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Ausgabe:

September/2008

Spalte:

1000–1001

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Leimgruber, Stephan

Titel/Untertitel:

Interreligiöses Lernen. Neuausgabe.

Verlag:

München: Kösel 2007. 351 S. gr.8°. Kart. EUR 19,95. ISBN 978-3-466-36748-1.

Rezensent:

Gottfried Adam

Auf der inneren Titelseite findet sich der Zusatz »Neuausgabe«. Vor zwölf Jahren war dieses Buch erstmals erschienen. Es war bereits damals eine Veröffentlichung, die Perspektiven eröffnete. Und in der Tat ist dies in dieser Fassung in noch weit höherem Maße der Fall. Insofern wird diese Veröffentlichung zu Recht als Neuausgabe bezeichnet. Zugleich macht sie deutlich, dass das interreligiöse Lernen so einfach, wie viele Zeitgenossen sich das wünschen und vorstellen, in keiner Weise zu haben ist.
Das Hauptanliegen der ersten Auflage ist erhalten geblieben, interreligiöses Lernen im Zeichen der Begegnung und des Dialogs zu gestalten. »Doch sind in dieser zweiten Auflage die Lernmöglichkeiten und die Lernfelder spürbar erweitert worden, was auch eine Vertiefung der religionswissenschaftlichen Kenntnisse gefordert hat. Mit Dietrich Benner gilt es, religiöse Kompetenz zu vermitteln, wozu a) religiöses Erfahrungswissen, b) religionskund­liche Grundkenntnisse, c) hermeneutische Fähigkeiten und d) Partiziptionserfahrungen nötig sind.« (15)
Das Werk des Münchner Religionspädagogen beginnt mit einer Einführung, der sich fünf Kapitel anschließen, und endet mit einem Ausblick und Anhang. In der Einführung werden zu­nächst die Be­griffe Interkulturelles Lernen, Interreligiöses Lernen und Didaktik der Weltreligionen in einem ersten Zugriff erläutert. Im ersten Kapitel werden die gesellschaftlichen Veränderungen (Globalisierung, Migration, Einstellungsänderungen bei Schülern und Schülerinnen usw.), aber auch die neuen Stellungnahmen der Kirchen zu den Religionen dargestellt. In Kapitel 2 werden die Bemühungen um eine Didaktik der Weltreligionen aufgezeigt, in interreligiösen Standards und Kompetenzen zusam­mengeführt und in Begegnungslernen als »Königsweg« interreligiösen Lernens profiliert.
Die folgenden drei Kapitel gelten den drei großen Bereichen interreligiösen Lernens: Lernprozess Christen – Juden (Kapitel 3), Lernprozess Christen – Muslime (Kapitel 4) und Lernprozess Chris­tentum – fernöstliche Religionen (Kapitel 5). Am knappsten wird der letztgenannte Bereich des interreligiösen und interkulturellen Lernens zwischen Christen und Angehörigen fernöstlicher Religionen, insbesondere Hindus und Buddhisten, behandelt. Auffällig ist dabei, dass die Distanz der fernöstlichen religiösen Kulturen zum abendländischen Christentum größer ist als zwischen den kul­turellen Voraussetzungen der »abrahamitischen Religionen« (vgl. 292). Auch ist die vor zwei Jahrzehnten erwartete größere Hinwendung zu den fernöstlichen Religionen nicht eingetreten.
Der Lernprozess zwischen Christen und Juden wird in größerer Ausführlichkeit erörtert (Kapitel 3). In behutsamer Weise werden Verlauf und Ertrag aller einschlägigen Dialog-Bemühungen ge­sichtet und dargestellt. Dabei wird auch auf die bemerkenswerte, erste repräsentative Antwort aus dem Judentum aufmerksam ge­macht, die im Jahr 2000 unter dem Namen »Dabru Emet« veröffentlicht wurde. Sie zeichnet sich durch einen versöhnlichen Grundton und die Bereitschaft aus, für den jüdisch-christlichen Dialog offen zu sein (130 f.).
