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Ausgabe:

September/2008

Spalte:

998–999

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Kuyk, Elza, Jensen, Roger, Lankshear, David, Löh Manna, Eli­sabeth, u. Peter Schreiner [Eds.]

Titel/Untertitel:

Religious Education in Europe. Situation and current trends in school.

Verlag:

Oslo: IKO 2007. 245 S. gr.8°. Kart. EUR 24,50. ISBN 978-82-7112-793-0.

Rezensent:

Bernd Schröder

Mit diesem Band legt die »Intereuropean Commission on Church and School« (ICCS) nach zehn Jahren die von Grund auf neu erarbeitete und erweiterte Fassung eines Werkes vor, das erstmals 1997 unter demselben Titel in der alleinigen Herausgeberschaft Peter Schreiners erschienen war. Gegenstand des Buches ist die Beschreibung ›religiöser Bildung‹, genauer: des schulischen Religionsunterrichts in den einzelnen Ländern Europas. Die Publikation will nicht nur grundlegende Informationen darüber bereitstellen, sondern zu­gleich auf die Bedeutung der religiösen Dimension schulischer Bildung in Europa hinweisen. – Wurden 1997 auf etwa 180 Seiten nur 23 Länder vorgestellt, sind es mittlerweile 31 Staaten. Angestrebt wurde, alle 46 Länder einzubeziehen, die zum Zeitpunkt des Erscheinens Mitglied des Europarates waren (aktuell sind es bereits 47) – doch fehlt von Albanien über Kroatien und Luxemburg bis zur Ukraine etwa ein Drittel dieser Staaten.
Nahezu jedes der Länder wird nach einheitlichem Muster auf je 5–10 Seiten präsentiert: Am Anfang stehen Angaben zur Bevölkerungszahl bzw. zum Proporz der Religionen/Konfessionen, gefolgt von Hinweisen zum Schulsystem im Allgemeinen. Das Gros der Darstellung betrifft den Religionsunterricht: seine rechtliche Basis und Geschichte, Bezeichnung, Inhalte und Konzeption des Faches, Qualifikation und Arbeitgeber der Religionslehrenden, ggf. Hinweise auf Schulen in kirchlicher Trägerschaft. Am Ende steht ein Ausblick auf »aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen« zusammen mit bibliographischen Hinweisen. Die Autorinnen und Autoren der Beiträge, zum Teil Wissenschaftler, zum Teil Vertreter kirchlicher Bildungsarbeit, stammen durchweg aus dem Land, über das sie berichten – allein den Artikel über »Frankreich« haben die Herausgeber verfasst.
Aufs Ganze gesehen entsteht auf diese Weise ein überaus facettenreiches Bild schulischer religiöser Bildung in Europa. Kaum ein Land, so zeigt sich, hat Regelungen, die sich exakt auch anderswo finden; Traditionen, gesellschaftlicher Kontext und nicht zuletzt das Selbstverständnis der maßgeblichen Denominationen bestimmen Form und Inhalt des Religionsunterrichts entscheidend mit; europaweite Entwicklungen sind kaum auszumachen – auch wenn in der Tat in jüngster Zeit eine gewisse Zahl von Ländern ihren ehedem konfessionell gebundenen Religionsunterricht in Religions kunde überführte (etwa Norwegen), auch wenn hie und da das Modell des Religionsunterrichts als »res mixta« von Staat und Religionsgemeinschaft implementiert wird (etwa in Rumänien) und ebenfalls wenn christlich-orthodox oder katholisch dominierte Länder scheinbar des Öfteren Mühe damit haben, auch anderen Konfessionen/Religionen Religionsunterricht zuzugestehen (so et­wa in Russland). – Wie schwer sich die Vielfalt ordnen lässt, zeigt eindrücklich Peter Schreiners einleitende Übersicht »RE in the Euro­pean Context« (9–16): In mehreren Anläufen nimmt er gängige Rubrizierungen auf, etwa die Unterscheidung zwischen »education into/about/from religion« (John Hull) oder diejenige zwischen einem »Religious Studies approach« und einem »Confession­al approach«, um sie dann selbst als wenig hilfreich zu verwerfen. Statt einer Ordnung stellt er schließlich zwei Beobachtungen bzw. Thesen zur Diskussion: 1. Trotz unterschiedlicher Konzeptionen in der Theorie näherten sich die verschiedenen Formen des Religionsunterrichts in der Praxis an (12). 2. Für die Sicherung von gutem Religionsunterricht in Europa sei nicht die Vereinheitlichung der rechtlichen Koordinaten erforderlich, sondern die Verständigung auf gemeinsame Standards wie etwa die Orientierung an den Schülerinnen und Schülern (15).
Wie bei einer solchen Vielzahl von Artikeln aus unterschiedlichen Kontexten und Wissenschaftstraditionen nicht anders zu erwarten, haben die Beiträge recht unterschiedliche Qualität, was die Präzision ihrer Beschreibungen und deren Anschlussfähigkeit für Theoriebildung angeht; am problematischsten ist im Blick auf Konsistenz und Informationsgehalt m. E. der Artikel »Frankreich«. Angesichts der Knappheit der Darstellung treten bestimmte Gesichtspunkte weit zu­rück, etwa die Differenzierung von Religionsunterricht nach Schulformen, die Frage nach aktuell bestimmenden didaktischen Leitbildern oder auch die Art und Weise, in der nicht-christliche re­ligiöse Minderheiten die religiöse Bildung ihrer Kinder gewährleisten. Sieht man vom Länderartikel »Türkei« und von den Beiträgen zu Staaten mit religionskundlichem Religionsunterricht ab, steht durchweg christlicher Religionsunterricht im Zentrum. Anlage und fak­tischer Zuschnitt des Buches lassen somit vergleichende (wissenschaftlich-) religionspädagogische Arbeit keineswegs überflüssig werden, sondern fordern sie vielmehr geradezu heraus.
Schade ist, dass neben die sachliche Vielfalt auch die formale tritt: Nicht alle Berichte folgen dem Gliederungsschema (vgl. etwa 37 f. und 71–73), manche enthalten Anmerkungen (z. B. 63 und 132 f.), die meisten nicht; Literaturangaben sind nicht immer zu finden (s. 69 und 205) oder schwer nachvollziehbar (etwa 46 und 153).
Trotz mancher kritischer Rückfragen ist den Herausgebern für die Konzipierung des Buches zu danken, namentlich für die zweifels­ohne mühsame Akquisition und Redaktion der Artikel. Das Ergebnis stellt ein wichtiges, ja unverzichtbares Hilfsmittel dar, um sich in der Landschaft schulischer religiöser Bildung in Europa zu orientieren und Zugang zum Religionsunterricht einzelner Staaten zu finden. Etwas Vergleichbares ist weder in gedruck­ter Form noch im Internet verfügbar; sukzessive Verbesserung und Vervollständigung haben die Herausgeber im Vorwort selbst avisiert.