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Ausgabe:

September/2008

Spalte:

986–988

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Haart, Dorothee

Titel/Untertitel:

Seelsorge im Wirtschaftsunternehmen Krankenhaus.

Verlag:

Würzburg: Echter 2007. 326 S. gr.8° = Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge, 68. Kart. EUR 36,00. ISBN 978-3-429-02871-8.

Rezensent:

Michael Klessmann

Wer in der Krankenhausseelsorge tätig ist, sollte die aktuellen Be­dingungen, unter denen Krankenhäuser und ihr Personal gegenwärtig in der Bundesrepublik Deutschland arbeiten, in etwa kennen. H., die in der katholischen Krankenhausseelsorge tätig ist, hat sich das Ziel gesetzt, mit ihrer Dissertation den seit einigen Jahren zu beobachtenden Umbruch im Gesundheitswesen zu skizzieren, speziell die Konsequenzen der Ökonomisierung für die in der Institution tätigen Berufe und die Patienten zu beschreiben und vor diesem Hintergrund Seelsorge im System Krankenhaus zu verorten sowie eine darauf bezogene Konzeption von Krankenhausseelsorge zu entwickeln.
In Teil I wird der seit den 90er Jahren zu beobachtende Umbruch im deutschen Gesundheitswesen skizziert: Verpflichtung der Krankenhäuser zur marktwirtschaftlichen Orientierung, Einführung von Fallpauschalen, staatliche Vorgaben zur Qualitätssicherung etc. Gegenwärtige Debatten zur Finanzierung des Gesundheitssystems sowie Vergleiche mit den Gesundheitssystemen in den USA und England verdeutlichen die Situation in Deutschland. Prinzipien der staatlichen Deregulierung, Stärkung des Wettbewerbs und fortschreitende Einsparungspolitik führen schon jetzt dazu (und dieser Trend wird sich verstärken), dass die Anzahl der Krankenhäuser abnimmt, dass sich Kliniken zunehmend privatisieren und spezialisieren und sich die Behandlungsdauer von Patienten und Patientinnen im Krankenhaus drastisch verkürzen wird (1991 waren es durchschnittlich 14,6 Tage, 2004 noch 8,7 Tage). Das Krankenhaus, so H., befindet sich in der »Beschleunigungsmühle« (57).
In einem zweiten Teil werden die Auswirkungen der Ökonomisierung auf die Gesundheitsberufe im Krankenhaus wie auf die Patienten beschrieben: Datenbasierte Medizin, Kommerzialisierung und Verrechtlichung tragen dazu bei, dass Ärzte mehr und mehr zu Dienstleistenden werden. Pflegende melden einerseits mehr Mitspracherechte an, werden andererseits zunehmend von medizinischen Diagnosen abhängig; sie verlieren das Profil eines Beziehungsberufs, werden zunehmend zum Dienstleistungsberuf. Patienten und Patientinnen werden einerseits zu Kunden, die die aus ihrer Mündigkeit erwachsenden Rechte wahrnehmen sollen (was nur die sozial »starken« Patienten angesichts einer prinzipiell asymmetrischen Beziehung können); andererseits leiden sie unter der zunehmenden Spezialisierung der Gesundheitsberufe, die auf Kosten der Kontinuität der Patientenbegegnung geht. Gefühlsarbeit (d. h. der Umgang mit Angst, Schuld und Aggression) verliert immer mehr an Bedeutung. Krankenhäuser entwickeln inzwischen zunehmendes Interesse daran, ihre eigene Organisation zu durchschauen und zu optimieren (Kapitel 3); zu diesem Zweck werden Modelle der Organisationsentwicklung herangezogen (»lernende Organisation«, »wissensbasiertes System«, »Qualitätsmanagement« etc.). H. betont zu Recht, dass hier eine kritische Sicht solcher Entwicklungsprozesse angezeigt ist, weil die Gefahr be­steht, dass Spannungen und Schattenseiten ausgeblendet, Qualitätsstandards zu reinen Kontrollzwecken missbraucht werden