als Zugang zur Christologie der Gegenwart zu treten hat. Diese gegenwärtig anzutreffende Christologie für eine bestimmte, religionspädagogisch in besonderer Weise relevante Personengruppe zu eruieren und die dabei gewonnenen Erkenntnisse im Sinne einer elementaren, d. h. subjektbezogenen Theologie didaktisch fruchtbar zu machen, ist das Hauptanliegen der Arbeit.
Unter Bezugnahme auf die vorgestellte Forschungslage skizziert Z. die entwicklungspsychologisch wichtigsten Veränderungen der elementaren Zugänge zur Christologie von der Kindheit bis zum Jugendalter mit Hilfe eines »Drei-Phasen-Modells« (156) und anhand von drei christologisch zentralen Fragestellungen, die auch für die eigene Untersuchung von grundlegender Bedeutung sind. Dabei handelt es sich um die Frage der Identität Jesu und seiner Relation zu Gott, um das Problem der soteriologischen Bedeutung Jesu zwischen Wundertäter und Erlöser sowie um die individuelle Klärung des Verhältnisses zwischen historischem Jesus und präsentischem Christus. So verliere beispielsweise die Sicht Jesu als Sohn Gottes ab dem 14. Lebensjahr deutlich an Plausibilität, da die evozierte Göttlichkeit Jesu für die Jugendlichen immer schwerer mit dem Versuch, Jesus als Mensch zu verstehen, zu vereinbaren sei.
Ziel, Referenzgruppe und methodisches Vorgehen der Untersuchung umreißt Z. einleitend im als »Kern der Arbeit« bezeichneten Teil B folgendermaßen: »Ziel ist es, durch einen mehrperspektivischen qualitativen Ansatz einen möglichst umfassenden Einblick in die elementaren Zugangsweisen 16–17-jähriger Jugendlicher zur Christologie zu erhalten.« (169) Wenn Z. von »mehrperspektivisch« spricht, so bezieht sich dies sowohl auf die beiden unterschiedlichen Erhebungsmethoden – offene schriftliche Befragung und Gruppendiskussion – als auch auf die Auswertungsmethodik in Gestalt von rekonstruktiv-hermeneutischer Interpretation, In­halts­analyse und dokumentarischer Interpretation. »Mehrperspektivisch« meint aber auch die Deutung der Befunde durch den Rekurs auf verschiedene entwicklungspsychologische Theorien, wobei in der Ausführung der Ansatz Fowlers klar dominiert. Leitend bei Anlage und Auswertung der Untersuchung wie bei der Darstellung ihrer Ergebnisse ist jedoch der Elementarisierungsansatz mit seinen vier Dimensionen der elementaren Strukturen, Erfahrungen, Wahrheiten und Zugänge. Zusätzlich richtet Z. sein Augenmerk auf zwei Einflussfaktoren, die in bisherigen Untersuchungen zur Christologie vernachlässigt wurden, nämlich die individuelle Lebensgeschichte und die Geschlechtszugehörigkeit.
Das Sample der schriftlichen Befragung umfasst 386 Jugendliche der 11. Klassen an 25 Gymnasien in verschiedenen Regionen Baden-Württembergs. Ohne Anspruch auf Repräsentativität zu erheben, bemüht sich die Untersuchung um eine angemessene Berücksichtigung der örtlichen Landeskirchen wie der drei unterschiedlichen »Raumkategorien« Großstädte, Regionalzentren und ländlicher Raum. Zur Datenerhebung erhielten die Schüler ein Aufgabenblatt (»Was ich von Jesus denke ...«), das fünf offene Fragen zu Jesus Christus und seiner Bedeutung für die eigene Person aufweist und das sie aufsatzartig bearbeiten sollten. Anliegen der nach einer ersten Auswertung von schriftlichen Daten durchgeführten Gruppendiskussion ist die Frage, wie sich der Diskurs über christologische Wahrheitsfragen gestaltet und welche Erfahrungshintergründe (religiöse Sozialisationserfahrungen) sich in ihr manifestieren. Von sechs Gruppendiskussionen mit jeweils fünf bis sieben Jugendlichen stellt der Band im Bemühen um Kontrastierung drei Diskussionen ausführlich vor.
