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Ausgabe:

September/2008

Spalte:

992–993

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Müller, Philipp

Titel/Untertitel:

Predigt ist Zeugnis. Grundlegung der Homiletik.

Verlag:

Freiburg-Basel-Wien: Herder 2007. 384 S. 8°. Kart. EUR 35,00. ISBN 978-3-451-29653-6.

Rezensent:

Michael Meyer-Blanck

Der unzeitgemäß klingende Titel dieser Freiburger pastoraltheologischen Habilitationsschrift gibt präzise an, worum es sich handelt: um eine Untersuchung zur prinzipiellen Homiletik, ausgehend vom Schlüsselbegriff des »Zeugnisses«. Der (katholische) Vf. setzt sich dazu besonders auch mit der evangelischen Diskussion auseinander und vertritt die These, dass das gegenwärtig vorherrschende ästhetische Paradigma in der Homiletik nicht ausreichend sei. Die Ästhetik sei »eher ein formales Kriterium der Predigtgestaltung«, weil sie sich »gegenüber dem Inhalt der christlichen Verkündigung neutral« verhalte (339). Aus dieser zugespitzten Formulierung gegen Ende des Buches ergibt sich für mich allerdings der Schluss, dass die prinzipielle, materiale und formale Homiletik als drei zusammenhängende Fragestellungen auf einer Ebene und nicht in hierarchischer Ordnung zu verhandeln sind. Das Ästhetische (samt der Ästhetik als dessen Reflexionsgestalt) ist ja keineswegs nur ein formales, sondern auch ein fundamentales Thema, ebenso wie die Reflexion des Zeugnisses als grundlegende Kategorie auf die Reflexion von dessen Gestaltwerdung angewiesen bleibt.
Die Studie geht so vor, dass nach einer homiletischen Situationsbeschreibung der Gegenwart (11–129) den Begriffen »Zeuge« und »Zeugnis« im Alten und Neuen Testament nachgegangen wird (130–207), bevor unter der Überschrift »Weitergabe des Glaubens durch Schrift und Tradition« (208-280) der prinzipiell-homiletische Ertrag formuliert und Konsequenzen für das Predigtgeschehen gezogen werden (281–359); eine Zusammenfassung schließt sich an (360–376).
Anders als in der evangelischen Diskussion, in der sich der Vf. gut auskennt (etwa mit den psychologischen Aspekten, 51.95 ff. u.a., zu Haendler sowie mit den Entwicklungen der 70er Jahre, 106.115 u. ö., besonders zu Ernst Lange), geht es hier nicht um die empirischen oder ästhetischen Fragestellungen, sondern um die Zeugniskategorie, wie sie in der evangelischen Diskussion im Zu­sammenhang des Verkündigungsparadigmas bestimmend ge­we­sen war. Auch auf diese Zusammenhänge kommt der Vf. immer wieder zu sprechen (Karl Barth, Alfred Niebergall, Martin Doerne). Weil sich die Kategorie der »Verkündigung« in der evangelischen Homiletik der 50er und 60er Jahre erschöpft hat und weil der Be­griff »Zeugnis« eher evangelikale Assoziationen weckt, ist man als evangelischer Leser überrascht, dass dieser Begriff nun als Schlüssel der prinzipiellen Homiletik gelten soll. In der hier vorliegenden katholischen Lesart ist das Zeugnis allerdings keinesfalls individuell oder subjektiv einzuengen, denn die Bevollmächtigung zur Homilie ist nach dem Vf. nicht abhängig von der theologisch-rhetorischen Kompetenz. Diese bleibt vielmehr an die Weihe zum Diakon oder Priester (157 f.265) und an die Tradition als »die ganze lebendige Wirklichkeit des christlichen Glaubens« gebunden (208).
Problematischer als diese geläufigen Bestimmungen ist, dass hier die Kategorie des Wortes Gottes (wie vielfach in der evangelischen Wort-Gottes-Theologie vor 50 Jahren) nicht als Reflexionskategorie verwendet wird, sondern quasi metaphysisch, also ohne fundamentaltheologische Näherbestimmung, wenngleich sich dafür in der Studie über den Erfahrungsbegriff durchaus Ansätze finden (208). Besonders schwierig wird es aber dann, wenn es heißt, dass auch »die judenkritischen Aussagen des Neuen Testaments … als inspiriertes Wort Gottes zu gelten« haben (242).
Mit einer profilierten Interpretation von »Sacrosanctum Concilium« wird dann festgehalten, dass auch katholisch nicht allein die Lektion, sondern das Schrift- und Predigtwort zusammen, als eine Einheit, als »Wort Gottes« zu gelten habe (56, unter Verweis auf die einschlägige Studie von F. Eisenbach: Die Gegenwart Jesu Christi im Gottesdienst, Mainz 1982). Und schließlich lautet die Überschrift von Kapitel 4.3 sogar »Der Prediger als ›Sakrament‹« (307–328). Wenn auch nur in Anführungszeichen, so wird aber doch formuliert: »Da der Glaube durch das Zeugnis glaubender Christen weitergegeben und in der Annahme dieses Glaubens Heil ge­schenkt wird, ist es möglich, dem Zeugnisvorgang aus christlicher Perspektive eine ›sakramentale‹ Bedeutung beizumessen.« (307; vgl. 375)
Das Buch erbringt also eine prinzipiell-homiletische Aufwertung des Predigtvorganges im Miteinander und Gegenüber zur Eucharistie – was dem evangelischen Leser in jeder Weise einleuchten wird, auch wenn die Begründungsmuster (Sakramentalität der Kirche und Weihe, gläubige Annahme des Wortes) andere sind als in der reformatorischen Tradition (Selbstvergegenwärtigung Chris­ti in seinem Wort und Sakrament).
Schließlich wird man auch formal-homiletische Parallelen entdecken können. So stimme ich gern der Warnung zu, dass bloße Übernahmen aus Predigthilfen zum »falschen Zeugnis« tendieren können (198). Nicht anfreunden kann ich mich hingegen mit dem Plädoyer für die freie Predigt (zulassen will der Vf. allenfalls den Stichwortzettel, 299). Hier ist in Rechnung zu stellen, dass die evangelische Predigt mit 15–20 Minuten etwa doppelt so lang ist wie eine katholische und darum auch ein größeres Maß an Durcharbeitung erfordert. (Allzu leicht fällt dann beim »Sprechdenken« der letztere Teil dieses Wortes flach.)
Der Vf. hat eine homiletische Studie geschrieben, die in den Debatten beider Theologien bewandert ist und darum auch zwischen beiden vermitteln kann. Dafür ist ihm sehr zu danken. Zu bemängeln ist leider, dass der Band über kein Literaturverzeichnis verfügt, so dass man sich stets über das Namenregister orientieren muss. Dieser Mangel sollte in einer 2. Auflage abgestellt werden.