und einem reduzierten Menschenbild Vorschub geleistet wird. Krankenhäuser in kirchlicher Trägerschaft (Kapitel 4) sind aus der Sicht von H. kaum in der Lage, Alternativen zur Ökonomisierung und Bürokratisierung zu entwickeln, weil sie denselben gesetzlichen und finanziellen Vorgaben wie andere Krankenhäuser auch unterliegen. Das häufig anzutreffende Bemühen von kirchlichen Häusern, ein christliches Proprium (im Sinne eines »mehr« oder »besser« als andere Häuser) herauszustellen, kritisiert H. als Ausdruck von Arroganz und verfehlten Abgrenzungsbedürfnissen.
Vor dem Hintergrund der skizzierten gegenwärtigen Situation der Krankenhäuser in Deutschland stellt H. in Kapitel 5 die Bedeutung der Krankenhausseelsorge dar. Krankenhausseelsorge steht in einer charakteristischen Spannung: Als kirchliches Handlungsfeld ist sie denselben Einsparzwängen wie andere Handlungsbereiche auch unterworfen – mit der Folge einer drohenden Selbstisolierung. In den Kliniken selbst scheint die Bedeutung der Seelsorge dagegen eher zuzunehmen, weil Krankenhausleitungen die Bedeutung der »weichen« Faktoren erkennen. »Zurzeit sieht es so aus, als könnten SeelsorgerInnen von den Kliniken, in denen sie arbeiten, mehr Unterstützung für ihre Arbeit erwarten als von den (fernen) Kirchenleitungen« (219). Damit tut sich für die Seelsorge in der Institution ein »Multioptionsdilemma« (A. Heller) auf; denn sie ist angesichts der knappen personellen Ausstattung nicht in der Lage, die verschiedenen Erwartungen zu erfüllen.
H. referiert verschiedene bisher vorliegende Konzepte für Seelsorge im Krankenhaus und thematisiert vor allem die bislang strittige Frage, ob Krankenhausseelsorge, die sich an Management-Parametern (auch deren Sprache!) orientiert, Möglichkeiten kritischer Distanz verliert und zur Systemstabilisierung beiträgt. »Die bisherigen Ausführungen machen deutlich, dass Krankenhausseelsorge nie ganz in den Leitkategorien des medizinischen oder des ökonomischen Denksystems im Krankenhaus aufgehen darf ... Um ihrem beruflichen Selbstverständnis treu zu bleiben, müssen sie ... weiterhin ihre unabhängige und häufig fremde Sicht im Krankenhaus einbringen können« (269).
Dieses Fazit setzt H. um, indem sie abschließend »theologische Ansätze für eine ›Identität‹ der Krankenhausseelsorge« (272 ff.) entwickelt, ausgehend von der befreiungstheologisch zentralen »Op­tion für die Armen« (unter Bezugnahme auf den Ansatz des Münsteraner Pastoralsoziologen Hermann Steinkamp). »Die Armen« sind im Krankenhaus alte, sterbende, chronisch kranke und wirtschaftlich arme Menschen; auch Mitarbeitende, die von Arbeitslosigkeit oder Outsourcing bedroht sind, kann man dazu zählen. Von ihren christlichen Wurzeln her entwickelt Krankenhausseelsorge ein anderes Menschenbild als das naturwissenschaftlich-technisch ausgerichtete der Institution und versucht, im Krankenhaus »solidarische koinonia-Praxis« und damit ein anderes Gemeindeverständnis als das parochiale zu realisieren. – Hier hätte ich mir eine der zwei exemplarischen Erzählungen von Krankenhausseelsorge gewünscht, der die Umsetzung dieses Ziels mehr oder weniger ge­lingt. Sonst besteht die Gefahr, dass solche Konzeptbeschreibungen mehr als Anforderung und weniger als Anregung gelesen werden.
Insgesamt stellt H. die komplexe Situation im deutschen Ge­sundheits- bzw. Krankenhauswesen und der Krankenhausseelsorge kenntnisreich, differenziert und kritisch dar. Wer in diesem Bereich tätig ist, wird das Buch mit Gewinn zur Kenntnis nehmen.