Als Ergebnis der rekonstruktiv-hermeneutischen Interpretation der schriftlichen Äußerungen leitet Z. anhand der Positionierung zur Frage »Was bedeutet Jesus für dich?« und der (Nicht-) Äußerung von Fragen, Zweifel und Kritik als Ausdruck von elementarer Betroffenheit fünf Grundhaltungen ab, die die Unterschiede in den positionellen Zugangsweisen zum Thema »Jesus Christus« erfassen sollen (210). Diese reichen von einer »kritiklos indifferenten Haltung« ohne persönliche Stellungnahme über eine »kritisch-ablehnende Haltung« bis hin zur »kritiklos-zustimmenden Haltung«, die traditionelle Aussagen über Jesus ohne Abstriche akzeptiert und vertritt. Anhand von 21 Einzelfällen werden das Vorgehen für den Leser nachvollziehbar und die Haltungen zugleich anschaulich gemacht. Hinsichtlich der Ges­chlechter zeigt sich bei Mädchen – abgesehen vom ländlichen Raum – eine größere Aufgeschlossenheit gegenüber dem Glauben an Jesus Christus. Dagegen ließ sich unter den baden-württembergischen Gymnasiasten keine Mehrheit für eine bestimmte positionelle Einstellung zum Thema »Jesus Christus« finden, was Z. mit den unter Jugendlichen begegnenden unterschiedlichen Stufen der religiösen Entwicklung und der individuellen Vielfalt lebensgeschichtlicher Bezüge erklärt. Bereits bei einer mittleren Klassengröße seien unter den Schülern alle fünf Grundhaltungen anzutreffen.
Während die »Inhaltsanalytische Auswertung des gesamten Samples« (VI) auf mehr als 100 Seiten die Dimensionen der Ele­mentarisierung detailliert, zitatreich und ermüdend durchbuchstabiert, finden sich in der ausgezeichnet dokumentierten und reflektierten Darstellung der Gruppendiskussionen immer wieder erfrischende Beispiele intensiver Gespräche auf hohem theologischen Niveau und von eindrucksvoller Originalität – nicht zuletzt eine Folge der erstaunlichen »christologischen Heterogenität« un­ter den Schülern. Nachdenklich stimmen die Befunde der Untersuchung insofern, als sowohl in der schriftlichen Befragung als auch in den Gruppendiskussionen die für ein christlich-christologisches Bekenntnis zentralen Eckpunkte des Kreuzes und der Auferstehung Jesu, aber auch Begriffe der Verkündigung Jesu wie »Evangelium« und »Reich Gottes« unter den Jugendlichen nur eine periphere Rolle spielen (495).
In einer zusammenfassenden Reflexion der Untersuchungsergebnisse formuliert Z. drei nachvollziehbare religionspädagogische Herausforderungen. Zum einen gehe es um die Erschließung eines Verständnisses des Menschen Jesus sowie des Glaubens an ihn, das die menschliche Autonomie wahrt, ohne ihren Grund in Gott zu ignorieren. Des Weiteren sei die Bedeutung einer glaubwürdigen Frömmigkeitspraxis signifikanter Anderer im Jugendalter für den Zugang zum Glauben an Jesus Christus fruchtbar zu machen, jedoch sei diese nicht unkritisch zu übernehmen. Drittens müssten die Möglichkeiten und Gefahren einer Subjektivierung des Glaubens an Jesus erörtert werden. Den Weg, diesen Herausforderungen gerecht zu werden, sieht Z. in einer »Elementaren Chris­tologie für und mit Jugendlichen«, die sich als dialogisches Ge­spräch mit den jeweiligen Adressaten vollzieht. Im Zentrum stehe dabei »das Bemühen, ausgehend von divergierenden Wahrnehmungen christologischer Sachverhalte unter den Jugendlichen selbst, diese zu einer kreativen (Re-)Lektüre bzw. eigenständigen Auslegung zentraler biblischer Texte und Symbole zu motivieren und anzuleiten, um so die Möglichkeit zu elementaren christologischen Einsichten zu eröffnen« (552).
Das Werk zeichnet sich durch einen beeindruckenden Kenntnisstand bezüglich der theologischen und religionspädagogischen Diskussion zur Christologie aus. Auch das methodische Vorgehen macht Z. ausführlich und in verständlicher Weise transparent, wozu nicht zuletzt die Erläuterung bestimmter Arbeitsschritte an Beispielen maßgeblich beiträgt. All dies hat freilich auch seinen Preis: Wissenschaftliche Gründlichkeit, Datenfülle und fortwährende Reflexion erschweren trotz guter sprachlich-stilistischer Qualität eine zügige Lektüre. Bleibt die Frage, wie die gewonnenen Erkenntnisse angesichts des Niveaus und des Umfangs der Darstellung in prägnanter Form die eigentliche Zielgruppe, nämlich die Lehrenden selbst, erreichen können.