Kapitel 4 ist als umfangreichstes Kapitel dem gegenwärtig brisantesten Thema, dem interreligiösen und interkulturellen Lernen zwischen Christen und Muslimen, gewidmet. Betont wird dabei die Notwendigkeit eines schülerorientierten Dialogs und der Be­gegnung, aber auch die Vermittlung religionswissenschaftlichen Grundwissens. Dabei werden neuere interreligiöse Zu­gangsweisen (wie die Arbeit mit Biographien, die Sakralraumpädagogik mit dem Besuch von Moscheen) einbezogen. Interessant sind auch die Suche nach christlichen Entsprechungen zu den fünf Säulen des Islams und die Bearbeitung der genderspezifischen Wahrnehmungen. Die Ausführungen werden konkretisiert in einer Unterrichtssequenz »Christen-Muslime« für die 7. Klasse sowie »abrahamitische Religionen« für die Sekundarstufe II. Ein Ausblick (Kapitel 6) bündelt noch einmal wichtige Einsichten. In einem Anhang (Kapitel 7) werden Literaturhinweise, Unterrichtshilfen sowie Begriffe zu Bibel- und Koranstellen sowie Personen und Sachen geboten.
Die Veröffentlichung ist übersichtlich aufgebaut, sie liest sich gut und führt auf hohem Niveau in einen momentan von großer Aktualität gekennzeichneten Bereich der Religionspädagogik ein. Es besteht kein Zweifel, dass »Interreligiöses Lernen« zu einer an­spruchsvollen Bildungsaufgabe geworden ist, die für das Zu­sam­menleben in unserer Gesellschaft eine wichtige Funktion wahrnimmt. Dabei ist es gewiss so, dass Begegnungen mit Menschen anderer Religionen und Kulturen für den persönlichen Glauben eine gewinnbringende Erfahrung darstellen. Dies setzt freilich die Fähigkeit zur beiderseitigen konstruktiven Toleranz voraus, die Respekt vor dem Anderen und Wertschätzung der eigenen Position miteinander zu verbinden vermag.
Doch zugleich und zuvor darf man nicht übersehen, dass es eben auch um den Beitrag zum gesellschaftlichen Frieden, das friedvolle Miteinanderleben in der Gesellschaft geht. Und dies ist eine gesellschaftspolitische Aufgabenstellung von hoher Dringlichkeit. Ich möchte diesen Aspekt deutlich unterstreichen, seine Dringlichkeit vielleicht sogar stärker herausstellen, als dies in der Veröffentlichung der Fall ist. Diese Aufgabenstellung klingt an, wenn davon gesprochen wird, dass es darum gehe, zum gesellschaftlichen Frieden beizutragen (16), und dass es um das Zusam­menleben in einer pluralen Gesellschaft gehe (23), oder wenn im Ausblick formuliert wird: »Das Verständnis einer Religion gehört zu den Voraussetzungen für Toleranz und eine gerechte Koexistenz in Frieden. Es muss allerdings getragen werden von einer elementaren Achtung und Wertschätzung des und der anderen.« (294) Der Religionsunterricht nimmt damit eine gesellschaftspolitisch relevante Aufgabe von höchster Dringlichkeit wahr.
Diese elementare Aufgabe interreligiösen Lernens kann nicht an andere Fächer (z. B. den politischen Unterricht/die Gemeinschaftskunde) delegiert werden, weil die dazu notwendige Kompetenz in religiösen Fragen nun einmal bei den Lehrkräften vorhanden ist, die das Fach Religion erteilen. Diese Kompetenz zu vertiefen, dazu bietet die Veröffentlichung wissenschaftlich fundierte, hervorragend aufbereitete (Grund-)Informationen und im Anhang unterrichts­praktische Hinweise. In den Kapiteln 1 und 2 ist zugleich ein fundierter, die fachdidaktische Diskussion weiterführender Beitrag zur Didaktik interkulturellen und interreligiösen Lernens enthalten, der bisherige Ansätze aufnimmt und integrierend weiterführt.