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Ausgabe:

September/2008

Spalte:

997–998

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Hrsg. u. erläutert v. H. Horn.

Titel/Untertitel:

Kirche und Schule in Hitlerdiktatur und Demokratie. Reflektiert im Briefwechsel Oskar Hammelsbeck – Helmuth Kittel (1932–1974).

Verlag:

Frankfurt a. M. u. a.: Lang 2007. 129 S. m. 2 Abb. 8°. Kart. EUR 27,50. ISBN 978-3-631-57414-0.

Rezensent:

Matthias Heesch

Die evangelische Religionspädagogik heute ist einerseits geprägt durch die (oft ratlose) Sorge um das spezifisch Evangelische in der säkularen Gesellschaft, andererseits ist eine Pädagogisierung zu beo­bachten, die Züge eines theologisch kriterienlosen Humanismus trägt. Es mag also hilfreich sein, an ältere Diskussionen der Frage nach der Relation von Humanität und Glaube zu erinnern. In diesem Sinne lässt sich der von H. Horn erläuternd publizierte Briefwechsel zwischen O. Hammelsbeck und H. Kittel lesen, zwei führenden Vertretern der Evangelischen Unterweisung.
Beide verstehen Theologie und Pädagogik als Ausgangspunkt differenter, aber komplementärer Aspekte von Erziehung. Das führt die beiden freundschaftlich verbundenen Autoren zu unterschiedlicher Bewertung des Nationalsozialismus. Als totalitäre Ideologie beansprucht dieser den Menschen in der Ganzheit seiner Existenz. Kittel sieht darin phasenweise den theologisch und pädagogisch zu würdigenden genuinen Ausdruck von Theonomie für die geschichtliche Situation der Zeit (Brief Nr. 8, 36 u. ö.). Die Kritik der Bekennenden Kirche sei also selbst gewähltes Abseits (Nr. 10, 37f.). Hammelsbeck betont demgegenüber, dass nicht primär politische Motive (Nr. 1, 29–32, insbesondere 30), sondern die sachgemäße Unterscheidung zwischen immanenten und theonomen Aspekten von Existenz in die Opposition gegenüber jedem totalitären Zugriff auf den Menschen führe (Nr. 11, 38–40, insbesondere 39). Diese Differenz – die sich in einer bleibend unterschiedlichen Einschätzung der Barmer Theologischen Erklärung ausdrückt (vgl. Kittels Brief Nr. 26, 54 f., dagegen Hammelsbeck Nr. 27, 56 f.) – relativiert sich später, weil beide Autoren die sachgemäße Zuordnung von Theonomie und Immanenz als religionspädagogische Zentralaufgabe sehen. In der Nachkriegszeit treten sie für den Erhalt der Pädagogischen Hochschule und gegen deren Aufgehen in der Universität ein (vgl. etwa Kittels Ausführungen Nr. 54, 80 f.). Die Pädagogische Hochschule leiste – anders als das an der Universität zu Grunde gelegte Modell des Fachstudiums mit nachfolgender schulpraktischer Ausbildung – eine einheitliche Lehrerbildung (Kittel, Nr. 44, 73 f.). Die Kirche habe aus theologischen Gründen Verantwortung für eine pädagogisch sachgemäße Schule, wie vor allem der von Hammelsbeck wesentlich beeinflusste EKD-Text Wort zur Schulfrage (in der Edition: 124–126, vgl. den Herausgeber, 22) deutlich macht. Die hierfür beste Lehrerbildung sei eine grundlegend pädagogische (und nicht fachwissenschaftliche), wie sie am besten von Pädagogischen Hochschulen geleistet werde (nochmals Kittel, Nr. 44, 73 f., insbesondere 73).
Die Briefedition macht deutlich, dass die Evangelische Unterweisung keine Klerikalisierung der Schule wollte. Sie war vielmehr ge­nuine Religionspädagogik aus theologischer Verantwortung. Die historisch-hermeneutische Pädagogik, die diese Synthese möglich gemacht hat, ist letztlich ein Erbe Schleiermachers, über den Hammelsbeck, wie auch über Pestalozzi und Luther, Vorlesungen gehalten hat (Nr. 12, 40). Die positive Neubewertung dieser Pädagogik könnte sich aus der Lektüre zweier Klassiker der Evangelischen Unterweisung ergeben, zu der die lesenswerte Briefedition anregt.